Rechtsprechungsreporte Abfallrecht

von

Rechtsprechungsreport Abfallrecht März 2025

Artikel als PDF herunterladen


Liebe Mandantinnen und Mandanten,
sehr geehrte Damen und Herren,

mit dem vorliegenden Report bringen wir Sie auf den aktuellen Stand der Rechtsprechung zum Abfallrecht. Aus den in den letzten Monaten ergangenen Entscheidungen zum Abfallrecht haben wir 14 interessante Entscheidungen ausgewählt, die wir Ihnen vorstellen möchten. Unter diesen 14 Entscheidungen finden Sie z.B. einen von Franßen & Nusser erstrittenen, derzeit noch unveröffentlichten Beschluss des Hessischen VGH zur Verpflichtung eines Deponiebetreibers, freigegebenen Bauschutt aus dem Rückbau des Kernkraftwerks Biblis anzunehmen. Zudem hat das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsgemäßheit der Tübinger Verpackungssteuer bestätigt – eine Entscheidung, auf die viele Kommunen gewartet haben, um bei sich vergleichbare Steuern einzuführen.

Wir wünschen Ihnen viele neue und nützliche Erkenntnisse bei der Lektüre!

Und wenn Sie Anregungen oder sonstige Hinweise zu unserem Rechtsprechungsreport haben, freuen wir uns über Ihre Nachricht.

Ihr Franßen & Nusser Umweltrechtsteam

Inhaltsverzeichnis

    1. Abfalleigenschaft von funktionsuntüchtigen Fahrzeugen

    OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 28.8.2024 – 5 LA 26/23

    Abfälle im Sinne des Kreislaufwirtschaftsgesetzes sind gemäß § 3 Abs. 1 KrWG unter anderem alle Gegenstände, derer sich ihr Besitzer entledigen will. Der Wille zur Entledigung ist nach § 3 Abs. 3 Nr. 2 KrWG anzunehmen, wenn deren ursprüngliche Zweckbestimmung entfällt oder aufgegeben wird, ohne dass ein neuer Verwendungszweck unmittelbar an deren Stelle tritt.

    In einem Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein wehrte sich der Kläger erfolglos gegen eine Beseitigungsanordnung, welche ihn dazu verpflichtet mehrere Fahrzeuge, die auf seinem Privatgrundstück stehen, zu entsorgen. Das Gericht sah die ursprüngliche Zweckbestimmung der streitbefangenen Fahrzeuge als Fortbewegungsmittel als entfallen an, da die Fahrzeuge abgemeldet und nicht fahrbereit seien. Zwar sei es grundsätzlich möglich, dass eine ursprüngliche Zweckbestimmung erhalten bleibt, wenn der Gegenstand aktuell nicht benutzbar, aber reparaturfähig ist. Dafür müsse die Reparatur jedoch in absehbarer Zeit in Aussicht stehen. Da in den vier Jahren seit Erlass der Beseitigungsanordnung jedoch keine derartigen Maßnahmen unternommen wurden, sei nicht damit zu rechnen.

    Dass der Kläger die Fahrzeuge als Ersatzteillager ansieht, begründe – so das Gericht – keinen neuen Verwendungszweck, der unmittelbar an die Stelle des alten getreten ist. Unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung, die der Beurteilung zugrunden zu legen sei, entspreche die neue Zweckbestimmung nicht mehr vernünftigen, von der Verkehrsanschauung respektierten Erwägungen. Wird ein für den ursprünglichen Zweck nicht mehr verwendbarer Gegenstand vorgehalten, um daraus durch „Ausschlachten“ je nach Bedarf Teile zu entnehmen, so handele es sich bei der Gesamtsache nach der Verkehrsanschauung um Abfall. Die entnommenen Einzelteile könnten ihre Abfalleigenschaft zwar wieder verlieren, indem sie einem neuen Verwendungszweck zugeführt werden. Dies ändere jedoch nichts daran, dass die Gesamtsache lediglich für die Entnahme der Einzelteile bereitgehalten wird; dieser Zustand weise die für die Abfalleigenschaft charakteristische Ungewissheit auf.

    Hinzu komme, dass das Gesetz das beim „Ausschlachten“ stattfindende (Teil-)Recycling als eine Form der Abfallverwertung ansehe (§ 3 Abs. 25 i.V.m. Abs. 23 KrWG). Für die Demontage von Altfahrzeugen mit dem Ziel der Verwertung gelte nichts Anderes (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. Nr. 2 AltfahrzeugV). Die Demontage sei nach der Verkehrsanschauung, die unter anderem durch die für Altfahrzeuge geltende Rechtsordnung geprägt wird, nicht Aufgabe von Privatpersonen, sondern von hierzu qualifizierten Demontagebetrieben (vgl. Anhang Nr. 3 i.V.m. § 5 Abs. 2 und 3, § 2 Abs. 2 Nr. 2 AltfahrzeugV).

    Link zur Entscheidung

    2. Abfalleigenschaft von zu Protestzwecken genutzten landwirtschaftlichen Anhängern

    Bayerischer VGH, Beschluss vom 16.12.2024 – 12 ZB 23.2024

    Mit einer ganz ähnlichen Fragestellung wie das OVG Schleswig-Holstein (Nr. 1) hat sich der Bayerische VGH befasst. In diesem Verfahren ging es um die abfallrechtliche Einstufung von sieben landwirtschaftlichen Anhängern. Diese waren von dem Kläger teilweise mit Stroh, Brennholz, verschiedenen Baumaterialien (Sandwichplatten) und Gerätschaften ohne Schutz gegen die Witterung beladen und sodann auf den Grundstücken des Klägers im Sichtbereich einer Gemeindeverbindungsstraße aufgestellt und jedenfalls teilweise mit gegen die Gemeinde und die mangelhafte Erschließung des Anwesens des Klägers gerichteten Protestplakaten versehen worden. Die Anhänger selbst machten einen stark verbrauchten und verwahrlosten Eindruck und verfügten über keine Betriebserlaubnis. Unbekannte hatten zudem einige der Anhänger umgeworfen und dadurch beschädigt.

    Das Gericht hatte keine Zweifel an der Einschätzung der Vorinstanz, dass diese Anhänger den objektiven Abfallbegriff des § 3 Abs. 4 KrWG erfüllen. Danach muss sich der Besitzer von Stoffen oder Gegenständen im Sinne von § 3 Abs. 1 KrWG entledigen, wenn diese nicht mehr entsprechend ihrer ursprünglichen Zweckbestimmung verwendet werden, aufgrund ihres konkreten Zustandes geeignet sind, gegenwärtig oder künftig das Wohl der Allgemeinheit, insbesondere die Umwelt, zu gefährden und deren Gefährdungspotenzial nur durch eine ordnungsgemäße und schadlose Verwertung oder gemeinwohlverträgliche Beseitigung nach den Vorschriften des KrWG und der aufgrund dieses Gesetzes erlassener Rechtsverordnungen ausgeschlossen werden kann.

    Die Anhänger würden – so das Gericht – nicht mehr ihrer ursprünglichen Zweckbestimmung entsprechend, d.h. zum Transport landwirtschaftlicher Güter, verwendet, sondern sie dienten momentan ausschließlich Protestzwecken. Von ihnen gehe aufgrund ihres konkreten Zustands auch eine Gefährdung für das Wohl der Allgemeinheit, insbesondere der Umwelt aus. Namentlich böten sie in ihrem Zustand für Dritte Anlass und Gelegenheit, auf dem Grundstück des Klägers weiteren Müll abzulagern, was zu einer möglichen Gefährdung der Umwelt führe. Dass unter Umständen von den Anhängern und deren Ladung selbst keine konkrete oder drohende Gefährdung für die Umwelt ausgeht, sei unbeachtlich.

    Link zur Entscheidung

    3. Abfalleigenschaft von Bodenmassen

    VG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 12.9.2024 – VG 5 L 254/24

    In einem Eilverfahren vor dem VG Frankfurt (Oder) ging es um Fragen der Darlegungs- und Beweislast für die Abfalleigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 KrWG von Materialien auf der Fläche eines zwischenzeitlich stillgelegten Erdstoffzwischenlagers. Das Gericht erachtete insoweit die Behörde als darlegungs- und beweisbelastet. Zudem hielt es die Darlegung der Behörde für nachvollziehbar, dass es sich bei den Materialien gemäß einer von ihr in Auftrag gegebene fachgutachterlicher Bestandsaufnahme um insgesamt ca. 417.000 Tonnen Abfall mit dem Abfallschlüssel 17 05 04 handele und diese wiederum Abfälle im Sinne der Genehmigung des früher betriebenen Erdstoffzwischenlagers darstellten. Hingegen genüge es nicht, wenn die Besitzerin der Materialien lediglich pauschal anzweifelt, ob bzw. in welchem Umfang es sich bei den Massen überhaupt um Abfall handele, bzw. sie die Abfalleigenschaft mit Nichtwissen bestreitet.

    Sodann äußerte sich das Gericht zu der Darlegungs- und Beweislast für das Ende der Abfalleigenschaft gemäß § 5 Abs. 1 KrWG der in Rede stehenden Materialien. Dabei ließ das Gericht offen, ob diese Darlegungs- und Beweislast bei der Behörde oder bei dem Abfallbesitzer liege. Sofern sie bei der Behörde liege, reiche es aus, wenn die Behörde – aufgrund äußerlich leicht aufklärbarer Umstände wie der äußeren Zusammensetzung der gelagerten Stoffe – lediglich den Nachweis führt, dass es an einem hinreichenden Verwertungsvorgang fehlt. Im Zusammenhang mit Bauschutt bedeute dies etwa, dass anhand des äußerlich erkennbaren Eindrucks nicht mehr nachgewiesen werden muss, als dass die Zusammensetzung der Massen auf eine mangelnde Vorbehandlung und Vorsortierung schließen lässt. Unter diesen Umständen obliege der Behörde auch nicht die gesonderte Nachweispflicht, dass von den abgelagerten Massen konkrete Gefahren ausgehen. Erst in dem Fall, in dem der Betroffene eine Gütesicherung in Form der äußerlich erkennbaren ausreichenden Vorsortierung und Aufbereitung vorgenommen hat sowie den Nachweis der Beprobung führen kann, obliege es der Behörde, eine dennoch von dem Material ausgehende konkrete Gefährdung nachzuweisen. In dem entschiedenen Verfahren würden die in den Verwaltungsvorgängen enthaltenen Lichtbilder aufzeigen, dass die streitgegenständlichen Bodenmassen mit Bauschutt durchsetzt sind. Auch die von der Behörde in Auftrag gegebene gutachterliche Bestandsaufnahme weise die Ablagerungen als Boden mit einem Bauschuttanteil von ca. 10 Prozent aus. Es handele sich mithin um ein unsortiertes (Abfall-)Gemisch aus Boden und Bauschutt. Diese Feststellungen würden auch nicht durch die pauschale Behauptung des Abfallbesitzers erschüttert, die Massen seien sortiert worden, sodass diese nunmehr zur Verfüllung genutzt werden könnten.

    Link zur Entscheidung

    4. Abfalleigenschaft von gesichtetem und vorsortiertem Bauschutt

    Bayerischer VGH, Beschluss vom 9.8.2024 – 22 ZB 23.1077

    Bei Bauschutt, der bei Abrissarbeiten anfällt, handelt es sich nach Auffassung des Bayerischen VGH um Abfall, da der (Haupt-)Zweck der Handlung auf Behandlung einer Sache (nämlich den Abriss) gerichtet ist, nicht aber auf den Anfall und die Verwertung der dadurch entstehenden beweglichen Sachen. Der bloße Wille, den Bauschutt zur Rekultivierung von Kiesgruben zu verwenden, ändert hieran nichts, da diese Verwendung – so das Gericht – bereits eine Maßnahme der (späteren) Verwertung des Abfalls darstellen würde.

    Diese Abfalleigenschaft des in Rede stehenden Bauschutts habe auch nicht mit einer angeblich erfolgten Sichtung und/oder Vorsortierung geendet. Zwar könne für das Ende der Abfalleigenschaft ein Verwertungsverfahren nach § 3 Abs. 23 KrWG auch bereits in der bloßen Sichtung des Abfalls bestehen, um nachzuweisen, dass er die Kriterien für das Ende der Abfalleigenschaft gemäß § 5 Abs. 1 KrWG erfüllt. Demzufolge können schon Verfahren der Prüfung, Reinigung und geringfügigen Reparatur zur Beendigung der Abfalleigenschaft genügen. Dies bedeute aber nicht, dass Bauschutt immer bereits dann ein Verwertungsverfahren durchlaufen hat, wenn er gesichtet und vorsortiert wurde. Dies dürfte nur für solche Abfälle in Betracht kommen, die ohne weitere Aufbereitung wieder verwendungsfähig sind. Auch nach der Rechtsprechung des EuGH in der Sache Porr Bau (siehe hierzu unsere Mandanteninformation von November 2022) müsse sich bei der Sichtung ergeben, dass die Verwendung des Stoffes nicht zu schädlichen Umwelt- und Gesundheitsfolgen führt. An derartigen Erkenntnissen über die Auswirkungen des Bauschutts fehle es vorliegend.

    Für die pauschale Forderung eines positiven Marktpreises stützt sich der Bayerische VGH ausschließlich auf Stimmen im Schrifttum, die einen solchen positiven Marktpreis fordern, und blendet diejenigen gewichtigen Stimmen aus, die auch bei einem negativen Marktpreis ein Ende der Abfalleigenschaft als möglich erachten.

    Mit Blick auf das Abfallende-Kriterium des § 5 Abs. 1 Nr. 2 KrWG führt der Bayerische VGH weiter aus, dass nur ein positiver Marktpreis einen Markt und eine Nachfrage begründen könne. Ein nachgewiesener positiver Preis belege, dass ein Markt und eine Nachfrage existierten. Umgekehrt schließe ein negativer Preis einen Markt oder eine Nachfrage aus und begründe die Abfalleigenschaft. Muss der Besitzer des Stoffes ein Entgelt dafür entrichten, dass er den Stoff abgenommen bekommt, indiziere dies das Nichtbestehen eines Marktes oder einer Nachfrage; der Schluss, dass es sich um Abfall handelt, sei berechtigt.

    Schließlich führt der VGH aus, dass die Abfalleigenschaft des Bauschutts auch nicht durch die Einbringung in eine Kiesgrube endete. Die Anwendbarkeit des KrWG ende unabhängig von der Abfalleigenschaft der Stoffe spätestens dann, wenn sie zu Boden im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 10 KrWG i.V.m. § 2 Abs. 1 BBodSchG geworden sind. Entscheidend hierfür sei die dauerhafte Verbindung mit Grund und Boden, wofür die abfallrechtliche Verkehrsauffassung maßgeblich sei. Bei der Verfüllung von Gruben und Senken komme es darauf an, ob und inwieweit eine Trennung der abgelagerten Abfälle noch möglich ist oder nicht. Wurden Stoffe nicht nur lose etwa in einen Steinbruch verfüllt, sondern die Oberfläche nach Abschluss der Verfüllung dem Geländeprofil angepasst, planiert und durch Aussaat bepflanzt, wobei auch der Wille des Grundstückseigentümers auf die Herstellung einer dauerhaften festen Verbindung mit dem Grundstück gerichtet ist, so hätten die Stoffe mit dem Abschluss der Verfüllungsmaßnahme ihre Abfalleigenschaft verloren mit der Folge, dass nicht mehr Abfallrecht, sondern Bodenschutzrecht anzuwenden sei. Diese Voraussetzungen lagen nach Auffassung des Gerichts im entschiedenen Fall nicht vor. Es fehle an einer Bepflanzung durch Aussaat, und auch sei der Wille des Grundstückseigentümers nicht auf die Herstellung einer dauerhaften Verbindung mit dem Boden gerichtet gewesen.

    Link zur Entscheidung

    5. Abfalleigenschaft eines Produktionsrückstands der Zementherstellung

    VG Sigmaringen, Beschluss vom 20.11.2024 – 8 K 3540/23

    In einem Eilverfahren hatte sich das VG Sigmaringen mit der abfallrechtlichen Einordnung eines Produktionsrückstands der Zementherstellung zu befassen. Konkret ging es um ein sog. Bypassstaub-Rohmehl-Gemisch, das im Rahmen der Zementherstellung in der Produktionsstufe der Zementklinkerherstellung anfällt. Von einem Heißgasstrom aus staubförmigen Mehlpartikeln mit kondensierten Alkalichloriden und weiteren gasförmigen Alkalichloriden wird ein Teil abgezweigt und in eine Bypassanlage geleitet, wo ihm kalte Umgebungsluft und frisches Rohmehl zugegeben wird, damit die restlichen gasförmigen Alkalichloride an den Mehlpartikeln kondensieren. Anschließend werden die Mehlpartikel abgeschieden und in ein Silo transportiert, von wo aus sie später für die Herstellung von Zement und Spezialbindemittel weiterverarbeitet werden.

    Die Behörde ging von der Abfalleigenschaft des Gemisches aus und erlies einen entsprechenden feststellenden Bescheid. Zugleich stellte die Behörde fest, dass es sich bei dem Gemisch in Abhängigkeit der Schadstoffgehalte entweder um einen gefährlichen Abfall mit dem AVV-Abfallschlüssel 10 13 12* oder um einen nicht gefährlichen Abfall mit dem AVV-Abfallschlüssel 10 13 13 handele.

    Das Gericht bestätigte diese Ansicht. Das Gemisch dürfte Abfall i.S.d. § 3 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 KrWG und kein Nebenprodukt i.S.d. § 4 Abs. 1 KrWG sein. Jedenfalls die Nebenproduktvoraussetzung nach § 4 Abs. 1 Nr. 4 KrWG dürfte nicht vorliegen. Nach dieser Bestimmung muss die weitere Verwendung eines Stoff oder Gegenstandes rechtmäßig sein, um als Nebenprodukt angesehen zu werden; dies ist der Fall, wenn der Stoff oder Gegenstand alle für seine jeweilige Verwendung anzuwendenden Produkt-, Umwelt- und Gesundheitsschutzanforderungen erfüllt und insgesamt nicht zu schädlichen Auswirkungen auf Mensch und Umwelt führt.

    Als Produkt-, Umwelt- und Gesundheitsschutzanforderungen i.S.d. § 4 Abs. 1 Nr. 4 KrWG kommen auch die Anforderungen des Zementherstellers an seine Inputmaterialien in Betracht. Diese werden vom Gericht jedoch nicht berücksichtigt.

    Nach Auffassung des Gerichts enthält das Produkt-, Umwelt- und Gesundheitsschutzrecht keine Anforderungen an das Bypassstaub-Rohmehl-Gemisch. Selbiges gelte für die Spezialbindemittel. Für den Zement gebe es eine Qualitätsbegrenzung hinsichtlich des Chlorgehalts und eines maximalen Gehalts undefinierter Nebenbestandteile, die eingehalten sein dürften, und im Übrigen keine weiteren Anforderungen. Folglich enthalte das bestehende Recht im Hinblick auf das Gemisch Schutzlücken. Daraus resultierend dürfte der Gesundheits- und Umweltschutz nicht sichergestellt sein, weshalb die Voraussetzungen für die Anerkennung des Gemisches als Nebenprodukt folgerichtig nicht gegeben sein dürften.

    Die Ausführungen des Gerichts zur EBV sind unzutreffend. Das Gericht beachtet im Hinblick auf Materialwerte und Überwachungswerte nicht den Unterschied zwischen Anforderungen an den Input und an den Output der Aufbereitungsanlagen und die unterschiedlichen Rechtsfolgen, die sich aus einer Überschreitung der Werte ergeben. Weiterhin verwechselt es Eluatwerte mit Feststoffwerten.

    Sodann zieht das Gericht die Regelungen der Ersatzbaustoffverordnung (EBV) über die Materialwerte und Überwachungswerte für Recycling-Baustoffe heran. Zwar handele es sich bei dem Bypassstaub-Rohmehl-Gemisch nicht um einen Recycling-Baustoff, und dieses sei auch nicht für den Einbau in technische Bauwerke geeignet und bestimmt. Aber das Gemisch werde im späteren Verlauf bei der Zementherstellung und bei der Herstellung von Spezialbindemitteln verwendet, die wiederum bei der Errichtung von Bauwerken verwendet werden. Die für das Gemisch ermittelten Schadstoffwerte betreffend Cadmium und Blei überstiegen die Materialwerte und Überwachungswerte der EBV deutlich. Bei einer Anwendbarkeit der EBV wäre die entsprechende Charge vorrangig ordnungsgemäß und schadlos zu verwerten oder gemeinwohlverträglich zu beseitigen und würde eine Verwendung des Gemischs in einem anderen Produkt wie Zement oder Spezialklinker ausscheiden. Eine mögliche schädliche Auswirkung des Gemischs auf Mensch und Umwelt lasse sich nicht ausschließen.

    Link zur Entscheidung

    6. Behördliche Bestimmung des Abfallschlüssels

    VG Karlsruhe, Urteil vom 23.10.2024 – 2 K 2700/23

    Das VG Karlsruhe hat entschieden, dass die Anordnung der zuständigen Behörde, eine Abfallfraktion unter einem bestimmten Abfallschlüssel zu entsorgen, auf § 62 KrWG gestützt werden kann. Werde von einem Erzeuger oder Besitzer ein Abfall mit einem unzutreffenden Abfallschlüssel nach der Anlage zu § 2 Abs. 1 AVV bezeichnet, sei die zuständige Abfallbehörde zum förmlichen Einschreiten im Wege der Einzelanordnung nach § 62 KrWG berechtigt.

    Die Vergabe eines zutreffenden Abfallschlüssels für bestimmte Abfallfraktionen sei bereits deshalb im Sinne des § 7 Abs. 3 Satz 2 und 3 KrWG relevant, da hiernach deren Einstufung als gefährliche oder nicht gefährliche Abfälle sowie bestimmte Anforderungen im Umgang mit den jeweiligen Abfällen wie auch deren Eigenschaften und etwaige Nachweispflichten klargestellt würden. Zugleich solle sie eine praktikable Grundlage für die Überwachung schaffen, damit nicht auf der Basis von Einzelanalysen für jeden konkreten Abfall gesondert entschieden werden müsse.

    Maßgebliches Kriterium für die Zuordnung eines bestimmten Materials zu den jeweiligen Schlüsselnummern des Abfallverzeichnisses seien die Herkunft der Abfälle und die zugrundeliegende Tätigkeit. Was hierunter zu verstehen sei, werde weder in der AVV selbst noch in der Anlage zu § 2 Abs. 1 AVV näher definiert und müsse daher durch Auslegung des jeweiligen Abfallschlüssels ermittelt werden. Je nach Formulierung der einschlägigen Abfallschlüssel könne auch der stofflichen Qualität der Abfallfraktion Bedeutung zukommen. Denn neben rein herkunftsbezogenen Definitionen bestünden auch qualitative Beschreibungen (Abfallschlüssel 18 01 01: „spitze oder scharfe Gegenstände“) sowie stoffliche Beschreibungen, also solche Definitionen oder Beispiele, die die Zusammensetzung der Abfälle beträfen (Abfallschlüssel 18 01 04: „z.B. Wund- und Gipsverbände, Wäsche, Einwegkleidung, Windeln“). Zudem könne die Legaldefinition der „Siedlungsabfälle“ in § 3 Abs. 5a KrWG zur Auslegung der im Abfallverzeichnis (Anlage zu § 2 Abs. 1 AVV) unter Kapitel 20 („Siedlungsabfälle“) gefassten Kategorie von Abfällen herangezogen werden.

    Auf dieser Grundlage erachtete das Gericht das in dem Verfahren streitgegenständliche, in einem Alten- und Pflegeheim anfallende Abfallgemisch aus Inkontinenzabfällen, Verbandsmaterial, Einmalwaschlappen, Papierhandtüchern, Desinfektionstüchern und Servietten als Abfälle mit dem Abfallschlüssel 18 01 04. Entgegen der Ansicht des Heimbetreibers handele es sich um ein mit Abfällen aus Krankenhäusern vergleichbares Abfallgemisch und sei daher als Abfall aus der humanmedizinischen Versorgung dem AVV-Kapitel 18 zuzuordnen. Das Heim werbe im Internetauftritt mit dem Vorhandensein von Pflegekräften ebenso wie bildlich mit dem Vorhandensein von Pflegebetten. Es sei nicht ansatzweise erkennbar, weshalb sich die Einrichtung – je nach Behandlungsbedürfnis des jeweiligen Bewohners – nach dem Pflegeaufwand und dem hierbei anfallenden Materialverbrauch substanziell von Krankenhäusern unterscheiden sollte.

    Link zur Entscheidung

    7. Überlassungspflicht für Abfälle aus einem Krankenhaus

    Sächsisches OVG, Beschluss vom 7.10.2024 – 4 A 820/20

    Die Pflicht der Erzeuger und Besitzer, ihre Abfälle dem öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger zu überlassen, besteht zum einen für Abfälle aus privaten Haushaltungen und zum anderen für Abfälle zur Beseitigung aus anderen Herkunftsbereichen, soweit sie nicht in eigenen Anlagen beseitigt werden (§ 17 Abs. 1 Satz 1 und 2 KrWG). Die Gewerbeabfallverordnung wiederholt in ihrem § 7 diese Pflicht für gewerbliche Siedlungsabfälle, die nicht verwertet werden, und verpflichtet die Erzeuger und Besitzer dieser überlassungspflichtigen Gewerbeabfälle zugleich zur Nutzung eines für die Überlassung vom öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger bereitgestellten Behälters („Pflichtrestmülltonne“). Dabei ist diesen Pflichten der Gewerbeabfallverordnung die Vermutung immanent, dass bei jedem Erzeuger und Besitzer gewerblicher Siedlungsabfälle zwangsläufig auch Abfälle zur Beseitigung anfallen, was bedeutet, dass sie grundsätzlich der Überlassungspflicht unterliegen und den bereitgestellten Behälter zu nutzen haben.

    Das Sächsische OVG hat nun in einer aktuellen Entscheidung bestätigt, dass zur Wiederlegung besagter Vermutung spätesten im Zeitpunkt der Überlassung des gewerblichen Siedlungsabfalls an ein privates Entsorgungsunternehmen ein bestimmter Weg zur Verwertung hinreichend konkret sichergestellt sein muss. Dies sei jedoch dem in dem Verfahren klagenden Krankenhaus mit Blick auf die bei ihm anfallenden Abfälle nicht gelungen. Durch die beabsichtigte Abgabe der anfallenden Abfälle an einen konkret benannten Entsorger zur energetischen Verwertung seien die Anforderungen an die Ordnungsgemäßheit der Verwertung (§ 7 Abs. 3 KrWG) nicht erfüllt.

    Denn nach den Angaben des Krankenhauses würde spätestens im Zuge des Transports und des weiteren Entsorgungsvorgangs ein Gemisch aus gemischten Siedlungsabfällen (AS 20 03 01) einerseits und Krankenhausabfällen (AS 18 01 04) andererseits entstehen. Dies verstoße aber gegen die sich aus § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 i.V.m. § 2 Nr. 1 Buchst. b) GewAbfV ergebende Pflicht zur Getrennthaltung von Krankenhausabfällen bereits bei der Sammlung und Beförderung gewerblicher Siedlungsabfälle und auch gegen die sich aus § 8 Abs. 1 KrWG ergebende Pflicht, Abfälle vorrangig vor der energetischen Verwertung der Vorbereitung zur Wiederverwendung oder dem Recycling zuzuführen.

    Das Gericht bestätigt ausdrücklich die in den Vollzugshinweisen der LAGA enthaltene Vorgabe, dass der Abfallerzeuger zwar einen Sachverständigen mit der Bestimmung der Quote nach § 4 Abs. 3 Satz 3 GewAbfV beauftragen kann, dass aber ein Sachverständiger, der die Quote bestimmt hat, nicht zur Prüfung der Quote herangezogen werden darf.

    Des Weiteren werde die von § 4 Abs. 1 Satz 1 GewAbfV für die gemischten Siedlungsabfälle geforderte Vorbehandlung vereitelt, da gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 GewAbfV in diesen Gemischen Krankenhausabfälle nicht enthalten sein dürfen. Von dieser Vorbehandlungspflicht sei das Krankenhaus auch nicht gemäß § 4 Abs. 3 Satz 3 GewAbfV befreit. Zwar seien Unterlagen eines Sachverständigen vorgelegt worden, aus denen sich ergebe, dass – wie von der Norm gefordert – die Getrenntsammlungsquote im vorangegangenen Kalenderjahr mindestens 90 Masseprozent betragen habe. Allerdings wären bei der Berechnung der Quote unzulässigerweise auch die Krankenhausabfälle berücksichtigt worden, die aber nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 und § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 GewAbfV strikt getrennt zu halten seien. Zudem sei entgegen der Vorgabe des § 4 Abs. 5 Satz 4 GewAbfV der Nachweis für eines der betroffenen Jahre erst nach dem 31. März des Folgejahres erstellt worden, und es sei nicht ersichtlich, dass der Sachverständige den Nachweis der Getrenntsammlungsquote lediglich geprüft und nicht auch erstellt hat.

    Link zur Entscheidung

    8. Anforderungen an das Ermessen nach § 62 KrWG

    OVG Bremen, Beschluss vom 15.10.2024 – 1 B 250/24

    Die zentrale abfallrechtliche Befugnisnorm ist § 62 KrWG. Nach dieser Norm kann die zuständige Behörde im Einzelfall die erforderlichen Anordnungen zur Durchführung des KrWG und der auf Grund des KrWG erlassenen Rechtsverordnungen treffen.

    Das OVG Bremen hat in einem Eilverfahren klargestellt, dass § 62 KrWG kein sog. intendiertes Ermessen zugunsten des Erlasses einer abfallrechtlichen Anordnung vorgebe. Die Norm räume der Behörde vielmehr ein umfassendes Erschließungs- und Auswahlermessen ein. Stützt die Behörde ihre abfallrechtliche Anordnung auf § 62 KrWG, müsse sie daher umfassende Ermessenserwägungen anstellen und dürfe sich nicht mit der Feststellung begnügen, dass kein atypischer Sonderfall gegeben ist, der dem Erlass einer Anordnung entgegenstünde.

    Im vorliegenden Fall hatte die Behörde gegenüber einem Eigentümer mehrerer Mietshäuser neben weiteren Anordnungen auch die künftige Ablagerung von überlassungspflichtigen Abfällen untersagt, nachdem in der Vergangenheit auf seinen Grundstücken größere Mengen überlassungspflichtiger Abfälle nicht ordnungsgemäß entsorgt worden waren. Die Behörde war der Meinung, dass hinsichtlich der auf die Zukunft gerichteten Untersagungsanordnung aufgrund der bestehenden Anschluss- und Benutzungspflicht (§ 17 KrWG) eine besondere Ermessensausübung nicht erforderlich sei.

    Diese Ansicht wies das OVG Bremen zurück. Selbst wenn der Adressat einer Anordnung in der Vergangenheit seine Pflichten aus § 17 KrWG (Überlassungspflicht, Anschluss- und Benutzungspflicht) verletzt habe, folge daraus nicht zwingend, dass die Behörde eine abfallrechtliche Anordnung nach § 62 KrWG zu treffen hat. Ob für die Zukunft die Anordnung eines bestimmten Verhaltens notwendig und zweckmäßig sei, hänge insbesondere von dem bisherigen Verhalten des Betroffenen, der Wahrscheinlichkeit erneuter Verstöße und dem Grad der drohenden Gefahren ab und könne von der Behörde somit erkennbar nur für den Einzelfall entschieden werden. Auch bestehe eine Vielzahl von Möglichkeiten für die inhaltliche Ausgestaltung zukunftsgerichteter Anordnungen. Daher müsse die Erlassbehörde auch bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 62 KrWG diesbezügliche Ermessenserwägungen anstellen und dürfe sich nicht mit dem Verweis auf die Anschluss- und Benutzungspflicht begnügen. Ergänzend wies das Gericht darauf hin, dass angesichts der Gefahrintensität (künftiger) illegaler Abfallablagerungen grundsätzlich auch eine Ermessensreduzierung auf Null in Betracht komme; für entsprechende Umstände habe die Behörde im vorliegenden Verfahren jedoch nichts dargetan.

    Link zur Entscheidung

    9. Abfallrechtliche Unzuverlässigkeit wegen Verstoßes gegen Ordnung der Abfallbeseitigung

    VG Düsseldorf, Urteil vom 21.1.2025 – 17 K 7955/24

    Nach § 54 Abs. 1 Satz 1 KrWG bedürfen Sammler, Beförderer, Händler und Makler von gefährlichen Abfällen der Erlaubnis. Diese Erlaubnis ist zu erteilen, wenn – neben weiteren Voraussetzungen – keine Tatsachen bekannt sind, aus denen sich Bedenken gegen die Zuverlässigkeit des Inhabers oder der für die Leitung und Beaufsichtigung des Betriebes verantwortlichen Personen ergeben, § 54 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 KrWG.

    Für Sammler, Beförderer, Händler und Makler von Abfällen wird der Zuverlässigkeitsbegriff durch § 3 AbfAEV konkretisiert.

    Das VG Düsseldorf entschied über den Widerruf einer solchen Erlaubnis, die dem Geschäftsführer eines Entsorgungsunternehmens erteilt worden war, nachdem der Geschäftsführer gefährliche Abfälle in einer Halle zwischengelagert hatte, die nicht über die hierfür erforderliche immissionsschutzrechtliche Genehmigung verfügte. Dabei stützte sich das Gericht auf das in § 3 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. Nr. 1 Buchst. b) AbfAEV normierte Regelbeispiel der Unzuverlässigkeit, wonach die erforderliche Zuverlässigkeit in der Regel nicht gegeben ist, wenn die betreffende Person wiederholt oder grob pflichtwidrig gegen Vorschriften u.a. des Immissionsschutzrechts oder Abfallrechts verstoßen hat.

    Das Gericht führte aus, dass die Erlaubnis zum Sammeln und Befördern gefährlicher Abfälle nicht auch deren Lagerung umfasse und diese Lagerung daher nicht legalisiere. Mit der gleichwohl erfolgten (Zwischen-)Lagerung der gefährlichen Abfälle habe der Geschäftsführer gegen die Ordnung der Abfallbeseitigung gemäß § 28 Abs. 1 KrWG verstoßen. Nach dieser Norm dürfen Abfälle zum Zweck der Beseitigung nur in den dafür zugelassenen Anlagen oder Einrichtungen (Abfallbeseitigungsanlagen) behandelt, gelagert oder abgelagert werden. Weil sich die Einlagerung der Abfälle über mehrere Sammlungen und Anlieferungen erstreckte, sei die Lagerung auch nicht lediglich als ein einziger, sondern als ein wiederholter Verstoß anzusehen.

    Unerheblich für die Annahme der Unzuverlässigkeit war nach Ansicht des Gerichts die Tatsache, dass der Geschäftsführer von der Zulässigkeit der Zwischenlagerung ausgegangen sei. Entscheidend sei allein die objektive Rechtslage und nicht die individuelle Vorwerfbarkeit; auf Vorsatz und Verschulden des Geschäftsführers komme es daher nicht an.

    Das Gericht stellte zudem noch verschiedene weitere Verstöße gegen abfallrechtliche Normen und auch einen Verstoß gegen die immissionsschutzrechtliche Genehmigungspflicht nach § 4 Abs. 1 Satz 1 BImSchG fest. Insoweit sei im Verhältnis zu der Einlagerung der Abfälle in die Halle und den damit verwirklichten Zuwiderhandlungen gegen § 28 Abs. 1 KrWG auch kein einheitlicher Lebensvorgang gegeben, der die Annahme eines weiteren Verstoßes verböte. Dem Verstoß gegen § 4 Abs. 1 BImSchG komme ein zusätzlicher Unrechtsgehalt zu, der die Annahme der weiteren Verletzung einer in § 3 Abs. 2 Nr. 1 Abf-AEV genannten Vorschrift trage. Denn eine Verletzung des § 28 Abs. 1 KrWG begründe nicht notwendigerweise gleichzeitig den Vorwurf des Betreibens einer genehmigungsbedürftigen Anlage ohne Genehmigung.

    Link zur Entscheidung

    10. Mitbenutzungsanordnung in Kombination mit Ausnahmezulassung – Geltung und Wirksamkeit von § 6 UmwRG

    Hessischer VGH, Beschluss vom 4.2.2025 – 5 B 964/24

    Seit 2017 wird das Kernkraftwerk Biblis (KKW) rückgebaut. Dabei fallen voraussichtlich etwa 1 Mio. t Abfälle an. Bei einem kleinen Teil hiervon, ca. 3.200 t, handelt es sich um mineralische Abfälle, die im strahlenschutzrechtlichen Freigabeverfahren für die anschließende Deponierung freigegeben wurden. Nach Abschluss des Freigabeverfahrens hat der Kraftwerksbetreiber die KKW-Rückbauabfälle dem zuständigen öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger (örE) zur Entsorgung zu überlassen. Dem örE, der über keine eigene Deponie verfügt, gelang es allerdings nicht, einen Deponiebetreiber zu finden, der zur Annahme der KKW-Rückbauabfälle bereit war. Daher verpflichtete das Regierungspräsidium Darmstadt im Juli 2023 gemäß § 29 Abs. 1 KrWG den Betreiber einer nahegelegenen Deponie, dem örE gegen angemessenes Entgelt zu gestatten, die Deponie für die Rückbauabfälle mitzubenutzen. Mit Blick auf die angekündigte Mitbenutzungsanordnung hatte der Deponiebetreiber zuvor auf eine Abfallart verzichtet, die im Annahmekatalog der Deponie seit langem enthalten war und der einige der Rückbauabfälle zuzuordnen waren. Daher sprach das Regierungspräsidium Darmstadt in seiner Anordnung zugleich eine Einzelfall-Ausnahmezulassung nach § 28 Abs. 2 KrWG aus, die Rückbauabfälle dieser Abfallart dennoch auf der Deponie annehmen zu dürfen.

    Der Deponiebetreiber erhob gegen die Anordnung Anfechtungsklage beim VG Darmstadt. Kurz darauf beantragten der KKW-Betreiber und der örE beim VG Darmstadt mit Eilanträgen die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Anordnung des örE. Diesen Eilanträgen gab das Gericht statt, u.a. weil die Anfechtungsklage des Deponiebetreibers nicht (mehr) erfolgreich sein könne, da er sie nicht innerhalb von 10 Wochen begründet hatte und er damit aufgrund des Ablaufs der sich aus § 6 UmwRG ergebenden 10-Wochen-Frist von jeglicher Klagebegründung präkludiert sei. Die dagegen erhobene Beschwerde des Deponiebetreibers hatte beim Hessischen VGH keinen Erfolg.

    Der VGH begründete seinen Beschluss im Wesentlichen mit den fehlenden Erfolgsaussichten der Anfechtungsklage des Deponiebetreibers im Hauptsacheverfahren. Dies folge daraus, dass er innerhalb von 10 Wochen nichts zur Begründung seiner Anfechtungsklage vorgetragen habe, weswegen er nun nach Fristablauf gemäß § 6 UmwRG weder Erklärungen noch Beweismittel zulässigerweise in das Klageverfahren einbringen könne. Die Ausnahmezulassung nach § 28 Abs. 2 KrWG sei eine sonstige umweltrechtliche Vorhabenzulassung i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 UmwRG (Zulassung der Ablagerung einer bestimmten Menge von Abfällen der Abfallart, auf die der Deponiebetreiber verzichtet hatte), sodass der § 6 UmwRG auf sie anwendbar sei. Er sei aber nicht nur auf die Ausnahmezulassung nach § 28 Abs. 2 KrWG, sondern auch auf die ebenfalls angeordnete Mitbenutzung nach § 29 Abs. 1 KrWG und damit auf die Anordnung des Regierungspräsidiums Darmstadt von Juli 2023 in Gänze anwendbar, weil die Ausnahmezulassung in einem untrennbaren Zusammenhang mit der Mitbenutzungsanordnung stehe. Die Präklusionsvorschrift sei im Übrigen verfassungsgemäß, insbesondere verhältnismäßig, weil sie das berechtigte Interesse an der Beschleunigung des Gerichtsverfahrens durch Straffung des Prozessstoffes zu einem frühen Zeitpunkt verfolge. Eine Hinweis- oder gar Belehrungspflicht habe das Gericht nicht, schon gar nicht bei einer anwaltlich vertretenen Partei. Der Anwendungsbereich des § 6 UmwRG sei zwar auslegungsbedürftig, aber hinreichend bestimmt. Und weil die Vorschrift nur formell und innerprozessual präkludiere, also bei Fristablauf im Verwaltungsgerichtsverfahren – und nicht etwa den Zugang zum Gericht unterbinde –, sei sie auch unionsrechtskonform.

    11. Stilllegung einer Abfallkonditionierungsanlage wegen genehmigungswidriger Verwendung der konditionierten Abfälle

    VG Düsseldorf, Beschluss vom 30.10.2024 – 3 K 4270/22

    Die Klägerin ist Betreiberin einer Anlage zur mikrobiologischen Behandlung von kontaminierten Böden. Die immissionsschutzrechtliche Genehmigung umfasste die Errichtung und den Betrieb einer Konditionierungsanlage für Abfälle zur anschließenden Nutzung als Deponiebaustoff.

    Anlässlich einer Umweltinspektion stellte die Immissionsschutzbehörde fest, dass der überwiegende Teil der Abfälle zur Konditionierung als Deponiebaustoff angenommen, aber gerade nicht als Deponiebaustoff, sondern für andere Verwertungswege abgegeben wurde. Mittels einer Ordnungsverfügung gab sie der Anlagenbetreiberin auf der Grundlage von § 20 Abs. 2 Satz 1 BImSchG auf, die Abfälle für die Anlage zur Konditionierung nur in den Mengen anzunehmen, in denen auch eine Nutzung als Deponiebaustoff sichergestellt ist, und Abfälle nur zu behandeln, soweit die Abfallbehandlung auf die Herstellung von Deponiebaustoff ausgerichtet ist. Eine darüberhinausgehende Behandlung von Abfällen in dieser Anlage wurde untersagt.

    Das VG Düsseldorf erachtete die (partielle) Stilllegungsverfügung als rechtmäßig aufgrund der formellen Illegalität der Abfallbehandlung zu anderen Zwecken als der Verwendung als Deponiebaustoff. Die Beschränkung des Genehmigungsumfanges auf die Konditionierung von Abfällen ausschließlich zur Nutzung bzw. Abgabe als Deponiebaustoff folge bei objektiver Würdigung sowohl aus der Gegenstandsbeschreibung als auch aus dem Blockfließbild, das mit dem Genehmigungsantrag eingereicht wurde, und den Nebenbestimmungen. Die Anordnung erweise sich der Sache nach auch als (partielle) Stilllegungsanordnung im Sinne des § 20 Abs. 2 Satz 1 BImSchG, weil sie auf eine endgültige und nicht nur eine vorübergehende (partielle) Betriebseinstellung gerichtet sei.

    Schließlich liege auch kein atypischer Fall in Gestalt einer etwaigen offensichtlichen materiellen Genehmigungsfähigkeit der bislang genehmigungswidrigen Nutzung vor, der ein Absehen von der (partiellen) Stilllegungsverfügung gebiete. Für eine konkret zu erwartende Genehmigung fehle es jedenfalls gänzlich an einem (Änderungs-)Genehmigungsantrag, denn hiervon könne nur ausgegangen werden, wenn der Antrag bereits formell eingereicht worden ist oder dies zumindest unverzüglich erfolgt.

    Link zur Entscheidung

    12. Abfallrechtliche Sanierungsanordnung gegen den ehemaligen Betreiber einer (Ur-)Altdeponie

    VG Schleswig, Beschluss vom 4.9.2024 – 6 B 7/24

    In dem Eilverfahren begehrt die Antragstellerin die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer für sofort vollziehbar erklärten Sanierungsanordnung für einen bis Anfang der 1970er Jahre genutzten Müllplatz. Die Sanierungsanordnung erging in Bezug auf eine unterhalb der ehemaligen Deponie geführte Rohrleitung für ein Gewässer, die undicht geworden war und deshalb eine Verschmutzung des Gewässers befürchten ließ.

    Nach Auffassung des VG Schleswig war die Sanierungsanordnung offensichtlich rechtswidrig.

    So habe die Anordnung nicht auf Basis von § 40 Abs. 2 Satz 2 KrWG (nachträgliche Auflagen bei Verdacht schädlicher Bodenveränderungen) ergehen können, da die Deponie bereits zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Abfallgesetzes 1972 am Stichtag 11.6.1972 nicht mehr betrieben worden sei. Die Betreiber bereits zuvor stillgelegter, sog. Uraltdeponien mussten deshalb nicht mit Nachsorgepflichten rechnen. Eine Anzeige der Stilllegung sei mangels Verpflichtung damals zwar nicht erfolgt. Anhaltspunkte für eine Stilllegung vor dem Stichtag seien aber die zuvor erfolgte Zeitungsbekanntmachung über die erschöpften Kapazitäten des Müllplatzes und eine behördliche Feststellung, der Platz sei schon länger nicht mehr genutzt worden. Auch die nach dem Stichtag geltende Rechtslage, die eine – hier nicht erfolgte – Anzeige für den Betreib der Deponie erforderlich gemacht hätte, spreche für eine Stilllegung vor dem Stichtag.

    Selbst bei unterstellter Anwendbarkeit des § 40 Abs. 2 Satz 2 KrWG wäre die Sanierungsanordnung unverhältnismäßig gewesen. Zwar seien Anordnungen zur Nachsorge für Deponien grundsätzlich Jahre nach der Stilllegung einer Deponie möglich. Bei einer abfallrechtlichen Inanspruchnahme über 40 Jahre nach endgültiger Stilllegung sei jedoch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht mehr gewahrt. Dies gelte zumindest dann, wenn der ehemalige Deponiebetreiber von einer solche Anordnung überrascht wäre, da der Betrieb der Deponie weder in den Einzelheiten bekannt wäre noch aufgeklärt werden kann und er nicht von einer Anwendbarkeit des Abfallgesetzes 1972 und seiner Folgegesetze auf die Deponie ausging.

    Link zur Entscheidung

    13. Bestimmung eines Aufstellungsortes für Abfallbehälter, Abfallsäcke und Sperrgut

    VG Arnsberg, Beschluss vom 10.10.2024 – 8 L 615/24

    Zu der mittlerweile beachtlichen Zahl der Entscheidungen, die sich mit der Rechtmäßigkeit der Bestimmung einer konkreten Örtlichkeit für die Überlassung von Abfällen an einen öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger befassen (siehe unsere Rechtsprechungsreporte Juni 2023, dort Nr. 9, und Juni 2024, dort ebenfalls Nr. 9), gesellt sich eine weitere Entscheidung des VG Arnsberg. In dem dortigen Eilverfahren wehrte sich der Antragsteller gegen eine städtische Verfügung, die ihn verpflichtete, Abfallbehälter, Abfallsäcke und Sperrgut für die Abfallentsorgung an einer 84 Meter vor seinem Grundstück entfernten Örtlichkeit aufzustellen.

    Die Stadt stützte ihre Anordnung auf die örtliche Abfallentsorgungssatzung, gemäß der sie den Aufstellungsort für Abfallbehälter und Abfallsäcke bestimmen kann, wenn das Abfallsammelfahrzeug das Grundstück u.a. nur mit erheblichen Schwierigkeiten erreichen kann.

    Das Gericht bestätigte die Rechtmäßigkeit dieser Anordnung. Es bestünden „erhebliche Schwierigkeiten“, da rechtliche Hindernisse einer unmittelbaren Anfahrt des streitgegenständlichen Grundstücks entgegenstünden.

    Rechtliche Hindernisse ergäben sich zunächst aus den arbeitsschutzrechtlichen Unfallverhütungsvorschriften in § 16 Nr. 1 der Vorschrift 43 der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung e.V. (DGUV) und in der Durchführungsanweisung zu § 16 Nr. 1 der Vorschrift 44 DGUV. Nach diesen Vorschriften darf Müll nur abgeholt werden, wenn die Zufahrt zu den Müllbehälterstandplätzen so angelegt ist, dass ein Rückwärtsfahren nicht erforderlich ist; in Sackgassen darf Müll nur abgeholt werden, wenn eine Wendemöglichkeit besteht.

    Da die Größe des streitgegenständlichen Stichwegs ein Wenden ohne Rückwärtsfahren nicht ermögliche, greife das Rückwärtsfahrverbot. Dem stehe auch nicht die Übergangsbestimmung aus § 32 der Vorschrift 43 DGUV entgegen, wonach das Rückwärtsfahrverbot nur für Einrichtungen und Fahrzeuge gilt, die nach dem 1.10.1979 errichtet oder beschafft worden sind. Denn die betroffene Straße sei keine Einrichtung in diesem Sinne.

    Zudem stehe der Anfahrt des Grundstücks § 9 Abs. 5 StVO entgegen. Hiernach besteht beim Rückwärtsfahren die Pflicht, sich so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist; erforderlichenfalls muss man sich einweisen lassen. Eine Gefährdung in diesem Sinne liege aufgrund der beengten und unübersichtlichen Örtlichkeit vor. Auch der Einsatz eines Einweisers würde hieran nichts ändern.

    Schließlich stellte das Gericht die Verhältnismäßigkeit der Verfügung fest. Diese sei gegeben, auch wenn sich bislang noch keine Personen- oder Sachschäden ereignet hätten. Auch mit Blick auf das Gefälle an der betroffenen Straße sei dem Antragsteller ein Verbringen des Abfalls zu dem festgelegten Aufstellungsplatz zuzumuten.

    Link zur Entscheidung

    14. Erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen Tübinger Verpackungssteuersatzung

    BVerfG, Beschluss vom 27.11.2024 – 1 BvR 1726/23

    Mit Beschluss vom 27.11.2024 hat das BVerfG entschieden, dass die Universitätsstadt Tübingen weiterhin eine kommunale Verpackungssteuer auf Einweg-Verpackungen für Essen und Getränke erheben darf. Eine gegen die der Tübinger Verpackungssteuer zugrundeliegende Satzung gerichtete Verfassungsbeschwerde wies das BVerfG zurück.

    Seit 2022 erhebt Tübingen eine viel diskutierte Steuer auf den Verbrauch nicht wiederverwendbarer Verpackungen sowie nicht wiederverwendbaren Geschirrs und Bestecks, sofern Speisen und Getränke darin bzw. damit für den unmittelbaren Verzehr an Ort und Stelle oder als mitnehmbares Take-away-Gericht oder -Getränk verkauft werden. Es werden Beträge von je 0,50 Euro für Einweggeschirr und Einwegverpackungen sowie 0,20 Euro für Einwegbesteck fällig. Zur Entrichtung der Steuer ist der Endverkäufer von entsprechenden Speisen und Getränken verpflichtet.

    Gegen die Verpackungssteuer klagte die Betreiberin einer Tübinger McDonald’s Filiale. Nachdem zunächst noch der VGH Baden-Württemberg die Steuer für unwirksam erklärte, hatte das BVerwG keinerlei Rechtmäßigkeitszweifel (siehe hierzu unseren Rechtsprechungsreport Juni 2023, Nr. 13).

    Das BVerfG bestätigte nun die Entscheidung des BVerwG und entschied, dass die Verpackungssteuer sowohl formell als auch materiell verfassungsgemäß ist. Insbesondere verstoße die Verpackungssteuer nicht gegen Art. 105 Abs. 2a Satz 1 GG, wonach die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung über die örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern haben, solange und soweit sie nicht bundesgesetzlich geregelten Steuern gleichartig sind.

    So sei die Stadt Tübingen nach dem baden-württembergischen Kommunalabgabengesetz zur Wahrnehmung dieser Steuergesetzgebungskompetenz ermächtigt. Des Weiteren sei die Verpackungssteuer auch eine Verbrauchssteuer, da ihr Gegenstand der Verbrauch von Einwegartikeln, die nicht dauerhaft gebraucht oder gehalten werden, sondern zu einer einmaligen Verwendung bestimmt sind, sei. Auch bestehe keine Gleichartigkeit zu einer bundesgesetzlichen Steuer, insbesondere nicht zu der Einwegkunststoffabgabe nach § 12 EWKFondsG; diese Abgabe sei gerade keine bundesgesetzliche Steuer, denn sie werde nicht unabhängig von einem bestimmten Zweck zur Deckung des allgemeinen Finanzbedarfs des Bundes erhoben, sondern sie diene der Deckung von Kosten, die bei der Bewältigung der nachteiligen Auswirkungen einer Verwendung von Einwegkunststoffprodukten auf die Umwelt und die menschliche Gesundheit entstehen.

    Schließlich handele es sich bei der Verpackungssteuer auch um eine „örtliche“ Verbrauchsteuer im Sinne des Art. 105 Abs. 2a Satz 1 GG. Die „Örtlichkeit“ sei beim Verkauf von mitnehmbaren Take-away-Gerichten oder -Getränken gegeben, da diese in der Regel unmittelbar nach dem Erwerb und damit regelmäßig ortsnah innerhalb des Gemeindegebiets verbraucht werden, weil sich ansonsten ihre Temperatur, Konsistenz und Frische schon nach kurzer Zeit nachteilig veränderten.

    Link zur Entscheidung

    Artikel als PDF herunterladen
    Dr. Henning Blatt
    Rechtsanwalt | Partner

    Zurück