Rechtsprechungsreport Mikroplastik März 2023
Artikel als PDF herunterladenLiebe Mandantinnen und Mandanten,
sehr geehrte Damen und Herren,
vor Ihnen liegt unser erster Rechtsprechungsreport Mikroplastik. Mikroplastik ist ein Phänomen, das in den letzten Jahren enorm an Aufmerksamkeit und Wichtigkeit gewonnen hat. Insbesondere hat die EU-Kommission eine Mikroplastik-Initiative entwickelt, die wir Ihnen vorstellen möchten. Jüngst am 6. März 2023 hat die Kommission den zusammenfassenden Bericht über die öffentliche Konsultation zu dieser Initiative veröffentlicht. Zudem steht seit Längerem eine Regulierung von Mikroplastik in Anhang XVII der REACH-Verordnung in Aussicht.
Inzwischen haben sich aber auch die Gerichte mehrfach mit den neuen Fragestellungen rund um das Thema Mikroplastik beschäftigt. Einen Überblick über die bislang ergangenen Entscheidungen haben wir Ihnen hier zusammengestellt. Die Stichworte sind: Mikroplastik-Einträge auf Nachbargrundstücke durch Kunstrasen-Sportplätze oder durch Windkraftenergieanlagen; Erreichen des Abfallendes trotz möglicher Mikroplastikfreisetzung; Veröffentlichungen von Forschungsergebnissen zu Mikroplastik; und Berücksichtigung von Mikroplastikfreisetzung durch Reifenabrieb bei straßenrechtlicher Planfeststellung.
Für welche Entscheidung Sie sich auch besonders interessieren: Wir wünschen Ihnen – wie immer – viele neue und nützliche Erkenntnisse beim Lesen!
1. Befürchtete Mikroplastikbelastung von einem Kunstrasenfeld
Verwaltungsgericht Stuttgart, Beschluss vom 19. Juli 2019 – 2 K 4023/19
Der Antragsteller versuchte, im Rahmen eines Eilrechtsschutzverfahrens gegen eine Baugenehmigung für die Errichtung eines Kunstrasenfeldes auf einem an seine Grundstücke angrenzenden Grundstück vorzugehen. Er berief sich unter anderem darauf, dass von einem Kunstrasenfeld eine Belastung mit Mikroplastik aufgrund von Winderosion für die umliegenden Grundstücke zu erwarten sei, die er landwirtschaftlich nutze. Außerdem bestehe eine Gefahr, dass Mikroplastik über Auswaschungen ins Grundwasser gelangen könnte, wodurch seine Grundstücke nachhaltig beeinträchtigt würden. Dies würde durch eine Studie des Fraunhofer-Instituts für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik belegt. Außerdem habe die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) vorgeschlagen, dass „bewusst zugesetztes“ Mikroplastik in die REACH-Verordnung (1907/2006/EG) aufzunehmen sei. Er befürchtete auch eine Belastung seiner landwirtschaftlichen Erzeugnisse durch die schädliche Wirkung von Mikroplastik.
Das VG Stuttgart stellte daraufhin zwar fest, dass der Antragsteller bereits gemäß § 55 Abs. 2 Satz 1 LBO präkludiert gewesen sei, machte aber zusätzlich Ausführungen dazu, ob in Hinblick auf eine mögliche Gefährdung durch Mikroplastik denn überhaupt ein Verstoß des Vorhabens gegen Normen ersichtlich wäre, die den Antragsteller schützen.
Allein infolge möglicher Verwehungen oder Auswaschungen von Mikroplastik von einem Grundstück (Kunstrasenfeld) kann es nach gegenwärtiger Rechtslage nicht zu einer beachtlichen Beeinträchtigung des Eigentums an benachbarten Grundstücken kommen.
Dies verneinte das VG Stuttgart: Mikroplastik sei zu diesem Zeitpunkt noch kein gesundheits- oder umweltschädlicher Stoff im Sinne der REACH-Verordnung, weil er in den Anhängen nicht aufgezählt werde. Auch durch den Verweis auf die Studie des Fraunhofer-Instituts und den Vorschlag der ECHA zur Aufnahme von Mikroplastik in die Verordnung könne keine nachteilige Beeinträchtigung seiner Grundstücke durch Mikroplastik begründet werden. Insofern berufe sich der Antragsteller lediglich auf eine mögliche zukünftige Rechtslage, die für ihn keinen Anspruch begründe. Im Rahmen der Überarbeitung der REACH-Verordnung sei von der Kommission bislang eine öffentliche Konsultation durchgeführt worden, mit einer Annahme eines Verordnungsvorschlags der Kommission sei im ersten Quartal 2023 zu rechnen. Das VG Stuttgart wies darauf hin, dass die beigeladene Bauherrin das Risiko eingehe, im Falle einer Aufnahme von Mikroplastik in die REACH-Verordnung nachträgliche Auflagen zu erhalten, die bereits verbauten Materialien zu ändern, dies sei aber abzuwarten.
Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (Beschluss vom 10. Oktober 2019 – 8 S 2132/19) bestätigte den Beschluss des Verwaltungsgerichts, da er ebenfalls keine beachtliche Beeinträchtigung des Eigentums des Antragstellers allein infolge möglicher Verwehungen oder Auswaschungen von Mikroplastik auf dem geplanten Kunstrasenfeld feststellen konnte.
2. Abfallende trotz möglichen Mikroplastikeintrags
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 17. Februar 2020 – 12 CS 19.2505
In diesem Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) ging es um eine Anordnung der sofortigen Vollziehung einer abfallrechtlichen Verfügung des Bayerischen Landesamtes für Umwelt (BayLfU). Die Verfügung bezog sich auf die Nutzung und Verwendung von „Vlieshäckseln“ – also Teppichbodenschnitzel, die aus Teppichbodenresten hergestellt werden – als Reitbelag durch die Antragstellerin (ein Unternehmen, das unter Verwendung der Vlieshäcksel als Belag Reitplätze errichtet). Das LfU begründete die Anordnung unter anderem damit, dass dieser Belag einen hohen Mikroplastikeintrag zur Folge habe. Durch Verfrachtung der Häcksel durch Wind bei Nutzung im Außenbereich sei eine Gefährdung für Gewässer nicht auszuschließen. Durch die Verwendung der Häcksel komme es außerdem zu einer Vermischung mit dem Boden. Aufgrund der Vorsorgepflicht gemäß § 7 Bundes-Bodenschutzgesetz (BBodSchG) herrsche daher Handlungsbedarf. Die Häcksel wurden aus Teppichbodenstanzresten hergestellt, weshalb die „Mikroplastikproblematik“ laut BayLfU auch abfallrechtliche Relevanz habe. Zu beachten sei insoweit, dass für das Erreichen des Abfall-Endes bzw. Produktstatus nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) keine schädlichen Auswirkungen auf Mensch und Umwelt durch das Produkt verursacht werden dürften – was im Hinblick auf die Vermischung mit dem Boden in diesem Fall nicht festgestellt werden könne, sodass das Abfall-Ende noch nicht erreicht werden könne.
Die Behörde ist Trägerin der Beweislast bezüglich des Nichtvorliegens der Voraussetzungen des § 5 KrWG (Abfall-Ende). Der pauschale Verweis, dass ein Sekundärprodukt möglicherweise einen hohen Mikroplastikeintrag verursachen könne, ist für die Verneinung des Abfallendes wegen angeblicher schädlicher Auswirkungen auf Mensch und Umwelt nicht ausreichend.
Von der Antragstellerin vorgelegte Gutachten, Stellungnahmen und Befunde zeigten laut BayVGH „zumindest nach jetzigem Erkenntnisstand hingegen eine vollständige abfallrechtliche Unbedenklichkeit des eingesetzten Materials für den vorgesehenen Verwendungszweck“. Das BayLfU trage, so der BayVGH, die Beweislast bezüglich des Nichtvorliegens der Voraussetzungen des § 5 KrWG, da die angefochtene abfallrechtliche Verfügung des BayLfU die Abfall-Eigenschaft der Vlieshäcksel voraussetze. Die vom BayVGH als „Stellungnahmen und Mutmaßungen ohne wissenschaftlichen Anspruch“ bezeichneten Äußerungen des LfU seien nicht geeignet gewesen, das Verneinen des Abfall-Endes zu begründen. Sie könnten den Gutachten der Antragstellerin nicht entgegengehalten werden, um ein Einschreiten aufgrund der auf schädliche Auswirkungen auf Mensch und Umwelt gestützten Abfalleigenschaft hinreichend zu belegen.
Der BayVGH stellte außerdem fest, dass eine Risikovorsorge im Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht nur bei einer hinreichend tragfähigen Prognosebasis, die einen Gefahrenbezug aufweisen müsse, zulässig sei. Eine Risikovorsorge „ins Blaue hinein“ sei unzulässig. Das BayLfU habe keine Kenntnis von gefahrbegründenden Umständen gehabt, da keine Grenz- oder Vorsorgewerte im Bereich von Mikroplastik existierten. Auch diesbezüglich sei das BayLfU seiner Darlegungs- und Beweislast nicht nachgekommen, weshalb die Äußerungen zu einer Gefahr durch die Ausbreitung von Mikroplastik nicht ausreichend seien, um eine Anordnung der sofortigen Vollziehung zu begründen.
Anmerkung:
Der Beschluss des BayVGH bestätigt die Annahme, dass an Sekundärprodukte im Hinblick auf ihren Mikroplastikeintrag keine höheren Anforderungen gestellt werden dürfen als an Primärprodukte. Diese werden vor ihrer Verwendung nicht auf einen von ihnen möglicherweise ausgehenden Mikroplastikeintrag untersucht oder beurteilt. Hätte die Antragstellerin im vorliegenden Fall zur Herstellug der Vlieshäcksel keine Teppichbodenreste, sondern neu hergestellte Kunststoffmaterialien verwendet, so hätte die Behörde mangels Abfalleigenschaft definitiv nicht auf abfallrechtlicher Grundlage tätig werden dürfen, und auch das Produkt- und Baurecht hätte keine Handhabe geboten (vgl. z.B. die unter Nr. 1 dargestellte Entscheidung des VG Stuttgart). Wieso eine Zweitverwendung eines Produkts – wie hier der Teppichbodenreste – nun im Hinblick auf Umwelteinwirkungen unter verschärfte Bedingungen gestellt werden sollte, ist nicht nachzuvollziehen. Vielmehr ist in einer Wiederverwertung im Sinne der Kreislaufwirtschaft ein positiver Beitrag für die Umwelt zu sehen. Die Verwendung von Reitplatzbelägen auf Kunststoffbasis, die möglicherweise einen Mikroplastikeintrag verursachen können, kann kritisch betrachtet werden – dann allerdings unabhängig von der Abfall-, der Nebenprodukt- oder der Primärprodukt-Eigenschaft der verwendeten Materialien.
3. Äußerungen zu Mikroplastikemissionen in Kurzzusammenfassung einer wissenschaftlichen Studie
Landgericht München I, Urteil vom 4. September 2020 – 25 O 11574/19
Das Landgericht (LG) München I hatte in diesem Verfahren über Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche aufgrund einer Veröffentlichung einer Kurzzusammenfassung einer wissenschaftlichen Studie zu Mikroplastikemissionen zu entscheiden. Die Klägerinnen waren zwei Unternehmen, die Sportbeläge und Kunstrasenplätze herstellen bzw. vertreiben. Sie machten geltend, infolge der Veröffentlichung der Kurzzusammenfassung der Studie zu Mikroplastikemissionen Umsatzeinbußen erlitten zu haben.
Zu klären sei laut LG daher die zutreffende Sinndeutung der streitgegenständlichen Äußerungen. Abzustellen sei dabei auf das Verständnis eines gesellschaftspolitisch und naturwissenschaftlich interessierten und verständigen Lesers, da dieser dem angesprochenen Leserkreis der Kurzzusammenfassung entspreche. Aufgrund der zunehmenden Bedeutung von Umweltschutz im Allgemeinen und Mikroplastik im Besonderen richte sich die Studie nicht nur an Fachleute, sondern vielmehr an die Allgemeinheit. Aus Sicht des Lesers gehe aus der Zusammenfassung der Studie die Aussage hervor, dass Verwehungen von Sport- und Spielplätzen, insbesondere Fußballkunstrasenplätzen, in Deutschland Mikroplastikemissionen in Höhe von 131,8 bzw. 96,6 g pro Einwohner in Deutschland pro Jahr verursachen und insoweit im Vergleich zu den übrigen in der Kurzfassung genannten Mikroplastikemissionen die fünftgrößte bzw. drittgrößte Quelle von Mikroplastikemissionen darstellen.
Das LG hatte sich in diesem Rahmen mit der Frage zu befassen, inwiefern es sich bei diesen Äußerungen um Tatsachen oder Werturteile handelte. Es orientierte sich zunächst an der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu der Einordnung von Sachverständigengutachten. Ebenso wie bei einem solchen handele es sich auch bei wissenschaftlichen Stellungnahmen in der Regel um Meinungsäußerungen bzw. Wertungen. Geäußert werde meist die Existenz einer Tatsache, über die die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aufgrund ihrer Untersuchungen und Überlegungen Gewissheit erlangt zu haben meinen. Es sei dem auch nicht entgegenzuhalten, dass diese Behauptungen durch Verwendung besserer Erkenntnismittel oder durch Aufdeckungen von Irrtümern bei den dem Ergebnis vorangegangenen Untersuchungen auf ihren Wahrheitsgehalt untersucht werden könnten – dies folge nämlich bereits aus der prinzipiellen Unabgeschlossenheit jeglicher wissenschaftlicher Erkenntnis. Auch ein von den Klägerinnen verlangter „Abspruch der Wissenschaftlichkeit“ aufgrund grober methodischer Fehler würde nichts an der Einordnung der Äußerungen als Werturteile ändern können, denn die wissenschaftliche Stellungnahme würde trotzdem als Kundgabe der subjektiven Wahrnehmung des Autors oder der Autorin und des daraus gewonnenen Urteils zu verstehen sein. Diese Äußerungen können mithin laut Gericht einen Eingriff in Rechte der Klägerinnen darstellen.
Ein Unterlassungs- oder Schadensersatzanspruch aufgrund der Veröffentlichung einer Kurzzusammenfassung einer Studie zu Mikroplastikemissionen besteht für Unternehmen nicht, da die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 und Abs. 3 GG gegenüber dem Allgemeinen (Unternehmens-) Persönlichkeitsrecht und der geschäftlichen Ehre überwiegen.
In der vom LG München I durchgeführten Abwägung der sich entgegenstehenden Rechte fiel die Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG und die Wissenschaftsfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 GG des Beklagten allerdings stärker ins Gewicht als das Allgemeine (Unternehmens-)Persönlichkeitsrecht und die geschäftliche Ehre der Klägerinnen. Die Auswahl, Interpretation und Bewertung von Quellen sei Inbegriff des wissenschaftlichen Forschungsprozesses, und der durch die Wissenschaftsfreiheit verbürgte Freiraum des Beklagten sei hier zu beachten. Ein Unterlassungs- oder Schadensersatzanspruch aufgrund der Veröffentlichung einer Kurzzusammenfassung einer Studie zu Mikroplastikemissionen besteht für Unternehmen nicht.
4. Beachtung von Mikroplastikeinträgen in der Planaufstellung
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 3. November 2020 – 9 A 7/19
Im Rahmen einer Anfechtung des Planfeststellungsbeschlusses für den deutschen Vorhabensabschnitt des Neubaus einer Festen Fehmarnbeltquerung von Puttgarden nach Rødby entschied das Bundesverwaltungsgericht, dass die Beanstandung des Klägers, die Behandlung von Mikroplastikeinträgen bei der Planaufstellung sei unzureichend gewesen, nicht begründet ist.
Mikroplastikpartikel von Reifenabrieb und Fahrbahnmarkierungen, die über die Straßenentwässerung ins Meer gelangen können, sind im Rahmen der Planaufstellung mangels gesetzlicher Vorgaben kein tauglicher Bewertungsparameter.
Nach geltender Rechtslage seien Mikroplastikpartikel von Reifenabrieb und Fahrbahnmarkierungen, die über die Straßenentwässerung ins Meer gelangen können, kein Bewertungsparameter für den Gewässerzustand, mangels Vorgaben in der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie oder in den Verordnungen zur Wasserrahmenrichtlinie. Auch die Europäische Kommission habe in einem Bericht vom 8. November 2017 an das Europäische Parlament eingeräumt, dass es noch kein genormtes Messverfahren gebe, mit dem für Mikroplastik eine messtechnisch erfassbare Erhöhung der Schadstoffkonzentration in den Gewässern nachgewiesen werden könne. Auch der genaue Anteil von Mikroplastik an der Luftverschmutzung und der Meeresverschmutzung sei noch nicht hinreichend geklärt. Bereits aus diesen Gründen sei das Vorbringen des Klägers daher kein tauglicher Bewertungsmaßstab. Diese Wertung bestätigte das BVerwG in seinem Urteil vom 24. Februar 2021 (9 A 8.20, Rn. 84).
Das Bundesverwaltungsgericht wies außerdem darauf hin, dass im fraglichen Planfeststellungsbeschluss dennoch ein möglicher Eintrag von Mikroplastik bewertet wurde, mit dem Ergebnis, dass die zu erwartenden Mikroplastikeinträge aus dem Vorhaben wohl „schwindend gering“ seien im Verhältnis zu den Einträgen aus allen Fließgewässern zur westlichen Ostsee. Mangels einer substantiierten Darlegung des Gegenteils durch den Kläger müsse die Rüge daher auch unter diesem Gesichtspunkt unbeachtet bleiben.
5. Gesundheitsgefährdende Mikroplastik-Auswirkungen durch Windräder
Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 22. November 2021 – 8 A 973/15
Das Oberverwaltungsgericht NRW musste sich in diesem Verfahren mit der Anfechtung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb von Windenergieanlagen auseinandersetzen. Die Klägerin berief sich auf eine mögliche Mikroplastikbelastung ihres Grundstücks, welche durch den Mikroplastikabrieb entstehe, der an Rotorblättern von Windenergieanlagen freigesetzt wird und in den Boden gelangen könne. Sie machte geltend, die durchgeführte UVP-Vorprüfung sei nicht nachvollziehbar, da die Erosion von Mikropartikeln an den Rotorblättern nicht hinreichend berücksichtigt wurde, obwohl diese Partikel erhebliche nachteilige Auswirkungen auf das umliegende Gebiet haben könnten. Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) führte dazu zunächst aus, dass im Rahmen einer standortbezogenen Vorprüfung nicht auf die allgemeine Umweltrelevanz des Vorhabens einzugehen sei, sondern nur auf solche Auswirkungen, die die besondere Empfindlichkeit oder die Schutzziele des Gebiets betreffen, was die Klägerin jedoch nicht hinreichend darlegen konnte.
Das OVG NRW äußerte sich darüber hinaus trotzdem ausführlich zu der Berücksichtigung einer möglichen Belastung mit Mikroplastik. Nach dem Umweltbundesamt seien unter Mikroplastik kleine Kunststoffpartikel und -fasern unterschiedlicher Herkunft, Größe und Form und chemischer Zusammensetzung zu verstehen, wobei die Größenangaben nicht einheitlich definiert seien und meist zwischen 1 μm bis kleiner als 5 mm schwanken würden. Das OVG NRW stellte dann fest, dass die Annahme der Klägerin, dass eine Gesundheitsgefährdung infolge des Einatmens der durch die Erosion entstehenden Mikroplastikpartikel bestehe, zurzeit nicht belegt werden könne. Weder von der im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung geltenden TA Luft 2002 noch von der Nachfolgevorschrift TA Luft 2021 seien Mikropartikel berücksichtigt worden. Es bestünden daher keine konkreten Vorgaben für Immissionen und Emissionen von Mikroplastik.
Das OVG NRW zeigt mit diesen Ausführungen, dass mit fortschreitender Forschung durchaus auch eine andere Einordnung einer möglichen Beeinträchtigung durch Mikroplastik möglich ist. Momentan bietet aber weder die Forschung noch die Gesetzeslage eine hinreichende Grundlage, um einen umfassenden Schutz vor Mikroplastikpartikeln durchzusetzen. Das OVG NRW bestätigte diese Rechtsprechung in zwei ähnlich gelagerten Fällen in 2022 (Urteil vom 17. März 2022 – 7 D 303/20.AK; Urteil vom 8. September 2022 – 7 D 38/21.AK). Es bleibt abzuwarten, ob durch neue Regelungen auf EU-Ebene eine differenzierende Einordnung in naher Zukunft stattfinden wird.
Zwar trug die Klägerin keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass die Mikroplastikpartikel einen aerodynamischen Durchmesser von kleiner als 10 μm aufweisen, dennoch stellte das OVG NRW Überlegungen an, ob Mikroplastik denn als Schwebstaub im Sinne der TA Luft 2002 verstanden werden könnte. Selbst wenn man zugunsten der Klägerin davon ausgehe, dass ein solcher aerodynamischer Durchmesser vorläge, gäbe es trotzdem keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür, dass die für Schwebstaub in der TA Luft 2002 festgelegten Immissionsgrenzwerte durch die Erosion an den Rotorblättern überschritten wurden. Dies begründete das OVG NRW mit der Volatilität der Windgeschwindigkeit und Windrichtung und der damit einhergehenden Unvorhersehbarkeit der Verteilung der Mikroplastikartikel.
Weiter lassen sich durch den Verweis auf den Abschlussbericht des Umweltbundesamtes „Entwicklung eines Konzepts und Maßnahmen für einen ressourcensichernden Rückbau von Windenergieanlagen“ keine krebserregenden Eigenschaften von erodierten Mikroplastikpartikeln begründen, da bei dem bestimmungsgemäßen Betrieb der Windenergieanlage keine lungengängigen Partikel entstehen könnten.
Das OVG NRW stellte daraufhin fest, dass auch unter bodenschutzrechtlichen Gesichtspunkten zum jetzigen Zeitpunkt keine Beeinträchtigung durch Mikroplastikpartikel vorliegen könne. Mangels gesetzlicher Regelungen seien Mikroplastikpartikel, die durch Abrieb an den Rotorblättern von Windenergieanlagen freigesetzt werden können und in den Boden gelangen können, keine Bewertungsparameter für den Bodenzustand. In Betracht komme allenfalls das Emissionsminimierungsgebot für Einträge in den Boden von Schadstoffen im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Bundes-Bodenschutzverordnung (BBodSchV), welches in § 10 Abs. 2 BBodSchV geregelt ist. Das Gebot gilt für solche Schadstoffe, für die in Anhang 2 Nr. 4 BBodSchV keine Vorsorgewerte festgesetzt sind und die aufgrund ihrer krebserzeugenden, erbgutverändernden, fortpflanzungsgefährdenden oder toxischen Eigenschaften in besonderem Maße geeignet sind, schädliche Bodenveränderungen herbeizuführen. Das OVG NRW führte aus, dass dieses Emissionsminimierungsgebot der Vorsorgepflicht des § 7 BBodSchG zuzuordnen sei. Es sei eine Parallele zum § 5 Abs. 1 Nr. 2 Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) zu ziehen, welcher ebenfalls eine Vorsorgepflicht normiert und für den laut Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts feststeht, dass für einen Dritten grundsätzlich kein Anspruch auf Einhaltung der normierten Vorsorgeanforderungen besteht. Dieser Gedanke sei auf § 7 BBodSchG zu übertragen.
Unabhängig davon habe die Klägerin aber sowieso keine hinreichenden Ausführungen vorgebracht, die auf krebserzeugende, erbgutverändernde, fortpflanzungsgefährdende oder toxische Eigenschaften von Mikroplastikpartikeln hindeuten könnten. Auch zu sonstigen gesundheitsgefährdenden Eigenschaften von Mikroplastikpartikeln seien bis jetzt keine ausreichenden Erkenntnisse vorhanden. Insbesondere gebe es keine fundierten Anhaltspunkte dahingehend, dass Mikroplastik infolge der Anreicherung im Boden möglicherweise in die dort angebauten Lebensmittel und über deren Aufnahme in den menschlichen Organismus gelangen und dort gesundheitsgefährdend wirken könnte. Gegenteilig führte das Bundesinstitut für Risikobewertung im Juni 2019 sogar aus, dass nach derzeitigem Wissensstand keine gesundheitlichen Risiken für Menschen durch Mikroplastikpartikel in Lebensmitteln ausgehe. Es könne momentan aufgrund mangelnder Datenlage noch keine abschließende Risikobewertung bezüglich der Wirkung von Mikroplastik auf die Darmbarriere erfolgen. Es sei bei Mikroplastikpartikeln, die kleiner als 1 mm seien, aber laut Bundesinstitut für Risikobewertung davon auszugehen, dass jedenfalls diese wieder vollständig über den Darm ausgeschieden werden. Über die systematische Verteilung im Körper sei wenig bekannt, laut der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) sei es aber sehr wahrscheinlich, dass nur Partikel mit einer Größe unter 150 μm die Darmbarriere grundsätzlich überwinden könnten, jedoch wiederum nur Teilchen kleiner als 1,5 μm im Körper verteilt werden könnten, wobei verfügbare Studien zeigten, dass die Absorption im Darm mit 0,04 – 0,3 % gering ausfalle. Es lägen außerdem keine Publikationen zur Wirkung von Mikroplastik auf den Menschen vor. Außerdem teilte das Umweltbundesamt mit, dass die gegenwärtige Informations- und Datenlage hinsichtlich der Erfassung des quantitativen Eintrags von Kunststoffen in den Boden noch ungenügend und mit großen Unsicherheiten behaftet sei. Der von der Klägerin geforderte generelle Mindestabstand von 1.000 m bzw. 1.500 m sei daher ebenfalls nicht begründungsfähig.
6. Zukunftspläne der EU-Kommission
Ausblick: Mikroplastik-Initiative der EU-Kommission
Im November 2021 veröffentlichte die EU-Kommission eine Aufforderung zur Stellungnahme zu einer Folgenabschätzung zu Mikroplastik, welche die Öffentlichkeit und Interessenträger über die Rechtsetzungspläne der Kommission informieren und eine Möglichkeit zur Rückmeldung über die Pläne der Kommission bieten sollte. Die Kommission möchte die Verwirklichung einer klimaneutralen Kreislaufwirtschaft weiter vorantreiben und die Kunststoffindustrie zu einem nachhaltigen Modell bewegen, wodurch weniger Einwegprodukte und weniger Emissionen während des gesamten Lebenszyklus eines Produkts freigesetzt werden. Ziel der Initiative ist es, an der Quelle – beim Produkt – anzusetzen und die unbeabsichtigte Freisetzung von Mikroplastik in die Umwelt zu reduzieren und somit die Umweltverschmutzung zu minimieren und potentielle gesundheitliche Risiken für Menschen einzudämmen.
Die EU-Kommission hat am 26. Oktober 2022 einen Vorschlag für eine Novellierung der Richtlinie über kommunales Abwasser veröffentlicht, in der die Vorhaben der Kommission zum zukünftigen Umgang mit Mikroplastik Berücksichtigung finden. So sollen die Mitgliedstaaten durch einen neuen Art. 21 der Kommunalabwasserrichtlinie dazu verpflichtet werden, den Mikroplastik-Gehalt im kommunalen Abwasser und auch im Klärschlamm in Zukunft zu überwachen.
Während die Kommission den gezielten Zusatz von Mikroplastik im Rahmen der Überarbeitung der REACH-Verordnung unter Berücksichtigung des Vorschlags der ECHA bearbeitet und insoweit am 30. August 2022 den Vorschlag für eine entsprechende Ergänzung des Anhangs XVII REACH veröffentlichte, befasst sich die hier vorgestellte Initiative mit den sonstigen genannten Zielen in Bezug auf unbeabsichtigt freigesetztes Mikroplastik. Gegenstand der Initiative ist es unter anderem, Marktanreize für Unternehmen zu schaffen, Maßnahmen zur Reduzierung der unbeabsichtigten Freisetzung von Mikroplastik zu ergreifen. Freiwillige Ansätze seien bisher kaum vorgekommen und hätten kaum eine Reduktion erbracht. Es sollen daher Kennzeichnungs-, Standardisierungs-, Zertifizierungs- und Regulierungsmaßnahmen in Bezug auf die unbeabsichtigte Freigabe von Mikroplastik entwickelt werden, einschließlich Maßnahmen zur Erhöhung der Abscheidung von Mikroplastik in allen relevanten Phasen des Lebenszyklus von Produkten. Es sollen zudem Methoden zur Messung von unbeabsichtigt freigesetztem Mikroplastik weiterentwickelt und harmonisiert werden sowie harmonisierte Daten über Mikroplastikkonzentrationen im Meerwasser bereitgestellt werden. Der Fokus der Maßnahmen wird auf die Bereiche gelegt, welche auf europäischer Ebene den größten Anteil der Verschmutzung durch Mikroplastik ausmachen: Reifenabrieb, Kunststoffgranulat aus der Vorproduktion und während seines gesamten Lebenszyklus und synthetische Textilien während ihres gesamten Lebenszyklus. Die Initiative soll dabei mit anderen neuen und laufenden Initiativen abgestimmt werden, unter anderem mit der Überprüfung der Richtlinien über Industrieemissionen und über die Behandlung von kommunalem Abwasser sowie der EU-Strategie für eine nachhaltige Gestaltung und Herstellung von Textilien.
Die EU-Kommission hat am 26. Oktober 2022 einen Vorschlag für eine Novellierung der Richtlinie über kommunales Abwasser (COM(2022) 541 final) veröffentlicht, in der die Vorhaben der Kommission zum zukünftigen Umgang mit Mikroplastik Berücksichtigung finden. Danach sollen die Mitgliedstaaten durch einen neuen Art. 21 Abs. 3 UAbs. 1 Buchst. b) der novellierten Kommunalabwasserrichtlinie dazu verpflichtet werden, dass die nationalen Behörden bei allen Gemeinden mit mehr als 10.000 EW an den Zu- und Abläufen von kommunalen Abwasserbehandlungsanlagen die Konzentrationen und Lasten von Mikroplastik überwachen müssen. Durch einen neuen Art. 21 Abs. 3 UAbs. 2 sollen die Mitgliedstaaten zudem verpflichtet werden, bei allen Gemeinden mit mehr als 10.000 EW das Vorhandensein von Mikroplastik auch im Klärschlamm zu überwachen. Die Überwachung muss bei Gemeinden mit 100.000 EW und mehr mindestens mit zwei Probenahmen pro Jahr erfolgen, wobei zwischen den Probenahmen höchstens sechs Monate liegen dürfen; bei Gemeinden mit 10.000 bis 100.000 EW muss die Überwachung durch mindestens eine Probenahme alle zwei Jahre erfolgen, vgl. den neuen Art. 21 Abs. 3 UAbs. 3 der geplanten Novelle der Kommunalabwasser-Richtlinie.
Es bleibt abzuwarten, welche Regelungen in den übrigen abzustimmenden Initiativen zur Eindämmung von Mikroplastik getroffen werden.
Mit der Veröffentlichung der hier vorgestellten Initiative lief vom 30. November 2021 bis zum 18. Januar 2022 die Frist für die Interessenträger und die Öffentlichkeit, um Rückmeldungen bei der Kommission einzureichen, bevor dann vom 22. Februar 2022 bis zum 17. Mai 2022 eine öffentliche Online-Konsultation stattfand. Erst am 6. März 2023 hat die Kommission den zusammenfassenden Bericht über die öffentliche Konsultation zu dieser Initiative veröffentlicht. Mit einer Annahme durch die Kommission war ursprünglich für das IV. Quartal 2022 gerechnet worden.