Rechtsprechungsreporte Abfallrecht

von

Rechtsprechungsreport Produktrecht Januar 2025

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Liebe Mandantinnen und Mandanten,
sehr geehrte Damen und Herren,

wir hoffen, dass Sie alle gesund und voller Tatendrang in das neue Jahr gestartet sind.

Seit unserem letzten Rechtsprechungsreport Produktrecht sind wieder zahlreiche Entscheidungen ergangen. Im Folgenden stellen wir Ihnen die wichtigsten Urteile und Beschlüsse vor, die für Sie sowie unsere Beratungspraxis von besonderer Relevanz sind. Aus Gründen der Übersichtlichkeit haben wir die Entscheidungen jeweils den Kategorien „Marktüberwachung“, „EU-Stoffrecht“, „Akkreditierung und Technische Normung“, „Wettbewerbsrecht“ sowie „Gewährleistung und Produkthaftung“ zugeordnet.

Wie immer wünschen wir Ihnen neue und nützliche Erkenntnisse beim Lesen. Falls Sie Anregungen oder sonstige Hinweise zu unserem Rechtsprechungsreport haben, freuen wir uns über Ihre Nachricht.

Herzliche Grüße

Ihr Franßen & Nusser Produktrechtsteam


PS: In Kürze folgt auch unsere Mandanteninformation Produktrecht, die wie gewohnt einen Überblick über die aktuellen Regelungsvorhaben in den Bereichen Produktrecht und ESG bietet.

Inhaltsverzeichnis

    Marktüberwachung

    1. Begriff „kindersicher“ im Sinne von 14 Abs. 3 TabakerzG für elektrische Einweg-Zigaretten

    OVG Lüneburg, Beschluss vom 21. August 2023, 14 ME 61/23

    Dem Beschluss des OVG Lüneburg lag der Antrag auf Eilrechtsschutz eines Händlers von E-Zigaretten zugrunde. In erster Instanz wurde der Antrag des Händlers abgelehnt. Auf seine Beschwerde hin hob das OVG diese Entscheidung auf und gab dem Antrag auf Eilrechtsschutz statt. Dem Händler war mit sofortiger Wirkung untersagt worden, E-Zigaretten in Verkehr zu bringen. Auch war der Rückruf der bereits verkauften Zigaretten angeordnet worden. Diese Maßnahmen hat die Behörde damit begründet, dass die Produkte des Klägers nicht kindersicher im Sinne des § 14 Abs. 3 TabakerzG seien, weil die streitgegenständlichen E-Zigaretten ein Inhalieren schon durch bloßes Ziehen am Mundstück ermöglichen. Die Behörde meint, dass E-Zigaretten über Schutzvorrichtungen verfügen müssten, die ein Inhalieren durch Kinder verhindern. 

    Die Entscheidung des OVG verdeutlicht exemplarisch, dass der konkrete Inhalt grundlegender Sicherheitsanforderungen (hier „kindersicher“) häufig mit Auslegungsschwierigkeiten verbunden ist. Dies gilt vor allem in Bereichen, in denen diese weder gesetzlich noch durch harmonisierte Normen konkretisiert bzw. definiert werden. In solchen Fällen ist der Inhalt einer grundlegenden Sicherheitsanforderung nicht technisch, sondern wie von dem OVG Lüneburg aufgezeigt, nach juristischen Auslegungsmethoden zu konkretisieren.

    Das OVG entschied nach einer summarischen Prüfung, dass E-Zigaretten nicht über Schutzvorrichtungen verfügen müssen, die ein Inhalieren durch Kinder verhindern. So zielt der Begriff „kindersicher“ im Sinne des § 14 Abs. 3 S. 1 TabakerzG nach der Auffassung des OVG nicht darauf ab, ein Inhalieren durch Kinder im Rahmen der gewöhnlichen Verwendung einer elektronischen Einweg-Zigarette zu verhindern. Vielmehr adressiert die Vorschrift solche Risiken, die durch Verschlucken der nikotinhaltigen Flüssigkeit sowie durch Hautkontakt entstehen. Dies ergibt sich nach den Ausführungen des OVG insbesondere aus einer historischen Auslegung der Vorschrift und der ihr zugrundeliegenden Richtlinie 2014/40/EU. Schließlich war in dem Richtlinienentwurf zunächst vorgesehen, dass die Konstruktion von elektronischen Zigaretten eine Bedienung durch Kinder verhindern soll. Dieser Vorschlag hatte jedoch gerade keinen Bestand und ist nicht von dem EU-Gesetzgeber final beschlossen worden. Aus dem Bericht „COM(2016) 269 final“ der Europäischen Kommissionaus geht außerdem hervor, dass das Inhalieren des Rauches nicht als eines der Hauptrisiken für Kinder im Zusammenhang mit E-Zigaretten angesehen worden ist. Im Ergebnis hat das OVG festgehalten, dass über den § 14 Abs. 3 1. 1 TabakerzG nicht jede denkbare Gefahr, die sich für Kinder im Zusammenhang mit E-Zigaretten ergeben, erfasst wird. Dies bestätige auch ein Vergleich mit normalen Zigaretten, welche ebenfalls keine Schutzvorrichtungen aufweisen müssen, um das Inhalieren durch Kinder zu verhindern.

     

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    2. Erfordernis der Produktbezogenheit von behördlichen Anordnungen im Rahmen des EnVKG

    VG München, Urteil vom 09. November 2023, M 24 K 23.2281

    Gegenstand des Verfahrens war ein Bescheid der Beklagten, die diesen auf das Energieverbrauchskennzeichnungsgesetz (EnVKG) gestützt hat. Die Klägerin betreibt über ihre Webseite einen Online-Handel. Die Beklagte, das Gewerbeaufsichtsamt Schwaben, hatte über einen längeren Zeitraum stichprobenhaft und produktgruppenübergreifend die Produktkennzeichnungen zum Energieverbrauchs-Label auf der Webseite der Klägerin überprüft. Im Rahmen dieser Überprüfungen stellte die Beklagte verschiedene Verstöße fest und erließ gegenüber der Klägerin den streitgegenständlichen Bescheid vom 13. April 2023. Mit diesem Bescheid forderte die Beklagte die Klägerin als Händlerin auf, nur solche Produkte über den Online-Shop bereitzustellen, die den einschlägigen Kennzeichnungsvorgaben der Energieverbrauchskennzeichnung entsprechen. Eine Konkretisierung der Anordnung auf bestimmte von der Klägerin angebotene Produkte ist in dem streitgegenständlichen Bescheid nicht vorgenommen worden.

    Das Gericht entschied, dass der Bescheid der Beklagten rechtswidrig ist, weil die Beklagte keine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage gehabt hat, um den streitgegenständlichen Bescheid zu erlassen. Nach den Ausführungen des Gerichts konnte die Beklagte den Bescheid insbesondere nicht auf den § 8 Abs. 3 Nr. 2 EnVKG stützen. Nach dieser Vorschrift kann die zuständige Marktüberwachungsbehörde Maßnahmen anordnen, die gewährleisten, dass ein Produkt erst dann angeboten oder ausgestellt wird, wenn die für das Produkt einschlägigen Ökodesign-Anforderungen erfüllt werden. Diese Ermächtigungsgrundlage gestattet es der Beklagten jedoch nicht, pauschale Anordnungen zu erlassen, die nur den Gesetzeswortlaut wiederholen. Die produktrechtlichen Ermächtigungsgrundlagen gestatten nach den Ausführungen des Gerichts allgemeinhin nur produktbezogene Anordnungen, die konkret fest- und darlegen, welche Produkte von der Anordnung konkret betroffen sind. Insoweit hat das Gericht zur Auslegung der nationalen Ermächtigungsgrundlagen auf Art. 16 der Verordnung (EU) 2019/1020 zurückgegriffen, welche den Marktüberwachungsbehörden nach der Ansicht des Gerichts lediglich konkrete produktbezogene Anordnungen gestatten. 

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    3. Informationsrechtlicher Anspruch auf Einsicht in die Akten eines Marktüberwachungsverfahrens

    VG Freiburg, Urteil vom 11. Dezember 2023, 10 K 390/22

    Der Kläger begehrt Einsicht in die Akten eines Marktüberwachungsverfahrens. Am 14. August 2019 erstattete der Kläger Anzeige gegen eine Konkurrentin – eine Herstellerin von Kabeln – wegen einer von ihm angenommenen unzutreffenden Deklarierung der Kabel bei dem Regierungspräsidium Tübingen. Dieses gab den Vorgang an das Deutsche Institut für Bautechnik (DIBT) ab, welches daraufhin das Marktüberwachungsverfahren gegen die Konkurrentin des Klägers initiierte. Im Rahmen des Marktüberwachungsverfahrens hat das DIBT unter anderem Prüfberichte zu den betroffenen Kabeln erstellt. Der Kläger begehrt mit seinem Antrag auf Akteneinsicht insbesondere eine Übermittlung dieser Prüfberichte. Der Beklagte (DIBT) hat einer Übermittlung der Prüfberichte mit entgegenstehenden Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen der Konkurrentin des Klägers abgelehnt. Im Übrigen würde die neue Verordnung (EU) 2019/1020 über Marktüberwachung und die Konformität von Produkten (Marktüberwachungsverordnung) die Informationsansprüche für den harmonisierten Produktbereich abschließend regeln, so dass der Kläger sein Begehren nicht auf das deutsche Informationsfreiheitsgesetz stützen könne. 

    Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, da eine Berufung beim VGH Mannheim anhängig ist.

    In seinem Urteil gab das VG Freiburg dem Antrag des Klägers im Wesentlichen statt. Dieser hat auf der Grundlage des § 2 Abs. 1 S. 1 IFG einen Anspruch auf Übermittlung der im Rahmen des Marktüberwachungsverfahrens von dem DIBT erstellten Prüfberichte. Dabei steht der Umstand, dass das Verfahren einen Vorgang in Baden-Württemberg betrifft, der Anwendung des IFG Berlin nicht entgegen, weil das DIBt rechtlich eine Behörde des Landes Berlin ist. Das VG Freiburg hat ausgeführt, dass die Regelungen der neuen Marktüberwachungsverordnung der Anwendbarkeit von nationalen Informationsfreiheitsrechten nicht entgegenstehen. Insbesondere verfolgt die Marktüberwachungsverordnung im Vergleich zu den nationalen Informationszugangsgesetzen andere Ziele und steht damit nicht in einem Konkurrenzverhältnis zu diesen. Die Marktüberwachungsverordnung bezweckt eine möglichst effektive Kontrolle der Marktakteure und die Zusammenarbeit der Marktüberwachungsbehörden, wohingegen das allgemeinen Informationszugangsrecht ein umfassendes Informationsrecht zur Förderung der demokratischen Meinungs- und Willensbildung sowie eine Kontrolle des staatlichen Handelns verfolgt. Die Marktüberwachungsverordnung trifft nach den Ausführungen des Gerichts keine Regelungen zu den Informationsansprüchen Einzelner gegenüber staatlichen Stellen und kann daher das deutsche Informationsfreiheitsgesetz nicht verdrängen. Darüber hinaus hat die Beklagte nach Auffassung des Gerichts nicht hinreichend dargelegt, weshalb die von dem DIBT erstellten Prüfberichte Betriebs- und Geschäftsgeheimnis der Konkurrentin des Klägers beinhalten sollen. 

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    4. Normenkontrollantrag eines Bauprodukteherstellers gegen die Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen unzulässig

    Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 21. Dezember 2023, 2 N 21.2595

    Der Antragsteller, ein Hersteller von Produkten zur Instandhaltung von Betonbauwerken, richtet sich im Wege des Normenkontrollverfahrens nach § 47 VwGO gegen bestimmte Anforderungen der Bayerischen Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen (BayTB) zur Instandhaltung von Betonbauwerken. 

    Ohne Erfolg. Das Gericht lehnte den Normenkontrollantrag ab, denn er sei bereits unzulässig. Der Antrag sei bereits unstatthaft, weil der Normenkontrollantrag nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO sich nur gegen Rechtsvorschriften richten könne und hierfür erforderlich sei, dass es sich um eine geschriebene, abstrakt-generelle Regelung handelt, die auf eine unmittelbare Außenwirkung abzielt und daher Rechte des Normunterworfenen oder anderen Rechtssubjekten unmittelbar berührt. Diese Voraussetzungen sieht das Gericht durch die BayTB nicht erfüllt. Art. 81a Abs. 1 Satz 2 BayBO lasse eine Abweichung von der BayTB zu, sodass sich eine generelle Verbindlichkeit nicht begründen lasse, weshalb auch der Charakter der Rechtsvorschrift zu verneinen sei. Zudem sei der Antragsteller nicht antragsbefugt, weil die BayTB sich an die am Bau Beteiligten richte und die Antragsteller als Hersteller somit keine Adressaten der Regelung seien. Eine Verletzung des Art. 12 GG liege mangels eines grundrechtsspezifischen Eingriffs nicht vor. Auch aus Art. 8 Abs. 4 Verordnung (EU) 305/2011 (EU-Bauprodukteverordnung) lasse sich kein subjektiv-öffentliches Recht ableiten, welches durch die Regelungen in der BayTB verletzt worden sei. 

    Hinweis: Der Bayerische VGH legt mit dieser Entscheidung eine 180-Grad-Kehrtwende zu seinen Entscheidungen vom 24. November 2021 (Az. 2 N 19.1938 und 2 N 21.2173) hin und stellt damit auch die bisherige Rechtsprechung des VGH Baden-Württemberg zur parallelen Rechtslage in Baden-Württemberg in Frage. Dass die VV TB nun durch Hersteller von Bauprodukten nicht mehr gerichtlich überprüft werden kann, ist vor dem Hintergrund der praktischen Bedeutung der VV TB problematisch. Zwar ist eine Abweichung von der VV TB theoretisch möglich, jedoch trägt derjenige, der von der VV TB abweicht, stets das Risiko, dass die Bauordnungsbehörden die alternative Lösung als nicht ausreichend betrachten. Gerade bei Anforderungen, die an Bauprodukte gestellt werden, gibt es zudem häufig keine denkbare alternative Lösung. In den im Jahr 2021 entschiedenen Fällen richtete sich die angegriffene Regelung in der VV TB zudem zwar ebenfalls aufgrund der gewählten Formulierung an die am Bau Beteiligten. Praktisch mussten die geforderten Emissionsprüfungen jedoch vom Hersteller der Holzwerkstoffe durchgeführt und nachgewiesen werden, weil sie produktbezogen konzipiert waren. Darüber hinaus ist insbesondere in Fallgestaltungen, in denen die VV TB gegen das Behinderungsverbot der EU-Bauprodukteverordnung verstößt, ein Normenkontrollverfahren die einzige Möglichkeit für Bauproduktehersteller, um sich gegen die unionsrechtswidrigen Regelungen zu wehren. Die Hersteller sind daher mehr als lediglich reflexhaft von den Regelungen der VV TB betroffen, können jedoch auch im Einzelfall regelmäßig keinen Rechtsschutz erlangen, weil es die am Bau Beteiligten sind, die sich mit den Bauordnungsbehörden auseinandersetzen müssten. 

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    5. Anordnung zur Beseitigung eines Pflanzenschutzmittels

    VG Oldenburg, Beschluss vom 15. Februar 2024, 7 B 2582/23

    Die Antragstellerin ist von der Antragsgegnerin dazu aufgefordert worden, 4.755 Liter ihres Pflanzenschutzmittels Mamba bei einem regionalen Entsorger zu beseitigen. Die zuständige Behörde war der Ansicht, dass das Mittel nicht zugelassen sei und auch die Voraussetzungen des Art. 28 i.V.m. Art. 52 der Verordnung (EG) 1107/2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln nicht erfüllt seien. Schließlich würde das betroffene Pflanzenschutzmittel nach seiner Zusammensetzung nicht einem bereits zugelassenen Referenzmittel entsprechen, so dass die Voraussetzungen für einen Vertrieb des Mittels im Parallelhandel nicht vorliegen.

    Der Antrag hat keinen Erfolg. Nach Art. 52 Abs. 1 VO (EG) 1107/2009 kann ein Pflanzenschutzmittel, das in einem Mitgliedstaat (Ursprungsmitgliedstaat) zugelassen ist, in einem anderen Mitgliedstaat eingeführt, in Verkehr gebracht oder verwendet werden (Einfuhrmitgliedstaat), sofern eine Genehmigung für den Parallelhandel erteilt worden ist und das betroffene Pflanzenschutzmittel in seiner Zusammensetzung mit einem im Einfuhrmitgliedstaat bereits zugelassenen Pflanzenschutzmittel (Referenzmittel) identisch ist. In allen anderen Fällen unterliegt das Inverkehrbringen des Pflanzenschutzmittels grundsätzlich einem gesonderten Zulassungsvorbehalt. Eine Identität mit dem Referenzmittel setzt unter anderem voraus, dass die chemische Zusammensetzung des Pflanzenschutzmittels identisch mit der Zusammensetzung des bereits zugelassenen Referenzmittels ist. Im vorliegenden Fall entsprach die chemische Zusammensetzung des Referenzmittels nach den gerichtlichen Feststellungen jedoch gerade nicht der Zusammensetzung des Mittels Mamba. Das Gericht hob zusätzlich hervor, dass sich die Voraussetzung der Identität nicht ausschließlich auf die Zusammensetzung des Pflanzenschutzmittels, sondern auch auf Anwendungsbedingungen sowie die Art der Herstellung bezieht. Die Anordnung der Beseitigung ist auch nicht ermessensfehlerhaft erfolgt. Insbesondere ist die Beseitigung des nicht zugelassenen Pflanzenschutzmittels Mamba erforderlich, um sicherzustellen, dass das Mittel nicht anderweitig in Verkehr gebracht wird. Insoweit hat das Gericht berücksichtigt, dass die Antragstellerin bereits in der Vergangenheit nicht verkehrsfähige Ware in Verkehr gebracht hatte. 

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    6. Rückrufanordnung bezüglich der gesamten Produktion einer FFP2 Schutzmaske

    VG Freiburg, Urteil vom 21. Februar 2024, 9 K 2136/21

    Die Klägerin ist Herstellerin von Atemschutzmasken. Sie wendet sich mit ihrer Klage gegen eine vom Regierungspräsidium Tübingen als Marktüberwachungsbehörde getroffene produktsicherheitsrechtliche Anordnung, mit der ihr ein Rückruf der von ihr hergestellten FFP2-Atemschutzmasken aufgegeben wurde. Die Rückrufanordnung ist im Wesentlichen damit begründet worden, dass die Atemschutzmasken der Klägerin nicht den einschlägigen Produktanforderungen der PSA-VO (EU 2016/425) entsprächen, da diese nicht über die notwendige Filterleistung verfügen würden. Grundlage dieser Behauptung waren verschiedene Prüfberichte, welche u.a. auch von einer Konkurrentin der Klägerin stammen. Die Klägerin ist der Ansicht, dass die betroffenen Atemschutzmasken den einschlägigen Sicherheitsstandards entsprechen und hat hierfür auf positive Baumusterprüfungen einer notifizierten Stelle verwiesen. Die geltende Konformitätsvermutung sei von der Beklagten nicht widerlegt worden. Außerdem sei die Rückrufanordnung unverhältnismäßig. Nach der Ansicht der Klägerin hätte anstelle eines Rückrufs als mildere Maßnahme auch die von der Klägerin angebotene Auslieferung eines zusätzlichen Clips zum Straffziehen der Ohrenbänder der Maske oder deren Verknotung hinter dem Kopf ausgereicht, um die notwendige Filterleistung der Masken zu erreichen. Nachdem die Klägerin im vorangegangenen Eilverfahren unterlegen ist, hat sie die Rückrufanordnung nach den Feststellungen des Gerichts erfüllt. Sie hat nach den gerichtlichen Feststellungen sämtliche ihr bekannten Kunden mit einem Hinweisschreiben informiert und die Rückrufanordnung auf ihrer Internetseite für eine Dauer von 8 Wochen veröffentlicht.

    Die Entscheidung behandelt die aus prozessualer Sicht relevante Frage, ob eine Rückrufanordnung ein sog. Dauerverwaltungsakt ist. Dies hat das Gericht abgelehnt, so dass sich die Rückrufanordnung durch die Hinweisschreiben der Klägerin erledigt hat, weil die Klägerin nach den gerichtlichen Feststellungen damit den Rückruf umgesetzt hat. Durch die Erledigung entfaltet die Rückrufanordnung keine Wirkung mehr, so dass der Klägerin das Verfahren nur noch als Fortsetzungsfeststellungsklage fortführen konnte. Diese prozessuale Lage sollte bei einer Umsetzung von Rückrufbescheiden in laufenden Verfahren stets mitberücksichtigt werden.

    Die Klage ist wegen der nach Klageerhebung eingetretenen Erledigung der angefochtenen Rückrufanordnung (Erfüllung des Rückrufes durch die Klägerin) als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig. Ziel der Fortsetzungsfeststellungsklage ist die gerichtliche Feststellung, dass die Rückrufanordnung rechtswidrig war und die Klägerin in ihren Rechten verletzt hat. Die Fortsetzungsfeststellungsklage war hier aber unbegründet, weil die Rückrufanordnung zum Zeitpunkt der Erledigung nicht rechtswidrig war. Zunächst hat das Gericht ausgeführt, dass eine positive Baumusterprüfung durch eine notifizierte Stelle keineswegs die von dem Beklagten angeführten Prüfberichte widerlegt, da die Baumusterprüfung der notifizierten Stelle keine Aussage darüber trifft, ob die konkret betroffenen Produkte tatsächlich entsprechend dem Baumuster hergestellt worden sind. Hier hat der Beklagte verschiedene Prüfberichte vorgelegt, die nach der Überzeugung des Gerichts widerlegt haben, dass die Atemschutzmasken der Klägerin entsprechend des Baumusters hergestellt worden sind. Aufgrund der Testberichte gilt die von der Klägerin herangezogene Konformitätsvermutung nach Art. 14 PSA-Verordnung als widerlegt. Ferner war die Rückrufanordnung verhältnismäßig. Schließlich konnte das Gericht mit Blick auf die von der Klägerin vorgetragene Korrekturmaßnahme zur Auslieferung und Anwendung von zusätzlichen Clips zum Straffziehen der Ohrenbänder der Maske oder deren Verknotung hinter dem Kopf nicht feststellen, dass diese Maßnahmen die notwendige Filterleistung der Masken sicherstellen. Im Übrigen wären diese Korrekturmaßnahmen im Vergleich zu einem Rückruf auch nicht gleich wirksam gewesen, da die tatsächliche Umsetzung der Korrekturmaßnahmen durch die Nutzer nicht gewährleistet erscheint.

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    7. Eilrechtsschutz gegen Anordnung einer Produktprobe

    Schleswig-Holsteinisches VG, Beschluss vom 03. Juli 2024, 7 B 45/24

    Der Antragsteller vertreibt über einen Online-Shop Kaminöfen des Modells xxx 5 kW. Die zuständige Marktüberwachungsbehörde hatte den Antragsteller dazu aufgefordert, eine Produktprobe des betroffenen Kaminofens an ein Prüflabor zu senden. Die Behörde wollte prüfen lassen, ob der vom Antragsteller angebotene Kaminofen den einschlägigen Ökodesign-Anforderungen entspricht. Die Behörde ordnete die sofortige Vollziehung des Bescheids an, da ein Zuwarten auf eine letztinstanzliche Gerichtsentscheidung im Interesse eines effektiven Gesundheits- und Umweltschutzes nicht abgewartet werden könne. Der Antragsteller hat im Eilverfahren beantragt, die aufschiebende Wirkung seines Rechtsbehelfs gegen den Bescheid wiederherzustellen.

    Der Antrag hat keinen Erfolg. Nach der Ansicht des Gerichts war die Anordnung der Produktprobe rechtmäßig. Die Anordnung der Produktprobe findet ihre Rechtsgrundlage in § 7 Abs. 5 Energieverbrauchsrelevante-Produkte-Gesetz (EVPG). Danach hat die zuständige Behörde zu überwachen, dass energieverbrauchsrelevante Produkte nur in Verkehr gebracht oder in Betrieb genommen werden, wenn die entsprechenden Voraussetzungen für ein Inverkehrbringen bzw. eine Inbetriebnahme erfüllt sind. Soweit dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist, sind die zuständigen Behörden befugt, energieverbrauchsrelevante Produkte zu prüfen oder prüfen zu lassen. Der vom Antragsteller zum Verkauf angebotene Kaminofen des Modells xxx 5 kW stellt ein energieverbrauchsrelevantes Produkt dar und unterliegt dem EVPG, weil der Kaminofen unter den Anwendungsbereich der Ökodesign-Durchführungsverordnung (EU) 2015/1185 fällt. Zudem ist die angeordnete Produktprobe zur Erfüllung der Marktüberwachungsaufgaben des Antragsgegners erforderlich. Für die Anordnung der Produktprobe bedarf es nach den gerichtlichen Ausführungen entgegen der Rechtsmeinung des Antragstellers gerade keines begründeten Verdachts dafür, dass ein Produkt die Anforderungen des EVPG nicht erfüllt. Mit der Überprüfung soll vielmehr festgestellt werden, ob die Gesetzeskonformität besteht oder weitere Maßnahmen zur Herstellung der Konformität einzuleiten sind. Im Übrigen kann eine Produktprobe auch dann angeordnet werden, wenn der Marktüberwachungsbehörde zum Nachweis der Produktkonformität eine entsprechende Zertifizierung durch den Hersteller übermittelt wird.

    Hinweis: Kritisch zu würdigen ist die gerichtliche Annahme eines besonderen öffentlichen Interesses an einer sofortigen Vollziehung (Eilbedürftigkeit) der Anordnung zur Übermittlung der Produktprobe. Denn dieses Interesse hat das Gericht darin gesehen, dass eine letztinstanzliche Entscheidung in der Hauptsache mit Blick auf die Übermittlung der Produktprobe nicht abgewartet werden könne, da bei einem Zuwarten potenziell irreversible Schäden an überragend wichtiger Rechtsgüter, vor allem Leib und Leben, einer unbestimmten Anzahl von Erwerbern des betroffenen Kaminofenmodells entstehen könnten. Zum einen hat das Gericht aber nicht ausgeführt, inwieweit eine etwaige Nichteinhaltung der Ökodesign-Anforderungen im vorliegenden Fall eine Gefahr für Leib und Leben der Erwerber begründet. Zum anderen gab es mit Blick auf die konkret betroffenen Kaminöfen keine Hinweise, für die Nichteinhaltung der einschlägigen Ökodesign-Anforderungen. Die Einhaltung der Ökodesign-Anforderungen sollte schließlich erst nach der Übermittlung der Produktprobe geprüft werden. Hiernach hätte das Gericht die Annahme eines besonderen öffentlichen Interesses an einer sofortigen Vollziehung der Anordnung mit guten Argumenten auch ablehnen können.

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    8. EVPG; behördliches Nachprüfverfahren; behördliche Maßnahmen wegen Nichtkonformität eines Produkts; Entschließungs- und Auswahlermessen der Behörde

    VG Düsseldorf, Urteil vom 20. August 2024, 3 K 3908/22

    Dem Urteil des VG Düsseldorf liegt die Klage einer Herstellerin von Haushaltswäschetrocknermodellen zugrunde. Mit dieser wehrte sie sich gegen eine Anordnung des Landesamts für Natur, Umweltschutz und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (LANUV NRW), welche im Rahmen des Vollzugs des Energieverbrauchsrelevante-Produkte-Gesetz (EVPG) erging. Nach Auffassung des LANUV NRW hatte eine technische Überprüfung ergeben, dass die untersuchten Wäschetrocknermodelle der Klägerin nicht den Anforderungen an die umweltgerechte Gestaltung und sonstigen Voraussetzungen für ihr Inverkehrbringen entsprechen. Insbesondere überschritt der Stromverbrauch im Bereitschaftszustand die zulässigen Grenzwerte der Ökodesign-Durchführungsverordnung (EG) 1275/2008 deutlich (2,5 W anstelle der zulässigen 1,00 W). Die Klägerin wurde zur Stellungnahme sowie zu freiwilligen Abhilfemaßnahmen aufgefordert. Diese aber teilte die Auffassung der Behörde nicht und gab an, ein Rechtsverstoß liege nicht vor. Das LANUV NRW untersagte daraufhin sowohl das Inverkehrbringen als auch die Bereitstellung der entsprechenden Wäschetrocknermodelle. Zudem ordnete sie deren Rücknahme und Rückruf an. Die Klägerin hat unter anderen ausgeführt, dass die Anordnung nicht verhältnismäßig sei, weil anstelle einer Rücknahme und eines Rückrufes die Durchführung von Software-Updates zur Herstellung der Produktkonformität ein milderes und gleichwirksames Mittel sei. 

    Mit Blick auf die Entscheidung des Gerichts ist kritisch zu würdigen, dass eine Rücknahme und ein Rückruf die schärfsten Maßnahmen sind, die von einer Marktüberwachungsbehörde angeordnet werden können. Fraglich ist in diesem Zusammenhang weiterhin, ob jede Nichteinhaltung materieller Ökodesign-Anforderungen eine Rücknahme oder gar einen Rückruf rechtfertigen kann. Dies gilt beispielsweise mit Blick auf geringfügige Überschreitungen von Grenzwerten an den Stromverbrauch (z.B. 1,15 W anstelle der zulässigen 1,00 W). Aus Aspekten der Verhältnismäßigkeit dürfte dies eher abzulehnen sein. Kritisch zu würdigen ist ferner die gerichtliche Bewertung von Software-Updates als Korrekturmaßnahme. Denn unabhängig davon, dass die Klägerin im hiesigen Verfahren eine Effektivität möglicher Software-Updates zur Beseitigung der Nichtkonformität nicht nachgewiesen hat, können nachträgliche Software-Updates nach unserer Einschätzung im Vergleich zu einer Rücknahme und einem Rückruf durchaus mildere und gleichwirksame Mittel zur Beseitigung einer Nichtkonformität sein. Dies gilt vor allem dann, wenn die Software-Updates automatisch und effektiv für bereits in Verkehr gebrachte Geräte umgesetzt werden können.

    Da die streitgegenständlichen Wäschetrockner den materiellen Ökodesign-Anforderungen hinsichtlich des Stromverbrauchs nicht entsprachen, hat das Gericht die Klage abgewiesen. Die getroffenen Anordnungen waren rechtmäßig und haben die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt. Zunächst hat das Gericht dargestellt, dass die Behörde Tätigwerden muss, sobald sie wie es hier der Fall war, einen begründeten Verdacht über eine Nichtkonformität hat. Ein Ermessen steht der Behörde lediglich bei der Wahl der im Einzelfall zu treffenden Maßnahmen sowie der Auswahl des Adressaten zu. Erfüllt ein energieverbrauchsrelevantes Produkt die einschlägigen Ökodesign-Anforderungen nach § 4 Abs.1 S. 1 Nr. 1 EVPG nicht und darf es deshalb nicht in Verkehr gebracht werden (gesetzliches Verbot des Inverkehrbringens), ist das Ermessen der Behörde nach der Ansicht des Gerichts regelmäßig auf Null reduziert. In diesem Fall muss die Behörde in aller Regel das Inverkehrbringen und die weitere Bereitstellung des Produkts untersagen (§ 7 Abs. 3 Satz 1, Satz 2 Nr. 6 EVPG) sowie die Rücknahme und den Rückruf des betreffenden Produkts anordnen (§ 7 Abs. 3 Satz 1, Satz 2 Nr. 7 EVPG), um die effektive Marktüberwachung zum Schutze der Verbraucher und der Umwelt gewährleisten zu können. Nach den gerichtlichen Ausführungen stellt sich die Durchführung von Software-Updates im Vergleich zu der Rücknahme/zu dem Rückruf außerdem nicht als ein gleichwirksames Mittel dar. Zum einen hat die Klägerin nicht nachgewiesen, dass der geltende Grenzwert für den Stromverbrauch durch ein Software-Update wirksam eingehalten werden kann. Außerdem würden im Falle der Anordnung eines Software-Updates nicht-konforme und damit nicht-verkehrsfähige Geräte bis zur vollständigen Durchführung sämtlicher Updates zunächst auf unabsehbare Zeit weiter im Markt verbleiben. 

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    9. VV TB NRW konkretisiert § 3 Abs. 1 BauO, bauaufsichtliche Zulassung für Bauprodukte

    OVG für das Land NRW, Beschluss vom 18. September 2024, 7 A 517/23

    Gegenstand der Entscheidung war ein Antrag auf Zulassung der Berufung. Das OVG NRW setzt sich im Rahmen dessen mit der vorgehenden Entscheidung des VG Köln (Az. 2 K 1320/20) auseinander. Die Klägerin hatte die Beklagte erfolglos zur Verlängerung ihrer allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung (abZ) für das von ihr hergestellte Brandschutzgitter verpflichten wollen. Das VG Köln wies die Klage ab, weil die streitgegenständlichen Brandschutzgitter nicht den Anforderungen der VV TB NRW und damit nicht den Anforderungen des § 3 Abs. 1 BauO NRW entsprechen und aus diesem Grund nicht im Sinne des § 18 BauO NRW verwendbar seien. Die VV TB NRW habe insoweit Außenwirkung und konkretisiere in zulässiger Weise die §§ 3 Abs. 1, 14 BauO NRW. Auch § 14 BauO NRW – die Generalklausel bezüglich des Brandschutzes – konkretisiere § 3 Abs. 1 BauO NRW lediglich und erweitere diesen nicht. Da die Brandschutzgitter die Anforderungen nicht erfüllen, käme auch eine Abweichung im Sinne des § 69 BauO NRW nicht in Betracht. Das OVG NRW bestätigt die Entscheidung des VG Köln inhaltlich. Dass die Ausbreitung von Rauch unterbunden werden müsse, ergebe sich zudem bereits aus § 3 BauO NRW selbst, denn hier werde Bezug auf die Grundanforderungen an Bauwerke in Anhang I der EU-BauPVO genommen, welche in Ziff. 2 Anforderungen an den Brandschutz enthalten.

    Hinweis: Das Urteil unterstreicht die praktische Bedeutung der VV TB bei der Ermittlung der bauordnungsrechtlichen Anforderungen und zeigt dabei auch die Bedeutung für Hersteller von Bauprodukten auf. § 3 Abs. 1 BauO NRW verweist zwar auf die Grundanforderungen an Bauwerke in Anhang I der EU-BauPVO. Anhang I der EU-BauPVO dient jedoch in erster Linie dazu, einen gemeinsamen Bezugspunkt für die Erarbeitung harmonisierter Normen zu definieren, damit die harmonisierten Normen ihren Nutzen größtmöglich entfalten. Dies ist auch der Hintergrund für die Aufnahme der Grundanforderungen an Bauwerke in die Landesbauordnungen. Etwaige materielle Anforderungen im Sinne des Bauordnungsrechts ergeben sich aus den Grundanforderungen an Bauwerke in Anhang I der EU-BauPVO mithin nicht.

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    10. Inverkehrbringen im Sinne der Holzhandelsverordnung

    EuGH, Urteil vom 21. November 2024, C-370/23

    Der Entscheidung lag der folgende Sachverhalt zugrunde: Die Stadt Mesto Rimavská Sobota (im Folgenden: Beschwerdeführerin) verwaltet einen Gemeindewald. Im Juni 2018 verkaufte die Beschwerdeführerin eine bestimmte Holzmenge an eine juristische Person. Hierbei beschränkte sich die Beschwerdeführerin darauf, die zu schlagenden Bäume bzw. die für diesen Einschlag vorgesehenen Waldgebiete zu nennen. Daraufhin wurde die Beschwerdeführerin von der zuständigen Behörde, dem slowakischen Landwirtschaftsministerium, mit einer Geldbuße belegt, da sie keine Sorgfaltspflichtregelung habe, obwohl dies nach dem slowakischen Holzgesetz zur Umsetzung der Verordnung (EU) 995/2010 (EU-Holzhandelsverordnung) erforderlich sei. Die Beschwerdeführerin hat die Geldbuße vor den slowakischen Gerichten angefochten und u. a. geltend gemacht, dass sie für die Zwecke des konkret in Rede stehenden Rechtsgeschäfts nicht als „Marktteilnehmerin“ im Sinne der EU-Holzhandelsverordnung handele und daher nicht der sich aus dieser Verordnung ergebenden Sorgfaltspflicht unterliege. Dies begründete die Beschwerdeführerin damit, dass der Holzeinschlag gerade nicht durch sie, sondern durch den Vertragspartner erfolgte, welcher das Holz wiederum in den Verkehr bringen würde. Auch obwohl sie mit Blick auf den Holzeinschlag Vorgaben macht und die Aufsicht hierrüber führt, könne nicht von einem Inverkehrbringen des Holzes durch die Beschwerdeführerin gesprochen werden, sodass sie keine Marktteilnehmerin im Sinne der Verordnung (EU) 995/2010 sei. Die Beschwerdeführerin verkaufe kein bereits geschlagenes Holz, das in den Anwendungsbereich der Verordnung fallen würde, sondern das Einschlagrecht für stehendes Holz. Stehendes Holz ist aber von den einschlägigen Regelungen der Holzhandelsverordnung unstreitig nicht umfasst. 

    Der EuGH hat den Begriff der Abgabe im vorliegenden Fall auf den Vorgang einer Eigentumsübertragung beschränkt. Da dieser Vorgang durch nationale Regelungen definiert wird, konnte der EuGH keine abschließende Entscheidung zu dem konkreten Zeitpunkt des Inverkehrbringens treffen. Nach unserer Einschätzung lässt sich der für die EU-Holzhandelsverordnung von dem EuGH zugrunde gelegte Begriff der Abgabe jedoch kaum auf CE-Rechtsakte übertragen. Schließlich setzt ein Inverkehrbringen im produktrechtlichen Kontext nicht zwangsläufig eine Eigentumsübertragung voraus, vgl. insoweit Ziffer 2.3. im Blue-Guide der EU-Kommission. Damit kann ein Inverkehrbringen beispielsweise auch im Rahmen von Miet- oder Leasinggeschäften erfolgen, die gerade nicht zu einem Eigentumsübergang führen. 

    Der EuGH hatte nach einer Einschaltung durch ein slowakisches Gericht im Vorabentscheidungsverfahren daher im Wesentlichen darüber zu entscheiden, ob der in Art. 2 lit. b Verordnung (EU) Nr. 995/2010 definierte Begriff des Inverkehrbringens dahin auszulegen ist, dass das Inverkehrbringen von Holz bereits den Verkauf von Rohholz oder Brennholz gegen Entgelt umfasst, bei dem es sich bei Vertragsschluss noch um Standholz handelt. Nach der Auffassung des EuGH würde die Beschwerdeführerin das geschlagene Holz als Marktteilnehmerin dann in den Verkehr bringen und damit den Pflichten der Verordnung (EU) Nr. 955/2010 unterliegen, wenn sie den Vertragspartner ermächtigt, nach ihren Vorgaben oder unter ihrer Aufsicht bestimmte Bäume zu schlagen und das Holz aus dem Einschlag dieser Bäume zu verwerten, sofern der Vertrag nach dem geltenden nationalen Recht die Grundlage für eine Eigentumsübertragung an dem geschlagenen Holz von der Beschwerdeführerin an den Vertragspartner ist. Falls dagegen nach dem geltenden nationalen Recht der Vertrag nicht zu einer solchen Übertragung des Eigentums an dem eingeschlagenen Holz führt, sondern der Vertragspartner unmittelbar und automatisch Eigentümer des Holzes allein durch das Schlagen der betreffenden Bäume wird (etwa da ihm vorher das Einschlagrecht übertragen wurde), kann nach der Ansicht des EuGH allein durch den Vertragsabschluss kein „Inverkehrbringen“ verwirklicht werden. In diesem Fall erfolgt das Inverkehrbringen nach der Überzeugung des EuGH durch die Person („Vertragspartner“), die das Holz schlägt und anschließend zum Vertrieb oder zur Verwendung im Rahmen einer gewerblichen Tätigkeit auf einen Dritten überträgt. Nach der Auffassung des EuGH ist der für die Annahme eines Inverkehrbringens grundlegende Begriff der Abgabe im Sinne von Art. 2 lit. b der EU-Holzhandelsverordnung dahingehend zu verstehen, dass die Übertragung des Eigentums an einer Menge von Holz oder Holzerzeugnissen gemeint ist. Für den EuGH setzt ein Inverkehrbringen durch die Beschwerdeführerin also voraus, dass diese Eigentümerin des geschlagenen Holzes wird und das Eigentum auf der Grundlage eines Vertrages an den Vertragspartner überträgt. Ob dies der Fall ist, ist wiederum nach dem nationalen Recht zu beurteilen.   

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    II. EU-Stoffrecht

    1. REACH, Registrierung, Anwendungsbereich

    EuGH, Urteil vom 11. April 2024, C-654/22

    In seinem Urteil entschied der EuGH über die Auslegung des Begriffs „Importeur“ im Sinne von Art. 3 Nr. 11 der REACH-Verordnung sowie über die Auslegung des Ausnahmetatbestands nach Art. 2 Abs. 1 lit. b) REACH-Verordnung. Nach diesem soll die REACH-Verordnung nicht für Stoffe als solche, in Gemischen oder in Erzeugnissen gelten, die der zollamtlichen Überwachung unterliegen, sofern sie weder behandelt noch verarbeitet werden, und die sich in vorübergehender Verwahrung oder in Freizonen oder in Freilagern zur Wiederausfuhr oder im Transitverkehr befinden. Dem Urteil lag der folgende Sachverhalt zugrunde: Im Jahr 2019 bestellte Triferto bei der Dreymoor Fertilizers Overseas PTE LTD (im Folgenden: Dreymoor) aus Singapur über eine Tonne Harnstoff. Vereinbarter Lieferort für die auf einem Drittstaat stammende Ware war Gent (Belgien). Dreymoor beauftragte die deutsche Belor-Eurofert GmbH (im Folgenden: Belor) damit, die Ware physisch in die Union zu verbringen und in einem Zolllager in Gent einzulagern. Vor der Einfuhr reichte Belor als vermeintlicher Importeur im Sinne von Art. 6 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH) für die Ware ein Registrierungsdossier bei der ECHA und sodann auch die Zollanmeldung ein. Das zuständige belgische Ministerium beanstandete dieses Vorgehen. Es war der Ansicht, dass nicht Belor, sondern Triferto als Importeur im Sinne von Art. 3 i.V.m. Art. 6 der REACH-Verordnung anzusehen sei. Da das Ministerium damit der Auffassung war, Triferto hätte für die Ware das Registrierungsdossier einreichen müssen, verhängte es eine Geldbuße gegen Triferto. In der Folge wandten sich Triferto und das Ministerium an das zuständige belgische Gericht in Gent, welches wiederum den EuGH anrief. 

    Der EuGH hat hier erneut bestätigt, dass Ausnahmetatbestände im Kontext des EU-Produkt- und EU-Stoffrechts eng auszulegen sind. Ferner hat der EuGH mit Blick auf die Registrierungspflicht ausgeführt, dass die Verantwortung für die Einfuhr und die Registrierung eines eingeführten Stoffes nicht übernommen werden darf, um die Verpflichtungen aus der REACH-Verordnung dadurch zu umgehen, dass die Stoffmenge derart auf verschiedene Importeure verteilt wird, dass die jedem Importeur auf diese Weise zugeteilte Menge unter der Schwelle der Registrierungspflicht oder einer Schwelle für umfangreichere Angaben liegt. Offenbleiben aber Kriterien, anhand derer eine rechtswidrige Umgehung zu beurteilen ist, da der EuGH hierzu nicht detailliert Stellung bezogen hat.

    Der EuGH hat in seinem Urteil zunächst ausgeführt, dass die REACH-Verordnung gemäß Art. 2 Abs. 1 lit. b) unter den folgenden Voraussetzungen keine Anwendung auf Stoffe als solche, in Gemischen oder in Erzeugnissen finde: (1) der betroffene Stoff darf in der EU weder behandelt noch verarbeitet werden und (2) muss sich in vorübergehender Verwahrung, in einer Freizone oder in einem Freilager zur Wiederausfuhr oder im Transitverkehr befinden. Vorliegend hat jedoch ein sog. Zolllagerverfahren stattgefunden, welches gerade nicht mit einer vorübergehenden Verwahrung und nicht mit der Überführung von Waren in eine Freizone im Sinne von Art. 2 Abs. 1 lit. b) REACH-Verordnung gleichzusetzen ist. Eine Anwendbarkeit der Ausnahmeregelung nach Art. 2 Abs. 1 lit. b) REACH-Verordnung hat der EuGH deshalb abgelehnt und insoweit eine enge und an dem Wortlaut orientierte Auslegung des Ausnahmetatbestands vorgenommen. Hinsichtlich der Frage, wer das Registrierungsdossier bei der ECHA einreichen muss, entschied der EuGH, dass eine Einreichung durch Belor ausgereicht hat. Zwar könne neben Belor auch Triferto unter den Begriff des „Importeurs“ im Sinne von Art. 3 Nr. 11 REACH-Verordnung fallen. Als Erwerber des Stoffes ist Triferto aber dann nicht zur Einreichung des Registrierungsdossiers verpflichtet, wenn eine andere in der Union ansässige Person als Importeur die Verantwortung für die Einfuhr übernommen und das Dossier eingereicht hat. Die Verantwortung für einen Einfuhrvorgang trägt in der Regel der einführende Erwerber des betroffenen Stoffes. Es ist nach den Ausführungen des EuGH aber auch möglich, dass die Verantwortung für die Einfuhr von einem anderen Akteur übernommen wird, sofern dieser an dem Einfuhrvorgang beteiligt ist. Diese Person kann z.B. ein Akteur sein, der die Einfuhr organisiert und abwickelt. Voraussetzung für eine Übertragung der Importeurverantwortung ist aber, dass sich die an dem Einfuhrvorgang beteiligten Wirtschaftsakteure vergewissern, dass die verantwortliche Person über die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten zur Erfüllung der Importeurpflichten verfügt.  Insoweit hat der EuGH betreffend des Importeurbegriffs eine großzügige Auslegung vorgenommen.

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    2. Kennzeichnung und Verpackung gefährlicher Stoffe und Gemische

    BGH, Urteil vom 11. Juli 2024, I ZR 164/23

    Das Urteil des BGH befasst sich mit der Klage eines Wirtschaftsverbands gegen einen Hersteller und Vertreiber von nikotinhaltigen Flüssigkeiten für E-Zigaretten (sog. nikotinhaltige Liquids). Es betrifft nicht nur die Anordnung von Gefahren-Kennzeichnungselementen auf der Verpackung gefährlicher Stoffe und Gemische, sondern auch den Begriff der breiten Öffentlichkeit in der Verordnung (EG) 1272/2008 (CLP-Verordnung). Die Beklagte füllt die von ihr hergestellten und verkauften nikotinhaltigen Liquids in 10 ml Flaschen ab und verpackt diese wiederum in Pappschachteln. Auf einer Seite der Pappschachteln brachte sie die Gefahrenpiktogramme „Achtung“ sowie das Signalwort „Achtung“ an. Die CLP-Sicherheitshinweise „Darf nicht in die Hände von Kindern und Jugendlichen gelangen“ und „Gesundheitsschädlich beim Verschlucken“ befanden sich hingegen auf einer anderen Seite der Verpackung. 

    Der BGH hat diese Kennzeichnung und Verpackungsgestaltung als unvereinbar mit den Vorgaben des Art. 32 Abs. 1 der CLP-Verordnung bewertet. Danach müssen Gefahrenpiktogramme, Signalwörter, Gefahrenhinweise und auch Sicherheitshinweise „zusammen auf dem Kennzeichnungsetikett angeordnet“ werden. Nach den Ausführungen des BGH muss es den Verbrauchern möglich sein, alle notwendigen Kennzeichnungselemente mit nur einem Blick war zunehmen. Werden die Kennzeichnungselemente nicht zusammen auf einer Verpackungsseite abgedruckt, so muss jedenfalls ein Kennzeichnungszusammenhang zwischen den einzelnen Elementen hergestellt werden, sodass sie in einem unmittelbaren visuellen Zusammenhang stehen. Dies erfordert grundsätzlich eine räumliche Nähe oder unmittelbare Nachbarschaft oder zumindest einen ausdrücklichen Hinweis wie etwa einen Sternchenhinweis. Diese CLP-Kennzeichnungsanforderungen hat die Beklagte insoweit nicht erfüllt, weil die Kennzeichnungselemente der CLP-Verordnung nicht auf derselben Verpackungsseite abgebildet waren. 

    Der Begriff der „breiten Öffentlichkeit“ ist nicht nur im Rahmen der CLP-Verordnung relevant, sondern auch etwa im Rahmen der REACH-VO. Hier entfalten mehrere Beschränkungen für Stoffe, Gemische und Erzeugnisse gemäß Anhang XVII nur dann Wirkung, wenn eine Abgabe für bzw. an die „allgemeine“ oder die „breite Öffentlichkeit“ (im Englischen einheitlich: „general public“) stattfindet. Es spricht vieles dafür, dass der Begriff identisch zu verstehen ist, so dass die vorliegende Entscheidung auch im Zusammenhang mit der REACH-VO zur Klärung beiträgt. Jüngst hatte der REACH-CLP-Biozid Helpdesk im Übrigen in Bezug auf Eintrag 50 (PAK) des Anhangs XVII REACH-VO auf eine Anfrage hin die Auskunft erteilt, dass die REACH-VO „den Begriff in Abgrenzung zu industriellen oder gewerblichen Anwendern“ verwende. Näher hierzu siehe Holländer/Heibrock: Bedeutung des Begriffs der „allgemeinen“ bzw. „breiten Öffentlichkeit“ in den Beschränkungsbedingungen des Anhangs XVII der REACH-Verordnung, in: REACH plus 8 2024, S. 4 (4 ff.).

    Der BGH führte zudem aus, dass die Ausnahme des Anhang I Ziffer 1.5.2.1.1 Buchst. a und b Nr. 11 CLP-Verordnung nicht erfüllt ist. Danach sind bestimmte Verpackungen bzw. Stoffe/Gemische von einzelnen Kennzeichnungspflichten ausgenommen, wenn der Stoff bzw. das Gemisch. nicht an die breite Öffentlichkeit abgegeben wird. Der BGH hat entschieden, dass dieser Begriff einen breiten Ausschnitt der Bevölkerung meint und nicht zwingend sämtliche Altersklassen umfassen muss. Eine Abgabe an die breite Öffentlichkeit erfolgt hingegen nicht, wenn der Stoff bzw. das Gemisch beispielsweise nur an bestimmte Fachkreise abgegeben wird.  Die in Frage stehen nikotinhaltigen Liquids standen in öffentlich zugänglichen Verkaufsstellen wie Supermärkten jedem Erwachsenen und gerade nicht nur einem beschränkten Kreis von Fachleuten zum Verkauf zur Verfügung, so dass die Ausnahmeregelung des Anhang I Ziffer 1.5.2.1.1 Buchst. a und b Nr. 11 CLP-Verordnung nicht eingreift. 

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    3. Informationspflichten im Rahmen der Registrierung nach Einstellung der Herstellung/Einfuhr des registrierungspflichtigen Stoffes

    EuG, Urteil vom 11. September 2024, T-192/22

    Am 15. Dezember 2014 reichte der Antragsteller bei der ECHA ein Registrierungsdossier für die Herstellung/Einfuhr eines Stoffes ein. Am 19. Dezember 2014 erließ die ECHA eine Entscheidung, wonach das Registrierungsdossier vollständig war und der Antragsteller den betreffenden Stoff daher herstellen durfte. Die ECHA behielt sich jedoch das Recht vor, zu einem späteren Zeitpunkt eine Prüfung der Vollständigkeit des Dossiers vorzunehmen. Am 30. November 2016 hat die ECHA das eingereichte Dossier auf die Einhaltung der Vorschriften hinsichtlich der Qualität der vom Antragsteller in seinem Registrierungsdossier eingereichten Daten geprüft. Gemäß Artikel 41 Abs. 3 der REACH-Verordnung erließ die ECHA die Entscheidung, dass das Registrierungsdossier des Antragstellers keine angemessenen Informationen enthielt. Die ECHA hat den Antragsteller deshalb aufgefordert, eine Reihe von Studien durchzuführen und ihr die Ergebnisse vorzulegen. Am 03. Mai 2019 teilte die Klägerin der ECHA durch eine Aktualisierung ihres digitalen Dossiers mit, dass sie die Produktion des betreffenden Stoffes eingestellt habe. Die ECHA fordert jedoch weiterhin die Durchführung der Studien und Einreichung der Studienergebnisse. Der Antragsteller ist der Ansicht, dass er die 90-Tage-Studie nicht durchführen muss, da er die Produktion des betreffenden Stoffes eingestellt hat. 

    Das EuG wies die Klage des Antragstellers ab. Stellt ein Registrant die Herstellung oder Einfuhr eines Stoffes ein, wird das registrierte Volumen in seiner Registrierung auf Null gesetzt und es dürfen keine weiteren Informationen zu diesem Stoff angefordert werden, vgl. Art. 52 Abs. 2 REACH-Verordnung. Entgegen der Ansicht des Antragstellers folgt aus dieser Vorschrift aber für den vorliegenden Fall nicht, dass er von einer Durchführung der 90-Tage-Studie absehen kann. So bezieht sich Art. 52 Abs. 2 REACH-Verordnung nach der Ansicht des EuG nur auf Informationen, die erstmals nach Einstellung der Herstellung oder Einfuhr eines Stoffes angefordert werden können. Die ECHA kann also nach einer Einstellung der Herstellung/Einfuhr nicht erstmals neue Informationen bzgl. des betroffenen Stoffes von dem Registranten verlangen. Hier lag der Fall jedoch so, dass die 90-Tage-Studie immer zwingender Bestandteil des Registrierungsdossiers war. Das Dossier des Antragstellers hat damit nie den geltenden Anforderungen genügt. Daher ist der Antragsteller nach der Ansicht des EuG weiterhin verpflichtet, die 90-Tage-Studie bei der ECHA einzureichen, obwohl er die Herstellung des betreffenden Stoffes eingestellt hat. 

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    III. Akkreditierung und Technische Normung

    1. Nebenbestimmungen über eine Verpflichtung zum Abschluss einer Duldungsvereinbarung gegenüber dem Kunden rechtswidrig

    VG Berlin, Urteil vom 21. April 2023, 4 K 404/20

    Die Klägerin, ein akkreditiertes Prüflabor aufgrund der DIN EN ISO/IEC 17025, wendet sich gegen eine Nebenbestimmung in ihrem Akkreditierungsbescheid. Die DAkkS hatte den Akkreditierungsbescheid mit einer Nebenbestimmung erlassen, welche die Klägerin verpflichtet, mit ihren Kunden eine Vereinbarung abzuschließen, wodurch die Kunden verpflichtet wären, Begutachtungsteams der DAkkS auf Anfrage Zugang zu gewähren, um die Leistung der Konformitätsbewertungen zu überprüfen. Gegen diese Nebenbestimmung wendet sich die Klägerin. 

    Mit Erfolg. Die Nebenbestimmung sei rechtswidrig, da es an einer geeigneten Ermächtigungsgrundlage mangelt. Zunächst liegen die Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 VwVfG nicht vor. Denn zunächst gibt es keine andere Rechtsvorschrift, welche zum Erlass einer belastenden Nebenbestimmung ermächtigt. Insbesondere bei § 2 AkkStelleG handele es sich um eine bloße Aufgabenzuweisung. Auch § 3 AkkStelleG ermächtige nicht zur erlassenen Nebenbestimmung. Auch Art. 5 der Verordnung (EG) 765/2008 i.V.m. DIN 17011stelle keine geeignete Ermächtigungsgrundlage dar, denn Art. 5 Verordnung (EG) 765/2008 beschreibe lediglich den Akkreditierungsprozess. Insbesondere aus Abschnitt 4.2 der DIN 17011 lasse sich – unabhängig von der Frage, ob es sich bei der Norm überhaupt um eine Rechtsvorschrift handelt – nicht als Ermächtigungsgrundlage in Betracht. Denn sie deute darauf hin, dass die Akkreditierungsstelle eine Vereinbarung mit der Zertifizierungsstelle abschließen müsse, enthalte aber gerade keine einseitige Befugnis. 

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    2. Keine Unparteilichkeit bei Beratung durch Leitungspersonal der Zertifizierungsstelle

    VG Berlin, Urteil vom 22. Februar 2024, 4 K 128/23

    Die Klägerin ist eine Zertifizierungsstelle, die von der Deutschen Akkreditierungsstelle GmbH (DAkkS) aufgrund der DIN ISO/IEC 17065 akkreditiert ist. Die DAkkS hatte die Akkreditierung aufgrund des Art. 5 Verordnung (EU) 765/2008 ausgesetzt, weil das Leitungspersonal (der Geschäftsführer und Zertifizierungsstellenleiter und der stellvertretende Zertifizierungsstellenleiterin mit Einzelprokura) der Klägerin jeweils durch selbstständige Unternehmen Beratungsleistungen sowie interne Audits im Anwendungsbereich der Akkreditierung angeboten hatte. Die Klägerin berief sich u.a. darauf, dass sie keine Kunden der Zertifizierungsstelle beraten habe. Mit der Klage begehrt die Klägerin die Aufhebung des Bescheids. 

    Ohne Erfolg. Die Beratungstätigkeit durch das Leitungspersonal verstößt gegen die DIN EN ISO/IEC 17065. Insbesondere geht das Gericht davon aus, dass sich aus Ziff. 4.2.8 der DIN EN ISO/IEC keine Beschränkung auf Kunden der Zertifizierungsstelle ergebe, sondern sich auf alle potenziellen Zertifizierungskunden erstrecke. Insoweit unterscheide sich Ziff. 4.2.8 der DIN EN ISO/IEC 17065 von Ziff. 4.2.6 der DIN EN ISO/IEC 17065, weil er keinen Bezug zum Begriff des Kunden herstelle. Ziff. 4.2.8 der DIN EN ISO/IEC 17065, welcher Regelungen zur Unparteilichkeit allgemein enthält, und Ziff. 4.2.6 der DIN EN ISO/IEC 17065, welcher sich speziell mit der Beratung beschäftigt, stünden unabhängig nebeneinander. Die Beratung stelle eine Gefährdung der Unparteilichkeit dar, weil die Zertifizierungsnehmer durch die Beratung möglicherweise einen Informationsvorsprung erhielten, ggf. eine wohlwollendere Zertifizierung erfolge oder interne Informationen zum Ablauf der Zertifizierungsprozesses erhalten könnten.

    Hinweis: Das Urteil erging im Hauptsacheverfahren zu dem bereits im Jahr 2022 entschiedenen Eilverfahren (Az. 4 L 278/2022, siehe dazu Rechtsprechungsreport Produktrecht 2023, V.) Obwohl das OVG Berlin-Brandenburg (Beschl. v. 21. Juni 2023 – 1 S 76/22) auf die Beschwerde der hiesigen Klägerin die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederhergestellt hatte, bestätigt das Urteil des Verwaltungsgerichts im Ergebnis seine Bewertung im Eilverfahren. Das OVG Berlin-Brandenburg hatte klargestellt, dass der Begriff des Kunden in Abschnitt 4.2.6 der DIN EN ISO/IEC 17065 in dem Sinne auszulegen sei, dass es sich um Vertragspartner der Zertifizierungsstelle handeln müsse und nicht lediglich um potenzielle Kunden. Das VG Berlin hat die Entscheidung jedoch letztendlich auf allgemeine Erwägungen zur Unparteilichkeit gestützt und diese Anforderungen streng ausgelegt. Richtig daran ist, dass die Unparteilichkeit der Zertifizierungsstelle im Ergebnis nicht beeinträchtigt werden darf. Allerdings enthält die DIN EN ISO/IEC 17065 zahlreiche spezielle Anforderungen im Hinblick auf die Beratung durch Zertifizierungsstellen bzw. Stellen, die mit dieser in Verbindung stehen. Es liegt nahe, dass der Normgeber mit diesen speziellen Anforderungen bereits Risiken im Hinblick auf die Unparteilichkeit adressieren wollte, denn andernfalls würden die speziellen Regelungen keinen Sinn ergeben. Die Ableitung weiterer Anforderungen aus den allgemeinen Erwägungen zur Unparteilichkeit erschwert in der Praxis jedenfalls die rechtssichere Umsetzung entsprechender Modelle, auch, wenn die Akteure darum bemüht sind, die Unparteilichkeit zu wahren.

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    3. Rechtsstaatlichkeit: Freier Zugang zu harmonisierten technischen EU-Normen

    EuGH, Urteil vom 5. März 2024, C-588/21

    Bei diesem Rechtsstreit vor dem EuGH forderten zwei gemeinnützige Organisationen die Nichtigkeitserklärung eines Beschlusses der europäischen Kommission, in dem die Kommission den Antrag auf Zugang zu auf Unionsebene harmonisierten technischen Normen im Bereich der Sicherheit von Spielzeugwaren verweigert hatte. In seiner Entscheidung erklärte der EuGH den Beschluss der Kommission für nichtig. Damit hat er entschieden, dass europäische harmonisierte technische Normen über die Sicherheit von Spielzeugen für Unionsbürger zugänglich sein müssen. 

    Vorliegend handelt es sich um eine wichtige Entscheidung auf europäischer Ebene, die im Produktrecht eine tragende Rolle spielen wird, weil sie den Zugang zu harmonisierten Normen betrifft. Keine Aussage trifft die Entscheidung des EuGH aber hinsichtlich nationaler technischer Normen, die nicht im EU-Amtsblatt geführt bzw. nicht im Auftrag der Kommission erarbeitet werden. Zu beobachten ist, wie der Zugang zu den harmonisierten Normen in der Praxis implementiert wird.

    Die Entscheidung des EuGH basierte vor allem auf der Erwägung, dass der Zugang zu dem Unionsrecht für alle Unionsbürger frei und unentgeltlich sein muss. Wenn durch die Verbreitung der Schutz von geschäftlichen Interessen (einschließlich des geistigen Eigentums) beeinträchtigt werden kann, besteht die Möglichkeit, den Zugang zu verweigern, es sei denn es besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung. In diesem Zusammenhang hat der EuGH harmonisierte technische Normen als Teil des Unionsrechts qualifiziert, da diese im Auftrag der EU-Kommission erarbeitet und im EU-Amtsblatt geführt werden. Außerdem führt die Einhaltung harmonisierter Normen nach den jeweils einschlägigen EU-Produktrechtsakten in der Regel zu der Begründung einer gesetzlichen Konformitätsvermutung, so dass ein öffentliches Interesse an einer Verbreitung der harmonisierten Normen besteht. Aufgrund der Grundsätze der Rechtstaatlichkeit und der Transparenz muss den Unionsbürgern daher ein unentgeltlicher Zugang zu den harmonisierten Normen gewährt werden. 

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    IV. Wettbewerbsrecht

    1. Einordnung einer Softwareapplikation für die hautärztliche Behandlung als Medizinprodukt

    OLG Hamburg, Beschluss vom 22. September 2023, 3 W 30/23

    Mit seinem Beschluss gab das OLG Hamburg der Antragstellerin Recht. Es entschied, dass der von ihr gegen einen Wettbewerber geltend gemachte Anspruch auf Unterlassung des Inverkehrbringens einer Softwareapplikation besteht. Die Parteien des Rechtsstreits sind jeweils Anbieter einer Software für einen „digitalen Hautcheck“. Mit der Software können Patienten Hautleiden ohne persönlichen Arztbesuch von Ärzten online diagnostizieren lassen. Der Antragsgegner vertrieb die Software ohne Zertifizierung gemäß der EU-Medizinprodukteverordnung. Die Antragstellerin machte geltend, dass die Software als Medizinprodukt der Klasse IIa nach Anhang VIII, Regel 11 der Medizinprodukteverordnung einzustufen sei und deshalb einer entsprechenden Zertifizierung bedürfe. Demnach habe der Antragsgegner die Software nicht dem erforderlichen Konformitätsbewertungsverfahren unterzogen, weshalb diese nicht verkehrsfähig sei. 

    Das Gericht gab der Antragstellerin Recht. Die Softwareapplikation ist als Medizinprodukt der Klasse IIa einzustufen, weshalb der Antrag auf Unterlassung des Inverkehrbringens begründet ist. Gemäß Art. 2 Nr. 1 EU-Medizinprodukteverordnung handelt es sich bei Medizinprodukte unter anderem auch um Software, die dem Hersteller zufolge für Menschen bestimmt ist und allein oder in Kombination einen spezifischen medizinischen Zweck erfüllen soll. Nach den Feststellungen des Gerichts dient die Software die Diagnose von Krankheiten. Schließlich fragt die Software zur Diagnose notwendige Informationen ab und übermittelt diese zur Diagnosezwecken in Form von Fragebögen und Lichtbildern dem jeweiligen Arzt, woraufhin diese zu Entscheidungen für diagnostische oder therapeutische Zwecke herangezogen werden. In den weit überwiegenden Fällen stellen sie die einzige Grundlage einer ärztlichen Diagnose anstelle des persönlichen Arztbesuchs dar. Die Medizinprodukteverordnung verlange nicht, dass die Software selbst Informationen generiert, hervorbringt oder produziert. Die von dem Antragsgegner vertriebene Software ist daher ein Medizinprodukt, so dass die Antragstellerin einen Anspruch auf Unterlassung des Inverkehrbringens der Software hat, solange die einschlägigen Anforderungen der EU-Medizinprodukteverordnung von dem Antragsgegner nicht eingehalten werden. 

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    2. Pflicht zur Angabe der Energieeffizienzklasse in der Werbung für Backöfen und Dunstabzugshauben

    EuGH, Beschluss vom 5. Oktober 2023, C-761/22

    Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 6 Abs. 1 lit. a) der Verordnung (EU) 2017/1369 zur Festlegung eines Rahmens für die Energieverbrauchskennzeichnung und die Angabe der Energieeffizienzklasse in der Werbung für Backöfen und Dunstabzugshauben. Beklagte des Verfahrens war eine Möbelhauskette. Unter anderem vertreibt diese Haushaltsbacköfen und Dunstabzugshauben. Diese wurden von der Beklagten ohne die Angabe der Energieeffizienzklasse vertrieben. Die Beklagte berief sich darauf, dass sich eine solche Verpflichtung nicht direkt aus Art. 6 Verordnung (EU) 2017/1369 zur Energieverbrauchskennzeichnung ergebe. Schließlich sei hinsichtlich der in Frage stehenden Produktgruppen kein delegierter Rechtsakt gemäß der Verordnung (EU) 2017/1369 erlassen worden. Das LG Bochum bestätigte zwar, dass die EU-Kommission noch keinen delegierten Rechtsakt gemäß der Verordnung (EU) 2017/1369 erlassen hat, setzte das Verfahren aber aus und legte es dem EuGH mit der Frage vor, ob sich eine entsprechende Kennzeichnungspflicht ggf. direkt aus Art. 6 Abs. 1 lit. a der Verordnung (EU) 2017/1369 ergibt. Dies bejahte der EuGH. Er entschied, dass sich eine Pflicht zur Kennzeichnung der Energieeffizienzklasse auch ohne Erlass eines delegierten Rechtsakts direkt aus Art. 6 Abs. 1 lit. a der Verordnung (EU) 2017/1369 ergibt, sofern und soweit für die betroffene Produktgruppe zumindest ein delegierter Rechtsakt mit einer entsprechenden Kennzeichnungspflicht besteht, welcher auf der Grundlage der vormals geltenden Richtlinie 2010/30 erlassen worden ist. Die Richtlinie 2010/30 ist zwar durch die Verordnung (EU) 2017/1369 abgelöst worden, jedoch gelten die auf der Grundlage der Richtlinie 2010/30 erlassenen delegierten Rechtsakte so lange, bis sie durch einen neuen delegierten Rechtsakt gemäß der Verordnung (EU) 2017/1369 ersetzt worden sind, vgl. Art. 20 Abs. 4 Verordnung (EU) 2017/1369. Für die hier betroffenen Backöfen und Dunstabzugshauben sieht die Delegierte Verordnung (EU) 65/2014, welche auf der Grundlage der Richtlinie 2010/30 erlassen worden ist, eine Pflicht zur Angabe der Energieeffizienzklasse vor. Demnach ist die Beklagte nach den Ausführungen des EuGH unmittelbar durch Art. 6 Abs. 1 lit. a der Verordnung (EU) 2017/1369 in Verbindung mit der Delegierte Verordnung (EU) 65/2014 zur Angabe der Energieeffizienzklasse verpflichtet. 

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    3. Hinweis auf Sicherheitsschwachstelle an elektronischen Türschlössern nur auf der Produktwebseite ist unzureichend

    LG Bochum, Urteil vom 23. November 2023, I – 8 O 26/32

    Die Parteien stritten über den Inhalt und die Reichweite einer Produktwarnung durch die Beklagte im Hinblick auf einen Funk-Türschlossantrieb sowie einen Funk-Fensterantrieb. Die Beklagte ist Herstellerin der beiden Produkte. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) hatte eine Sicherheitslücke bei diesen Produkten festgestellt und eine entsprechende Warnung (§ 7 BSIG) veröffentlicht. Das BSI gab an, dass es Angreifern möglich sei, eine technische Schwachstelle der Produkte auszunutzen, die ein unbefugtes Ver- und Entriegeln der mit den Produkten ausgestatteten Schlössern aus der näheren räumlichen Umgebung ermögliche. Die Beklagte bestätigte die Schwachstelle gegenüber dem BSI und teilte mit, dass diese nicht behoben werden könne. Die Beklagte nahm den folgenden Hinweis in die Produktbeschreibungen auf der eigenen Webseite auf: "Hinweis: das BSI hat für [Produktename] eine Warnung in Bezug auf eine technische Schwachstelle veröffentlicht. Bei Fragen zu diesem Thema erreichen Sie uns unter folgender E-Mail-Adresse [...] oder über unser Kontaktformular." Dies beanstandete der Kläger, der Bundesverband der Verbraucherzentrale. Er war der Ansicht, die Hinweise der Beklagten in der Produktbeschreibung des jeweiligen Produkts seien nicht ausreichend. Die Beklagte verstoße damit gegen § 5a UWG, da die Beklagte den Verbrauchern wesentliche Informationen vorenthalten würde. 

    Die Klage hat Erfolg. Das LG Bochum entschied, dass das Verhalten der Beklagten eine unlautere Geschäftshandlung im Sinne des § 5a UWG darstellt. Gemäß § 5a Abs. 1 UWG handelt unlauter, wer einen Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer irreführt, indem er ihm eine wesentliche Information vorenthält, die nach den jeweiligen Umständen benötigt wird, um eine informierte geschäftliche Entscheidung zu treffen, und deren Vorenthalten geeignet ist, den Verbraucher oder den sonstigen Marktteilnehmer zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Bei der Schwachstelle der streitgegenständlichen Produkte handelt es sich um eine wesentliche Information im Sinne des § 5a UWG. Diese Information hat die Beklagte den Verbrauchern auch vorenthalten. Insbesondere ist der allgemein gehaltene Hinweis auf der Internetseite der Beklagten nach den gerichtlichen Ausführungen nicht ausreichend, damit von einer hinreichenden Verbraucherinformation ausgegangen werden kann. Schließlich verkauft die Beklagte die betroffenen Produkte nicht über die eigene Internetseite, da sie dort keinen Webshop betreibt. Damit hat die Beklagte keinen Mechanismus in Gang gesetzt, der dafür Sorge trägt, dass Verbraucher auch bei Erwerb des Produkts über die Vertragspartner der Beklagten über die Sicherheitslücke in Kenntnis gesetzt werden. Dies wäre zur Vermeidung einer irreführenden geschäftlichen Handlung im Sinne von § 5a UWG aber notwendig gewesen.

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    4. Auslegung der Verordnung zur Durchführung der Verordnung über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln

    EuGH, Urteil vom 7. Dezember 2023, C-830/21

    Die Syngenta Agro ist eine Vertriebsgesellschaft, die unter anderem in Deutschland Pflanzenschutzmittel herstellt und vertreibt sowie hierfür über die entsprechenden pflanzenschutzmittel-rechtlichen Zulassungen verfügt. Die Agro Trade ist ein Handelsunternehmen, welches unter anderem die Produkte der Syngenta Agro im Rahmen des Parallelhandels vertreibt. Mit dem sog. Parallelhandel können Pflanzenschutzmittel, die in einem Mitgliedstaat der EU zugelassen sind und in ihrer Zusammensetzung mit einem in Deutschland zugelassenen Pflanzenschutzmittel (Referenzmittel - hier die Pflanzenschutzmittel der Syngenta Agro) übereinstimmen, ohne eine pflanzenschutzmittelrechtliche Zulassung in Deutschland in den Verkehr gebracht werden. Hierfür muss aber gemäß Art. 52 der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 eine Genehmigung für den Parallelhandel vorliegen. Die Agro Trade verfügt über eine solche Genehmigung für den Parallelhandel. Bei den von der Syngenta Agro bezogenen Produkte ersetzt die Agro Trade jedoch das Originaletikett durch ihr eigenes Etikett.  Auf dem eigenen Etikett der Agro Trade finden sich u. a. Angaben über Agro Trade als Importeurin und Vertreiberin, nicht aber solche über Syngenta Agro als Inhaberin der Zulassung für das betreffende Pflanzenschutzmittel. Die Syngenta Agro erhob Klage beim Landgericht Hamburg und beantragte, der Agro Trade im deutschen Hoheitsgebiet das Inverkehrbringen der von ihr stammenden Pflanzenschutzmittel zu verbieten, sofern und soweit die Angaben zu Name und Anschrift der Inhaberin der Zulassung (Syngenta Agro) auf den Originalverpackung entfernt werden. Sie begründete ihren Antrag damit, dass das Verhalten der Agro Trade gegen Art. 1 in Verbindung mit Anhang I Nr. 1 Buchst. b und f der Verordnung Nr. 547/2011 verstoße. Das Landgericht Hamburg gab dem Antrag der Syngenta Agro statt. Gegen diese Entscheidung hat die Agro Trade Berufung bei dem OLG Hamburg eingelegt, welches wiederum den EuGH mit der Frage befasst hat, ob ein Wirtschaftsakteur, der ein Pflanzenschutzmittel im Rahmen des Parallelhandels vertreibt, auf der Verpackung des Pflanzenschutzmittels Name und Anschrift des Inhabers der pflanzenschutzmittelrechtlichen Zulassung durch seine eigenen Daten ersetzen darf. 

    Nach den Ausführungen des EuGH müssen grundsätzlich die Daten der natürlichen oder juristischen Person auf der Verpackung angegeben werden, der von der zuständigen Behörde die Genehmigung für das Inverkehrbringen des Pflanzenschutzmittels erteilt worden ist. Dies wäre vorliegend die Syngenta Agro gewesen, da sie Inhaberin der pflanzenschutzmittelrechtlichen Zulassung der betroffenen Pflanzenschutzmittel ist. Etwas anders gilt aber für Pflanzenschutzmittel, die im Rahmen des Parallelhandels vertrieben werden. Denn bei Pflanzenschutzmitteln für den Parallelhandel trifft die Verantwortlichkeit für das Inverkehrbringen des Mittels nach den Ausführungen des EuGH denjenigen, dem die personengebundene Genehmigung für den Parallelhandel erteilt worden ist. Folglich ist das in Anhang I Nr. 1 lit. b der Verordnung Nr. 547/2011 aufgestellte Erfordernis der Angabe von Name und Anschrift des Inhabers der Zulassung im Parallelhandel so zu verstehen, dass es sich auf Name und Anschrift des Inhabers der Genehmigung für den Parallelhandel bezieht. Die Agro Trade war nach den Ausführungen des EuGH somit verpflichtet, das Originaletikett mit den eigenen Angaben zu ersetzen, weil sie als Inhaberin der Zulassung für den Parallelhandel die rechtliche Verantwortung für das Inverkehrbringen der Produkte trägt. 

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    5. Haftung des Plattformbetreibers für Falschbezeichnungen

    OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 21. Dezember 2023, 6 U 154/22

    Die zum Amazon-Konzern gehörende Beklagte betreibt die Verkaufsplattform Amazon-Marketplace. Über diese Plattform können gewerbliche Anbieter Produkte im eigenen Namen und auf eigene Rechnung verkaufen. Der Klägerin verlangt von der Beklagten es zu unterlassen, das Anbieten von veganen Lebensmitteln mit unzulässigen Angaben wie „Sojamilch“, „Hafermilch“ und „Reismilch“ auf der Verkaufsplattform zu ermöglichen. Er forderte die Beklagte dazu auf, nicht nur die konkreten Produktangebote unverzüglich zu sperren, sondern auch dafür zu sorgen, dass dasselbe rechtswidrige Angebot nicht bei einem anderen Händler erscheint. Die Beklagte entfernte daraufhin zwar die konkret beanstandeten Angebote und stellte sicher, dass diese nicht erneut eingestellt werden können, sie lehnte aber eine weitergehende Prüfungs- und Beseitigungspflicht ab. Daraufhin hat der Kläger seine Unterlassungsklage bei dem LG Frankfurt eingereicht, welches der Klage weitestgehend stattgegeben hat. 

    Die Entscheidung konkretisiert die wettbewerbsrechtlichen Prüfpflichten der Marktplatzbetreiber. Nach den Ausführungen des Gerichts ist es nicht hinreichend, einzelner (rechtswidrige) Angebote zu sperren. Die Plattformbetreiber müssen vielmehr durch geeignete und zumutbare Vorkehrungen sicherstellen, dass der rechtswidrige Inhalt nicht auch von anderen Händlern auf der Plattform angeboten wird. Mit welchen technischen Mitteln dies konkret zu erfolgen hat, ist eine Frage des Einzelfalles. Das OLG Frankfurt hat diesbezüglich jedenfalls die Möglichkeit eines Upload-Filters hervorgehoben.

    Über die Berufung hat das OLG Frankfurt nunmehr entschieden. Nach den Ausführungen des OLG hat das Landgericht die Beklagte zu Recht verurteilt, es zu unterlassen, Dritten auf der Verkaufsplattform die Gelegenheit zu gewähren, vegane Milchersatzprodukte mit der Angabe, „Sojamilch", „Hafermilch", und/oder „Reismilch“ zum Verkauf anzubieten. Der Unterlassungsanspruch folgt aus § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG i.V.m. Art. 78 Abs. 1 lit. c, Abs. 2 VO (EU) Nr. 1308/2013. Die Beklagte hat ihre wettbewerbsrechtliche Verkehrspflicht als Plattformbetreiberin verletzt, indem sie trotz vorhergehender Hinweise des Klägers auf Verstöße von Drittbewerbern gegen die europäischen Bezeichnungsvorschriften für Milch und Milcherzeugnisse auf der von ihr betriebenen Plattform nicht effektiv dafür gesorgt hat, dass gleichartige Verstöße beseitigt und effektiv verhindert werden. Die Bezeichnung der betroffenen veganen Lebensmittel als „Milch“ verstößt gegen die Marktverhaltensregelungen in Art. 78 Abs. 1 lit. c VO (EU) Nr. 1308/2013 i.V.m. Anhang VII. Nach den Ausführungen des Gerichts hat die Beklagte als Plattformbetreiberin ihrer wettbewerbsrechtlichen Verkehrspflicht nicht genügt und daher im Sinne von § 3 Abs. 1 UWG unlauter gehandelt. So eröffnet die Beklagte mit dem Betrieb ihrer Verkaufsplattform die Gefahr, dass Dritte die Interessen von Marktteilnehmern verletzen, in dem sie etwa rechtswidrige Inhalte auf der Verkaufsplattform anbieten. Die Beklagte hat daher die wettbewerbsrechtliche Pflicht, diese Gefahr im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren zu begrenzen. Damit hat das OLG die bereits von dem LG angenommene wettbewerbsrechtliche Prüfpflicht der Beklagten bestätigt, so dass die Beklagte als Plattformbetreiberin auch mit Blick auf die Zukunft sicherstellen muss, dass derartige rechtswidrige Inhalte nicht erneut auf der Plattform angeboten werden. Dies kann beispielsweise durch Upload-Filter geschehen. 

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    6. Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zur Auslegung der Medizinprodukteverordnung zum Umfang der Überprüfungspflicht des Händlers

    BGH, EuGH-Vorlage vom 21. Dezember 2023, I ZR 17/23

    Der BGH hat dem EuGH verschiedene Fragen zur Entscheidung vorgelegt (Vorabentscheidungsersuchen), deren Beantwortung für die Reichweite der Händlerpflichten von zentraler Bedeutung sind. Die Beklagte ist die deutsche Vertriebsgesellschaft eines italienischen Unternehmens, welches Hersteller von ölfreien Trockenluftkompressoren ist. Im November 2020 bestellte eine Konkurrentin des italienischen Unternehmens (nachfolgend Klägerin) - Herstellerin von Kompressoren für die zahnmedizinische Behandlung - bei der Beklagten im Wege eines Testkaufs einen Kompressor des italienischen Herstellers. Der Kompressor trug eine CE-Kennzeichnung ohne Angabe der vierstelligen Kennnummer einer Benannten Stelle. Die zugehörige EU-Konformitätserklärung bezieht sich auf die Richtlinie 2006/42/EG (Maschinenrichtlinie) und nicht auf die Verordnung (EU) 2017/745 (Medizinprodukte-VO) bzw. die davor geltende Medizinprodukte-Richtlinie. Die Klägerin macht einen Unterlassungsanspruch wegen des Fehlens der ihrer Auffassung nach erforderlichen medizinprodukterechtlichen CE-Kennzeichnung nebst vierstelliger Kennnummer einer Benannten Stelle sowie des Fehlens einer hinreichenden EU-Konformitätserklärung geltend und fordert die Beklagte zur Abgabe einer Unterlassungsverpflichtungserklärung auf. Die Klägerin ist der Ansicht, dass es sich bei dem Kompressor um ein Medizinprodukt handele, welches der Risikoklasse IIa gemäß Anhang IX der Medizinprodukte-Richtlinie zuzuordnen sei. Daher müsse die CE-Kennzeichnung des Kompressors die vierstellige Nummer der Benannten Stelle/Konformitätsbewertungsstelle aufweisen. Die Beklagte habe durch den Vertrieb der Produkte ihre Prüfpflicht als Händlerin verletzt, da es sich ausweislich der Gebrauchsanleitung offenkundig um ein Produkt handele, welches auch von der Beklagten als Medizinprodukt hätte eingestuft werden müssen. Die Klägerin hatte zuletzt von dem OLG Celle teilweise Recht bekommen, vgl. unseren Rechtsprechungsreport 2023. Gegen die Entscheidung des OLG Celle hat die Beklagte Revision vor dem BGH eingelegt, welcher das EuGH nunmehr dazu aufgerufen hat, verschiedene Fragen zur Reichweite der Händlerpflichten aus der Perspektive des EU-Produktsicherheitsrechts zu beantworten. Eine besonders praxisrelevante Frage, die der BGH dem EuGH gestellt hat ist, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen ein Händler prüfen muss, ob ein Produkt als Medizinprodukt einzustufen ist, obwohl der Hersteller des Produkts weder eine CE-Kennzeichnung noch eine Konformitätserklärung nach der EU-Medizinprodukte-VO ausgestellt hat. 

    Wann der EuGH eine Entscheidung in dieser Sache treffen wird, lässt sich aktuell schwer abschätzen. Es ist aber in jedem Falle zu erwarten, dass es durch die Entscheidung des EuGH zu einer praxisrelevanten Konkretisierung der Reichweite der Händlerpflichten kommt, die auch abseits der EU-Medizinprodukte-VO relevant sein wird. 

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    7. Herstellereigenschaft und Kennzeichnungspflicht bei Verbraucherprodukt

    OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 13. Februar 2024, 6 W 5/24

    Die Parteien sind Wettbewerber im Bereich des Vertriebs von Büromöbeln, insbesondere von Gamingstühlen. Der streitgegenständliche Stuhl wurde von der Beklagten in einzelnen Teilen zur Selbstmontage in einem Karton bereitgestellt, auf dem sich ihre Firma und Anschrift befand, wohingegen sich auf dem Stuhl selbst keine Herstellerangaben befanden. Die Klägerin meint, dass dadurch eine fehlende Herstellerkennzeichnung und demnach ein Verstoß gegen § 6 Abs. 1 Nr. 2 Produktsicherheitsgesetzes (ProdSG) vorliegt. 

    Mit Erfolg. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat entschieden, dass ein Unternehmen, welches ein Verbraucherprodukt zur Selbstmontage in Einzelteilen vertreibt und dabei als einzige Firma auf der Umverpackung auftritt, als Hersteller im Sinne des ProdSG gilt und damit die Pflicht hat, seinen Namen und die Kontaktanschrift gemäß § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, S. 2 ProdSG unmittelbar auf dem Produkt selbst anzubringen. Die Beklagte behauptete zwar, den Gamingstuhl weder selbst hergestellt noch als Bevollmächtigte gehandelt zu haben. Durch das Anbringen ihrer vollständigen Firmenbezeichnung auf dem Etikett des Kartons hat sie sich aber jedenfalls als Hersteller ausgegeben und unterliegt deshalb den Herstellerpflichten gemäß dem ProdSG. Die Herstellerangaben sind auf dem Verbraucherprodukt selbst anzubringen. Nur wenn dies nicht möglich ist, ist es zulässig, sie einzig auf der Verpackung anzubringen. Hintergrund dieser Regelung ist, dass die Verpackung üblicherweise entsorgt wird und somit die Herstellerinformationen für den Verbraucher nicht dauerhaft verfügbar sind. Die Angaben auf der Verpackung waren vorliegend nicht ausreichend. Schließlich war es nach den Feststellungen des Gerichts möglich, die Herstellerkennzeichnung auf einem der Einzelteile des Gamingstuhls anzubringen; etwa auf der Rückenlehne oder der Unterseite der Sitzfläche. 

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    8. Werbung mit dem Begriff „klimaneutral“

    BGH, Urteil vom 27. Juni 2024, I ZR 98/23

    In seinem Urteil befasste sich der BGH mit der Frage, ob die Werbung mit dem Begriff „klimaneutral“ eine wettbewerbswidrige Irreführung darstellt und damit die Voraussetzungen für ein Unterlassungsanspruch gem. § 8 Abs. 1, § 3 Abs. 1, § 5 Abs. 1 UWG gegeben sein können. Die Beklagte vertreibt Produkte aus Fruchtgummi und Lakritz und hatte auf ihren Produkten mit der Aussage geworben, sie produziere seit 2021 klimaneutrale Produkte. Zudem unterstütze sie Klimaschutzprojekte und verwies in ihrer Werbung auf climatepartner.com. 

    Im Gegensatz zur Vorinstanz entschied der BGH, dass eine Irreführung gem. § 5 Abs. 1 UWG gegeben ist. Nach den Ausführungen des BGH stellt sich die Gefahr einer Irreführung bei umwelt- und gesundheitsbezogener Werbung als besonders groß dar, weshalb ein gesteigertes Aufklärungsbedürfnis über den Inhalt der verwendeten Begriffe besteht. Es gilt zudem ein strenger Maßstab hinsichtlich der Richtigkeit, Klarheit und Eindeutigkeit der umwelt- und gesundheitsbezogenen Werbeaussagen. Der mehrdeutige Begriff „klimaneutral“ muss nach der Ansicht des BGH deswegen bereits in der Werbung selbst erläutert werden. Insbesondere muss klargestellt werden, ob unter dem Begriff „klimaneutral“ eine Reduktion von CO² im Produktionsprozess oder lediglich eine Kompensation von CO² zu verstehen ist. Die aufklärenden Hinweise, insbesondere der Verweis auf die Internetseite von climatepartner.com, hat der BGH hierbei nicht als ausreichend für eine Erläuterung des Begriffs bewertet. 

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    9. Elektroaltgeräte-Rücknahme im Lebensmittelhandel

    LG Köln, Urteil vom 23. Juli 2024, 84 O 124/23

    Die Klägerin (Deutsche Umwelthilfe) ist ein nach dem Wettbewerbsrecht klagefähiger Umwelt- und Verbraucherschutzverband. Die Beklagte betreibt ein Geschäft, in dem sie Endverbrauchern neben Lebensmitteln auch neue Elektro- und Elektronikgeräte mehrmals im Kalenderjahr bzw. zum Teil sogar dauerhaft zum Kauf anbietet. Das Geschäft weist eine Gesamtverkaufsfläche von über 800 m² auf. Nach der Beweisaufnahme stand für das Gericht fest, dass sich am 24.05.2023 der folgende Sachverhalt zugetragen hat: Ein Mitarbeiter der Klägerin (im Folgenden: Zeuge) hat das von der Beklagten betriebene Geschäft besucht. Als er sich an die Mitarbeiterin der Beklagten, die an der Kasse saß, gewandt und sie gefragt hat, ob er einen von ihm mitgebrachten alten gebrauchten elektrischen Rasierapparat, ein altes gebrauchtes elektrisches Mixgerät und ein altes gebrauchtes elektrisches Ladekabel, unentgeltlich in dem Geschäft zurückgeben könne, hat er von dieser Mitarbeiterin die Antwort erhalten, dass dies nicht möglich ist. Der Zeuge hat daraufhin das Geschäft verlassen und die Altgeräte wieder mitgenommen. 

    Die Besonderheit des Falles liegt darin, dass die Beklagte eigentlich Rückgabemöglichkeiten für Altgeräte vorhält. Jedoch war dies der Mitarbeiterin der Beklagten nicht bekannt, so dass diese eine Rücknahme der Altgeräte abgelehnt hat. Der Fall verdeutlich damit, dass die Einrichtung von Rückgabemöglichkeiten nicht ausreichend ist, um Rechtsverstöße zu vermeiden. Notwendig ist vielmehr, dass die Rückgabeprozesse in der Praxis tatsächlich gelebt werden. Um dies sicherzustellen, könnten beispielsweise Mitarbeiterschulungen durchgeführt werden, damit die zuständigen Mitarbeiter darüber aufgeklärt werden, unter welchen Bedingungen einer Altgeräte-Rückgabe zu erfolgen hat.

    Darin sah nicht nur die Klägerin, sondern auch das Gericht einen Verstoß gegen die Rücknahmepflichten des § 17 Abs. 1 Nr. 2 ElektroG. Die Vorschrift verpflichtet Vertreiber mit einer Verkaufsfläche für Elektro- und Elektronikgeräte von mindestens 400 m² sowie Vertreiber von Lebensmitteln mit einer Gesamtverkaufsfläche von mindestens 800 m², die mehrmals im Kalenderjahr oder dauerhaft Elektro- und Elektronikgeräte anbieten und auf dem Markt bereitstellen, auf Verlangen des Endnutzers Altgeräte, die in keiner äußeren Abmessung größer als 25 cm sind, im Einzelhandelsgeschäft oder in unmittelbarer Nähe hierzu unentgeltlich zurückzunehmen. Diese sog. 0:1-Rücknahme darf nicht an den Kauf eines Elektro- oder Elektronikgerätes geknüpft werden und ist auf drei Altgeräte pro Geräteart beschränkt. Ihre insofern bestehende Pflicht zur unentgeltlichen Rücknahme von Elektroaltgeräten hat die Beklagte nicht erfüllt, weil die Mitarbeiterin der Beklagten die Altgeräte nicht kostenlos zurückgenommen hat.  

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    V. Gewährleistung und Produkthaftung

    1. Produkthaftung für fehlerhafte Maschine; Inverkehrbringen von Maschinen; Beweislast hinsichtlich eines Konstruktionsfehlers im Rahmen des ProdHaftG

    LG Amberg, Urteil vom 11. Juni 2024, 11 O 882/21

    Die Klägerin als Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung macht aus übergegangenem Recht Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte geltend. Die Versicherte war bei der Beklagten als Produktionshelferin beschäftigt. Am 15. Mai 2018 arbeitete die Versicherte an einer von der Beklagten hergestellten Verschließmaschine, an welcher sich im Tagesverlauf der streitgegenständliche Unfall ereignete. Die Maschine wurde für die Benutzung in der Firmengruppe des Beklagten entwickelt und nicht an fremde Firmen weiterverkauft. Als die Versicherte am 15. Mai 2018 den vorgenannten Arbeitsvorgang ausführte, wurde ein Teil ihrer Hand in der Maschine gequetscht. Die Klägerin macht gegenüber der beklagten Partei einen Schadensersatzanspruch in Höhe von 38.001,39 € anlässlich des Unfallereignisses geltend. Die Klägerin ist der Ansicht, dass im Hinblick auf die streitgegenständliche Maschine die Maschinenrichtlinie gelte. Laut Nr. 1.3.7 im Anhang I der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG müssten die beweglichen Teile der Maschine so konstruiert und gebaut sein, dass Unfallrisiken durch Berührung dieser Teile verhindert würden. Diesen Anforderungen entsprach die Verschließmaschine der Beklagten nicht. Die Beklagte meint, dass die Maschine nicht fehlerhaft sei. Außerdem gelte vorliegend weder das Produkthaftungsgesetz noch die Maschinenrichtlinie, da die streitgegenständliche Maschine wegen der „firmeninternen Verwendung“ nicht in den Verkehr gebracht worden sei.

    Die zulässige Klage ist vollumfänglich begründet. Der auf die Klägerin übergegangene Schadensersatzanspruch der Versicherten auf Ersatz des durch die Körperverletzung der Versicherten entstandenen Schadens folgt aus §§ 1, 8 ProdHaftG, da die von der Beklagten hergestellte Verschließmaschine mit einem Fehler im Sinne des § 3 ProdHaftG behaftet war, durch den die Gesundheit der Versicherten beschädigt wurde. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist das Produkthaftungsgesetz anwendbar, weil die streitgegenständliche Maschine von der Beklagten im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 1 ProdHaftG in den Verkehr gebracht worden ist. Nach den Ausführungen des Gerichts stellt bereits das einmalige Bereitstellen einer Maschine für eigene Mitarbeiter ein Inverkehrbringen im Sinne des Produkthaftungsgesetzes dar. Im Übrigen hat es sich bei dem Hersteller der Maschine ohnehin um eine andere juristische Person als der Beklagten gehandelt. 

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    Franßen & Nusser Rechtsanwälte PartGmbB

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