Rechtsprechungsreporte Abfallrecht

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Rechtsprechungsreport Produktrecht Januar 2022

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1. Marktüberwachung

a) Tragweite einer biozidrechtlichen Genehmigung

EuGH, Urteil vom 14.10.2021 – C-29/20

Die Biofa AG entwickelt und vertreibt Biozidprodukte. Eines ihrer Produkte enthält den Wirkstoff „Kieselgur“. Für diesen Wirkstoff stellte sie einen Genehmigungsantrag, welchem durch die Europäische Kommission gemäß der Verordnung (EU) 528/2012 („Biozid-Verordnung“) und der Durchführungsverordnung (EU) 2017/794 entsprochen wurde. Biofa wurde als Lieferantin in die Liste nach Art. 95 Abs. 1 der Biozid-Verordnung aufgenommen und sei die einzige Herstellerin dieses Wirkstoffes. 

Die Sikma D. Vertriebs GmbH und Co. KG vertreibt ein Produkt mit demselben Wirkstoff. Da Sikma den in Rede stehenden Wirkstoff nicht bei Biofa bezieht, erhob diese beim Landgericht Köln Klage auf Unterlassung der unlauteren Wettbewerbspraxis. Zur Begründung ihrer Klage machte Biofa geltend, der Vertrieb durch Sikma stelle eine nach nationalem Recht unzulässige geschäftliche Handlung dar und verstoße im Übrigen gegen die Bestimmungen der Biozid-Verordnung. Sikma war der Auffassung, es liege schon kein Biozidprodukt vor.

Das Landgericht Köln wies die Klage von Biofa ab. Nachdem es befand, dass ihm die Prüfung zukomme, ob das von Sikma vertriebene Produkt unter den Begriff „Biozidprodukt“ im Sinne dieser Bestimmung falle, entschied es auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens, das Produkt falle nicht unter den Begriff des „Biozidproduktes“.

Im Rahmen des Berufungsverfahrens setzte das OLG Köln das Verfahren aus und legte dem EuGH eine Frage die Bindungswirkung des Genehmigungsverfahrens betreffend vor, die sich sinngemäß folgendermaßen zusammenfassen lässt: „Sind nationale Gerichte an die Feststellungen der oben beschriebenen Genehmigung gebunden oder dürfen sie noch selbst überprüfen, ob es sich tatsächlich um ein Biozidprodukt handelt, selbst wenn das Produkt einen entsprechend genehmigten Wirkstoff enthält?“

Diese Frage hat der EuGH zusammengefasst wie folgt beantwortet:

  • Ein Biozidprodukt liege nicht nur allein deswegen vor, weil ein darin enthaltener Wirkstoff eine Genehmigung auf Basis der Biozid-Verordnung erhalten habe. Nationale Gerichte seien grundsätzlich dazu befugt, die übrigen Voraussetzungen eines Biozidproduktes auch nach einer solchen Genehmigung noch zu prüfen. Der Umstand, dass ein Produkt einen Wirkstoff enthalte, der durch eine Durchführungsverordnung der Kommission gemäß Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Biozid-Verordnung genehmigt wurde, sei aber ein gewichtiger Anhaltspunkt dafür, dass das fragliche Produkt als „Biozidprodukt“ angesehen werden könne, weil die Wirkungsweise eines Wirkstoffs im Genehmigungsverfahren überprüft werde.
  • Nach Artikel 6 Abs. 1 der Biozid-Verordnung muss einem Genehmigungsantrag für einen Wirkstoff zusätzlich ein Dossier für mindestens ein repräsentatives Biozidprodukt, in dem der Wirkstoff enthalten ist, beigefügt sein. In dem Fall, dass die Zusammensetzung eines bestimmten Produkts mit der Zusammensetzung des den Wirkstoff enthaltenden repräsentativen Biozidprodukts identisch sei, sei das nationale Gericht indes verpflichtet, das besagte Produkt als „Biozidprodukt“ einzustufen.

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b) Abgrenzung eines Nahrungsergänzungsmittels von einem Funktionsarzneimittel

OVG Lüneburg, Beschluss vom 29.9.2021 – 13 LB 31/14

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Produkte „Gingko F. Kapseln“ und „Gingko G. Kapseln“ als Nahrungsergänzungsmittel oder als sog. Funktionsarzneimittel einzuordnen sind. Die Klägerin beabsichtigt, diese Kapseln nach Deutschland einzuführen und dort zu vertreiben. Die in Rede stehenden Kapseln beinhalten jeweils 100mg Gingko-biloba-Trockenextrakt („GbE“) und sollen laut Verzehrempfehlung einmal täglich in einfacher Dosis eingenommen werden. Um Rechtssicherheit über die Zulässigkeit des Vertriebs in Deutschland zu erlangen, beantragte die Klägerin am 8.12.2009 bei der Beklagten die Bestätigung der Verkehrsfähigkeit durch den Erlass einer Allgemeinverfügung nach § 54 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LFGB. Die Beklagte lehnte den Antrag ab, weil für Produkte mit einer GbE-Dosierung von 100 mg/Tag von einer pharmakologischen Wirkung ausgegangen werden müsse und es sich daher um Arzneimittel handele. Nachdem Widerspruch, Klage und Berufung erfolglos geblieben sind, hat das BVerwG das Berufungsurteil im Rahmen der Revision der Klägerin am 7.11.2019 aufgehoben und die Sache zur weiteren Sachverhaltsaufklärung an das OVG Lüneburg zurückverwiesen. Zur Begründung führte das BVerwG an, dass das OVG Lüneburg es in seiner ursprünglichen Entscheidung unterlassen habe, mögliche Gesundheitsrisiken in die Gesamtbetrachtung hinsichtlich der Arzneimitteleigenschaft der Kapseln einzustellen.

Die Berufung hat weiterhin keinen Erfolg. Das OVG Lüneburg verweist in materieller Hinsicht neuerlich darauf, dass § 54 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LFGB nur im Hinblick auf Lebensmittel Anwendung finde, es sich bei den Produkten der Klägerin aber nicht um Lebensmittel, sondern um Funktionsarzneimittel im Sinne des Art. 1 Nr. 2 lit. b der Richtlinie 2001/83/EG handele. Hierzu zählen alle Stoffe und Stoffzubereitungen, die im oder am menschlichen Körper angewendet oder einem Menschen verabreicht werden könnten, um die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen. Bei der fallabhängig zu treffenden Entscheidung, ob ein Erzeugnis unter diese Definition falle, seien alle Merkmale des Produkts zu berücksichtigen, insbesondere seine Zusammensetzung, seine pharmakologischen, immunologischen oder metabolischen Eigenschaften, die Modalitäten seines Gebrauchs, der Umfang seiner Verbreitung, seine Bekanntheit bei den Verbrauchern und die Risiken seiner Verwendung.

Hinsichtlich der besonders umstrittenen Frage der pharmakologischen Wirkung der Produkte der Klägerin nimmt das OVG Lüneburg vollumfänglich Bezug auf die Ausführungen in seiner ursprünglichen Berufungsentscheidung. Hier hatte das OVG Lüneburg – ohne dass dies vom BVerwG beanstandet worden war – den Nachweis der pharmakologischen Wirkung der Kapseln durch das Heranziehen zweier belastbarer wissenschaftlicher Studien geführt, die die pharmakologische Wirkung von Produkten mit GbE in einer Dosierung von 80mg bzw. 120mg pro Tag belegen. Eines Nachweises einer – über die pharmakologische Wirkung – hinausgehenden therapeutischen Wirkung der Kapseln bedürfe es insoweit nicht. Ein Produkt, das therapeutisch wirksam ist, stelle zwar ein Funktionsarzneimittel dar, fehle diese therapeutische Wirksamkeit, sei aber nicht von vorneherein ausgeschlossen, dass es sich dennoch um ein Funktionsarzneimittel handele. Unter Hinweis auf die einschlägige Rechtsprechung des EuGH führt das OVG Lüneburg sodann aus, dass es für die Einordnung als Arzneimittel genüge, wenn das Produkt auf Grund seiner Zusammensetzung – einschließlich der Dosierung seiner Wirkstoffe – bei bestimmungsgemäßer Anwendung die physiologischen Funktionen in nennenswerter Weise auch durch eine (bloße) pharmakologische Wirkung wiederherstellen, korrigieren oder beeinflussen könne.

Hinsichtlich des Arzneimittelrechts sei kursorisch auch auf die Entscheidungen des OLG Frankfurt a. M. (Urteil vom 8.7.2021 – 6 U 126/20) und des VG Köln (Urteil vom 18.5.2021 – 7 K 6491/18) verwiesen.

Anders als in seiner ursprünglichen Berufungsentscheidung geht das OVG Lüneburg nunmehr im Rahmen seiner Gesamtbetrachtung hinsichtlich der Einstufung der Produkte als Arzneimittel auch auf die möglichen Gesundheitsrisiken bei deren bestimmungsgemäßer Verwendung ein. Eine Einstufung als Arzneimittel sei nur gerechtfertigt, wenn dies zum Schutz der Gesundheit erforderlich sei. Vernünftige Zweifel an der Unbedenklichkeit eines Erzeugnisses rechtfertigten insoweit die Einstufung als Arzneimittel. Nach Auffassung des OVG Lüneburg bestehen derartige Zweifel an der Unbedenklichkeit der streitgegenständlichen Produkte. Das OVG Lüneburg stützt seine Überzeugung in dieser Hinsicht maßgeblich auf eine Stellungnahme des Bundesinstituts für Risikobewertung, die auf die möglichen unerwünschten gesundheitlichen Wirkungen und die damit verbundenen schwerwiegenden Risiken hinweist, die mit der Einnahme von Arzneimitteln auf Basis von GbE einhergehen. Von besonderer Bedeutung sei in diesem Zusammenhang vor allem das erhöhte Blutungsrisiko der betroffenen Personen.

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c) Bereitstellungsuntersagung von Atemschutzmasken im Rahmen eines Marktüberwachungsverfahrens

VG Düsseldorf, Beschluss vom 19.2.2021 – 3 L 11/21

Im Rahmen dieses einstweiligen Rechtsschutzverfahrens geht es in der Sache um die Frage, ob die Bereitstellungsuntersagung der Bezirksregierung Düsseldorf – Antragsgegner – vom 20.11.2020 hinsichtlich der von einem schweizerischen Unternehmen – Antragssteller – vertriebenen Atemschutzmasken rechtmäßig ergangen ist. Der Antragssteller hatte im Frühjahr 2020 28.000 Atemschutzmasken des Typs „KN95“ an ein in Deutschland niedergelassenes Unternehmen verkauft hat. Obschon die streitgegenständlichen Masken in den beiliegenden Papieren mit einem CE-Kennzeichen betitelt worden sind, erfüllen sie den europarechtlich vorgegebenen Standard unstreitig nicht. Sie weisen vielmehr nur den sog. chinesischen Standard auf. Der Antragssteller hat in formeller wie materieller Hinsicht Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Bereitstellungsuntersagung und stellt nach vorheriger Erhebung einer Anfechtungsklage am 4.1.2021 den Antrag, die aufschiebende Wirkung dieser Klage wiederherzustellen.

Der Antrag hat keinen Erfolg. Dies ist im Wesentlichen darauf zurückzuführen, dass sich die Bereitstellungsuntersagung der Antragsgegnerin nach der gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage durch das VG Düsseldorf als rechtmäßig erweist.

Soweit in formeller Hinsicht Zweifel an der Zuständigkeit des Antragsgegners bestehen, verweist das VG Düsseldorf zutreffender Weise auf § 24 Abs. 1 Satz 1 ProdSG. Hiernach obliege die Marktüberwachung den nach Landesrecht zuständigen Behörden. Bezogen auf den vorliegenden Sachverhalt ergebe sich aus dem einschlägigen Landesrecht die örtliche und sachliche Zuständigkeit der Bezirksregierung Düsseldorf; also des Antragsgegners. Etwas anderes folge auch nicht daraus, dass sich der Sitz des Antragsstellers in der Schweiz befindet. Nach einem Abkommen zwischen der Europäischen Union und der Schweiz über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen könnten die nationalen Marktüberwachungsbehörden auch im Gebiet der anderen Vertragspartei ansässigen Wirtschaftsakteuren Pflichten auferlegen, die der Abwendung von Gefahren im Zusammenhang mit persönlicher Schutzausrichtung dienen.

Die Bereitstellungsuntersagung begegne ferner auch in materiell-rechtlicher Hinsicht keinen durchgreifenden Zweifeln. Als Ermächtigungsgrundlage könne insoweit Art. 41 Abs. 2 Verordnung (EU) 2016/425 herangezogen werden. Hiernach könnten bei anhaltender Nichtkonformität von persönlicher Schutzausrüstung alle geeigneten Maßnahmen ergriffen werden, um die Bereitstellung der persönlichen Schutzausrüstung auf dem Markt zu beschränken oder zu untersagen oder um dafür zu sorgen, dass die persönliche Schutzausrüstungen zurückgerufen oder vom Markt zurückgenommen werden. Die nach Art. 41 Abs. 2 Verordnung (EU) 2016/425 erforderliche Nichtkonformität ergebe sich vorliegend daraus, dass Atemschutzmasken des sog. chinesischen Standards in Deutschland nur dann auf dem Markt bereitgestellt werden dürften, wenn zuvor durch eine geeignete Stelle festgestellt wurde, dass die Atemschutzmasken ein den Vorgaben nach Anhang II der Verordnung (EU) 2016/425 vergleichbares Gesundheits- und Sicherheitsniveau böten. Diese Feststellung habe der Antragssteller nicht veranlasst bzw. zumindest nicht nachgewiesen.

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d) Mitteilungspflichten bei Inverkehrbringen nicht ordnungsgemäß geprüfter Atemschutzmasken

OVG Lüneburg, Beschluss vom 15.6.2021 – 13 ME 243/21

Im Mittelpunkt des vorliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahrens steht die Frage, welche Mitteilungspflichten einem Adressaten von Marktaufsichtsmaßnahmen obliegen. Die Antragstellerin ist ein Großhandelsunternehmen, das mit Aufkommen der COVID-19-Pandemie in den Handel mit Atemschutzmasken eingestiegen ist. Im Zuge dessen brachte sie unzutreffend CE-0194 gekennzeichnete Atemschutzmasken in den Verkehr. Daraufhin erließ die zuständige Behörde als Antragsgegner ihr gegenüber einen Bescheid und ordnete zwecks erforderlicher Rücknahme unter anderem an, die Wirtschaftsakteure zu benennen, an welche die Masken geliefert wurden. Zudem sollte die Antragstellerin die Behörde über den Verbleib der Atemschutzmasken (Lagerware und aus dem Handel zurückgenommene Ware) informieren. Die Antragstellerin hielt ein Offenlegen der belieferten Wirtschaftsakteure jedoch für unverhältnismäßig und fürchtete um ihren guten Ruf. Zudem war sie der Ansicht, dass die Anordnungen auf fehlerhafte Rechtsgrundlagen gestützt worden seien. Denn weder Art. 8 Abs. 10 Verordnung (EU) 2016/425, noch Art. 19 Abs. 1 Verordnung (EG) 765/2008, noch Art. 13 Veror-dnung (EU) 2016/425 enthielten unmittelbare Ermächtigungsgrundlagen für derartige Anordnungen. Vielmehr seien allein die §§ 24 ff. ProdSG anwendbar. Aber auch auf diese nationalen Normen könne die Behörde die Anordnungen nicht stützen; die Tatbestandsvoraussetzungen seien schon nicht erfüllt. Die Antragstellerin hatte weder im Widerspruchsverfahren noch im Eilrechtsschutz Erfolg. Das Verwaltungsgericht hielt ihren Antrag für unbegründet. Daraufhin erhob die Antragstellerin Beschwerde beim OVG Lüneburg.

Auch nach der neuen Marktüberwachungsverordnung 2019/1020/EU in Verbindung mit dem neuen nationalen Marktüberwachungsgesetz (MüG) können die deutschen Marktüberwachungsbehörden entsprechende Informationen anfordern.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das OVG Lüneburg stellt klar, dass Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 Verordnung (EG) Nummer 765/2008 nicht nur zur Überprüfung der Merkmale ermächtige, sondern es als allgemeine Befugnisnorm vielmehr unter anderem ermögliche, die Wirt-schaftsakteure zur Erteilung von Informationen und zur Vorlage von Unterlagen im Hinblick auf den gesamten Bereich der Marktüberwachung im Sinne des Art. 2 Nr. 17 dieser Verord-nung zu verpflichten. Davon seien auch die von der Behörde getroffenen Anordnungen ge-deckt. Sodann wird das Gericht gegenüber der Antragstellerin außergewöhnlich deutlich: „Sofern die Antragstellerin im Falle eines Herantretens durch den Antragsgegner um ihren guten Ruf bei ihren Wirtschaftspartnern fürchtet, ist dem entgegenzuhalten, dass sie den Vertrieb nicht konformer Masken zu vertreten hat und es ihr obliegt, diesen Fehler gegen-über ihren Vertragspartnern zu kommunizieren. Der Versuch, den beim Betreten eines frem-den Geschäftsfeldes aufgetretenen Fehler möglichst ‚unter der Decke zu halten‘, ist kein rechtlich anerkennenswerter Gesichtspunkt.“ Es sei für das Gericht nicht erkennbar, wie die Antragstellerin durch die Verpflichtung zur Mittelung des Verbleibs der Masken überhaupt nennenswert beschwert sei.

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e) Abfalleigenschaft von Altreifen

VG Kassel, Beschluss vom 9.7.2021 – 4 L 940/21.KS

Im Rahmen dieses einstweiligen Rechtsschutzverfahrens streiten die Beteiligten im Wesentlichen über die Frage, ob die Stilllegungsverfügung des Antragsgegners gegenüber dem Antragssteller rechtmäßig ergangen ist. Der Antragssteller hat am 13.11.2018 ein Gewerbe für „Kfz-Aufbereitung, Kfz-Handel, Reifenhandel (Einzelhandel)“ angemeldet. Zum Zwecke dieses Gewerbebetriebs lagern auf einem in seinem Eigentum stehenden Grundstück mehrere Tausend Altreifen. Laut eigener Angabe dienten diese Altreifen als Handelsware für den Gebrauchtreifenhandel. 65% der Reifen seien für den Export in andere Länder vorgesehen. 10% würden an Händler weitergegeben, die diese runderneuern würden. Weitere 10% dienten als Bastelware, ebenfalls 10% würden als Granulat im Handel weiterverarbeitet. 5% würden in Verbrennungsanlagen landen. Der Antragsgegner ist der Überzeugung, dass die Lagerung der Altreifen auf dem Grundstück des Antragsstellers den – illegalen Betrieb – einer Abfallanlage darstellt. Mit Blick auf diese Rechtsauffassung ordnete der Antragsgegner mit Bescheid vom 22.4.2021 gegenüber dem Antragssteller die Stilllegung dieser Anlage an. Am 12.5.2021 hat der Antragsteller Klage gegen diesen Bescheid erhoben und sinngemäß beantragt, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid wiederherzustellen. Er ist der Auffassung, es handele sich bei seinem Betrieb nicht um eine Abfallanlage. Er betreibe vielmehr einen Reifenhandel und bedürfe daher auch keiner immissionsschutzrechtlichen Genehmigung.

Der Antrag hat keinen Erfolg. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die Stilllegungsverfügung des Antragsgegners vom 22. 4.2021 sich nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung als offensichtlich rechtmäßig erweist. Als Ermächtigungsgrundlage dient insoweit § 20 Abs. 2 Satz 1 BImSchG. Hiernach kann die zuständige Behörde anordnen, dass eine Anlage, die ohne die erforderliche Genehmigung errichtet, betrieben oder wesentlich geändert wird, stillzulegen oder zu beseitigen ist.

Nach Auffassung des VG Kassel sind diese Tatbestandsvoraussetzungen im Hinblick auf den Betrieb des Antragsstellers erfüllt. Der Antragssteller betreibe eine Anlage im Sinne von § 20 Abs. 2 BImSchG. Diese Anlage sei weiterhin auch gem. § 4 Abs. 1 Satz 1 BImSchG i. V. m. § 1 der 4. BImSchV genehmigungsbedürftig. Hinsichtlich dieser Genehmigungsbedürftigkeit komme es entscheidend darauf an, ob die auf dem betreffenden Grundstück gelagerten Altreifen als Abfall im Sinne des § 3 Abs. 1 KrWG zu qualifizieren sind. Dies ist aus Sicht des VG Kassel der Fall, da es sich nach seiner Überzeugung bei den Altreifen bereits um Abfall im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 und 2 KrWG handele; also um Gegenstände, derer sich ihr Besitzer entledigt hat oder entledigen will (subjektiver Abfallbegriff).

Ausschlaggebend für die Beurteilung der Frage der Entledigung sei das Verhalten bzw. der Wille des ursprünglichen Besitzers der Altreifen. Eine Entledigung könne gem. § 3 Abs. 2 KrWG bereits dann angenommen werden, wenn der Besitzer Stoffe oder Gegenstände einer Verwertung oder einer Beseitigung zuführt oder die tatsächliche Sachherrschaft über sie unter Wegfall jeder weiteren Zweckbestimmung aufgibt. So verhalte es sich auch im Hinblick auf die in Rede stehenden Altreifen. Schließlich hätten die ursprünglichen Besitzer die Reifen an eine sich „Reifenentsorgung“ nennende Firma abgegeben und sich ihrer somit entledigt.

Bei dem Beschluss des VG Kassel handelt es sich zwar um eine primär abfallrechtliche Entscheidung. Allerdings verdeutlicht das Gericht Kriterien für die Abgrenzung zwischen Abfallentsorgung und dem Handel mit gebrauchten Produkten. Geschäfts-modelle in diesem Bereich sind sorg-fältig zu gestalten, um weitreichende abfallrechtliche Pflichten zu vermei-den.

Überdies ergebe sich der Wille zur Entledigung auch aus § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 KrWG. Hiernach sei ein derartiger Wille hinsichtlich solcher Stoffe oder Gegenstände anzunehmen, deren ursprüngliche Zweckbestimmung entfällt oder aufgegeben wird, ohne dass ein neuer Verwendungszweck unmittelbar an deren Stelle tritt. Objektiv entfalle die Zweckbestimmung eines Gegenstandes immer dann, wenn dieser aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht mehr zweckentsprechend verwendet werden kann. Eine zweckentsprechende Verwendungsmöglichkeit scheide jedenfalls dann aus, wenn die einschlägigen Anforderungen der außerhalb des Abfallrechts geltenden Vorschriften des allgemeinen Produkt- und Umweltrechts nicht mehr erfüllt werden. Im Hinblick auf die Altreifen des Antragsstellers bedeute dies einen Fortfall der Zweckbestimmung, da die Reifen – auch nach dem Vortrag des Antragstellers – sämtlich nicht mehr für den Gebrauch im deutschen Straßenverkehr geeignet seien.

Der Vortrag des Antragstellers, die Reifen seien für den Export, die Runderneuerung, als Bastelware, als Granulat oder zur Verbrennung bestimmt, ist nach Auffassung des VG Kassel nicht geeignet, einen neuen Verwendungszweck zu konstituieren, der unmittelbar an die Stelle der ursprünglichen Zweckbestimmung tritt. Ein neuer Verwendungszweck trete vielmehr nur dann unmittelbar an die Stelle der ursprünglichen Zweckbestimmung, wenn ein einheitlicher, nie unterbrochener Wille des Besitzers vorliege, wie mit dem Stoff oder Gegenstand verfahren werden soll. Selbst eine nur vorübergehende Lagerung sei daher nur dann unschädlich, wenn schon zu deren Beginn ein nach außen erkennbarer neuer Verwendungszweck feststehe. Dabei könne es sich ggf. auch um alternative Verwendungszwecke handeln. Kein erkennbarer Verwendungszweck bestehe jedoch, wenn Gegenstände oder Stoffe – wie auf dem Grundstück des Antragsstellers – auf unabsehbare Zeit ohne klare Bestimmung der Weiterverwendung gelagert werden.

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f) Kein Drittschutzcharakter der Marktüberwachungsvorschriften nach § 26 ProdSG

VG Minden, Urteil vom 22.3.2021 – 3 KG 3087/19

Die Beteiligten streiten über eine etwaige Pflicht der zuständigen Behörde, im Wege der produktsicherheitsrechtlichen Marktaufsicht einzuschreiten. Der Kläger kaufte 2010 eine Küche, die über spezielle Küchenschubladen verfügte. Die Schubladen waren mit elektrischen Öffnungsunterstützungen sowie einem mechanischen Dämpfungsmechanismus für den Schließvorgang ausgestattet. Einige Jahre später klemmte sich das Enkelkind des Klägers die Hand in einer der Schubladen ein. Der Kläger wandte sich deswegen an die zuständige Behörde und forderte ein Vertriebsverbot für die Schubladen bzw. ein Betriebsverbot für die entsprechenden elektrischen Bauteile. Dabei bemängelte er die Verletzungsgefahr für Kinder und den Umstand, dass sowohl eine EU-Konformitätserklärung bzw. ein CE Zeichen fehlten. Die Behörde lehnte es jedoch ab, entsprechend gegen den Hersteller der Schubladen vorzugehen. Mit dem Ziel, die Behörde zu einem Einschreiten zu verpflichten, erhob der Kläger Klage vor dem Verwaltungsgericht Minden.

Die Klage hat keinen Erfolg. Das VG Minden ist der Auffassung, dass die Klage mangels Klagebefugnis bereits unzulässig sei. Die Vorschriften zur Marktüberwachung im Produktsicherheitsgesetz vermittelten dem einzelnen Marktteilnehmer kein einklagbares subjektives Recht auf ein Einschreiten der Marktüberwachungsbehörde. Das wäre nur möglich gewesen, wenn diese Normen neben dem Schutz öffentlicher Interessen zumindest auch dazu bestimmt seien, dem Interesse einzelner Personen oder Personengruppen zu dienen. Der Individualschutz dürfe dabei nicht bloßer „Reflex“ der eigentlich verfolgten öffentlichen Interessen sein. Letzteres sei beim ProdSG aber der Fall. Marktüberwachungsmaßnahmen nach § 26 ProdSG würden ausschließlich dem Schutz des gesamten Marktes im öffentlichen Interesse dienen, nicht jedoch dem Schutz einzelner Marktteilnehmer. Subjektive Rechte Einzelner seien also nicht das Ziel der Regelungen, sondern nur ein Reflex des Schutzes von Gesundheit und Sicherheit im Allgemeinen. Letztlich solle das hohe Schutzniveau von Produkten der Gesamtbevölkerung zugutekommen. Einzelpersonen würden aber immerhin dadurch geschützt, dass die Behörde, soweit sie nach eigener Prüfung den Verdacht nach § 26 Abs. 2 ProdSG oder ein ernsteres Risiko nach § 26 Abs. 4 ProdSG bejahen, tätig werden müsse und ihr dabei kein Ermessen zustehe.

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2. Produkthaftungsrecht

Keine Haftung eines Presseverlags für einen fachlich unrichtigen Gesundheitstipp

EuGH, Urteil vom 10.6.2021 – C-65/20

Im diesem Vorabentscheidungsverfahren äußert sich der EuGH anlässlich einer Vorlage des österreichischen Obersten Gerichtshofs zur Auslegung der Richtlinie 85/374/EWG („ProdukthaftungsRL“). Ausgangspunkt dieses Verfahrens ist eine Veröffentlichung des Krone-Verlags in einer Regionalausgabe der „Kronen-Zeitung“ vom 31.12.2016, die die gesundheitlichen Vorzüge einer Auflage aus geriebenem Kren (Meerrettich) zum Gegenstand hatte. Konkret gab der „Kräuterpfarrer Benedikt“ in einer Ratgeberkolumne die Empfehlung ab, Rheumaschmerzen durch die zwei- bis fünfstündige Auflage geriebenen Krens zu lindern. Die im Artikel angeführte Dauer für die Auflage war jedoch sachlich falsch. Statt zwei bis fünf „Stunden“ hätte es zwei bis fünf „Minuten“ heißen müssen. Am 31.12.2016 brachte eine Leserin, die auf die Richtigkeit der im Artikel empfohlenen Behandlungsdauer vertraute, Kren an ihrem Fußgelenk auf und entfernte ihn erst nach drei Stunden als es bereits zu starken Schmerzen auf Grund einer toxischen Hautreaktion gekommen war. Nachdem die Klage der Leserin in der Eingangs- und Berufungsinstanz erfolglos geblieben war, legte schließlich der österreichische Oberste Gerichtshof dem EuGH die Frage vor, ob Art. 2 i. V. m. Art. 1 und Art. 6 der ProdukthaftungsRL dahingehend auszulegen sei, dass als (fehlerhaftes) Produkt auch ein körperliches Exemplar einer Tageszeitung anzusehen ist, die einen fachlich unrichtigen Gesundheitstipp enthält, dessen Befolgung einen Schaden an der Gesundheit verursacht.

Der EuGH verneint diese Frage. Nach seiner Auffassung handelt es sich bei dem Exemplar einer gedruckten Zeitung, die im Zuge der Behandlung eines Themas aus dem Umfeld der Medizin einen unrichtigen Gesundheitstipp zur Verwendung einer Pflanze erteilt, nicht um ein „fehlerhaftes Produkt“ im Sinne der vorgenannten Bestimmungen.

Zur Begründung hebt der EuGH zunächst darauf ab, dass Dienstleistungen nicht in den Anwendungsbereich der ProdukthaftungsRL fallen. Dies ergebe sich schon aus dem eindeutigen Wortlaut von Art. 2 der ProdukthaftungsRL. Hier werde der Anwendungsbereich auf „Produkte“ beschränkt, worunter ausschließlich bewegliche Sachen und Elektrizität zu verstehen sind.

Obwohl die vorliegende Entscheidung des EuGH eine Vorlagefrage des Obersten Gerichtshof aus Österreich zum Gegenstand hat, kommt ihr mit Blick auf die deutsche Rechtslage in vergleichbaren Maße Bedeutung zu. Schließlich handelt es sich beim deutschen Produkthaftungsgesetz um die mitgliedsstaatliche Umsetzung der hier in Rede stehenden ProdukthaftungsRL.

Um die Frage des vorlegenden österreichischen Obersten Gerichtshof beantworten zu können, müsse allerdings der Frage nachgegangen werden, ob ein – an sich als Dienstleistung einzustufender – Gesundheitstipp, der in eine bewegliche körperliche Sache – im vorliegenden Fall eine gedruckte Zeitung – aufgenommen wird, aufgrund der Tatsache, dass er sich als unrichtig erwiesen hat, dazu führen kann, dass die Zeitung selbst fehlerhaft wird. Hiergegen spreche zunächst, dass die Fehlerhaftigkeit eines Produkts im Sinne von Art. 6 der ProdukthaftungsRL anhand von Faktoren zu bestimmen ist, die dem Produkt selbst innewohnen und insbesondere mit seiner Darbietung, seinem Gebrauch und dem Zeitpunkt seines Inverkehrbringens zusammenhängen. Bezogen auf den vorliegenden Fall sei insoweit festzustellen, dass die fragliche Dienstleistung – d. h. der unrichtige Ratschlag – sich nicht auf die gedruckte Zeitung bezieht, die ihren Träger bildet. Konkret betreffe diese Dienstleistung weder die Darbietung noch den Gebrauch dieser Zeitung. Aus diesem Grund gehöre diese Dienstleistung auch nicht zu den der gedruckten Zeitung unmittelbar innewohnenden Faktoren, die als Einzige die Beurteilung ermöglichen, ob dieses Produkt fehlerhaft ist. Weiterhin offenbare auch der Umstand, dass sich in der ProdukthaftungsRL keine Bestimmungen dazu finden, dass für Schäden, die durch eine Dienstleistung verursacht wurden, in Bezug auf die das Produkt nur den körperlichen Träger bildet, die Haftung für fehlerhafte Produkte eingreifen kann, den Willen des Unionsgesetzgebers. Es entspreche insoweit offensichtlich nicht seiner gesetzgeberischen Intention, derartige Schäden in den Anwendungsbereich des verschuldensunabhängigen Haftungsregimes der ProdukthaftungsRL zu integrieren.

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3. Wettbewerbsrecht

a) Mangelnde Spürbarkeit eines Verstoßes gegen die Verordnung (EU) 1007/2001 („Textilkennz-VO“)

OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 14.1.2021 – 6 U 256/19

Die Parteien streiten um wettbewerbsrechtliche Unterlassungs- und Abmahnkostenersatzansprüche hinsichtlich der Materialangabe „Acryl“. Die Klägerin eröffnete am 20.7.2017 einen Partnershop bei der Beklagten, die über eine Verkaufsplattform zum einen Bekleidungsstücke selbst vertreibt und zum anderen Dritten die Möglichkeit bietet, Kleidungsstücke nach eigenen Vorstellungen zu bedrucken und zu vertreiben. Nachdem die Klägerin von einer Dritten am 17.8.2018 wegen der Verwendung der Materialangabe „Acryl“ im Partnershop der Beklagten abgemahnt worden war, forderte die Klägerin am 24.8.2018 die Beklagte zur Änderung der Materialbezeichnung sowie zur Freistellung hinsichtlich des durch die Abmahnung entstandenen Schadens auf. Die Beklagte kam dieser Forderung nicht nach und schaltete den Shop der Klägerin ab. Daraufhin mahnte die Klägerin die Beklagte mit Schreiben vom 11.9.2018 ab. Das Landgericht hat durch Urteil vom 19.11.2019 die Beklagte zur Unterlassung und zum Ersatz der Abmahnkosten aus einem Gegenstandswert in Höhe von 20.000 EUR verurteilt. Zur Begründung hat das Landgericht vor allem darauf hingewiesen, dass ein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 der TextilkennzVO i. V. m. Nr. 26 des Anhangs 1 der TextilkennzVO vorliege, da die Beklagte statt der zulässigen Materialangabe „Polyacryl“ die Angabe „Acryl“ verwendet habe. Dies stelle ein unlauteres Verhalten im Sinne von § 3a UWG dar. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie ihren Klageabweisungsantrag weiterverfolgt.

Die Berufung hat Erfolg. Das OLG Frankfurt a. M. legt in seiner Entscheidung allerdings dennoch zunächst dar, dass die Beklagte durch das Angebot von Textilien unter der Materialbezeichnung „Acryl“ gegen Art. 5 Abs. 1, 15 Abs. 3, 16 Abs. 1 und 3 TextilKennzVO verstoßen habe. Aus dem Anhang I Nr. 26 ergebe sich, dass die zu verwendenden Bezeichnungen in den verschiedenen Mitgliedstaaten unterschiedlich sind. Während beispielsweise in den Niederlanden die Bezeichnung „Acryl“ und in den anderen Mitgliedstaaten ähnliche Begriffe vorgegeben seien, sei der deutsche Begriff mit „Polyacryl“ angegeben. Es handele sich insoweit um einen eindeutigen Wortlaut, der sich einer abweichenden Auslegung a priori entziehe.

Im nächsten Schritt hebt das OLG Frankfurt a. M. sodann aber hervor, dass der Verstoß nicht geeignet sei, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar im Sinne von § 3a UWG zu beeinträchtigen. Soweit der Verstoß gegen eine Marktverhaltensregelung darin liege, dass dem Verbraucher eine wesentliche Information vorenthalten wird, ist dieser Verstoß nach Auffassung des OLG Frankfurt a. M. nur dann im Sinne von § 3a UWG spürbar, wenn der Verbraucher die ihm vorenthaltene wesentliche Information benötigt, um eine informierte Entscheidung zu treffen, und deren Vorenthalten geeignet ist, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Im vorliegenden Fall stelle sich die Situation so eben nicht dar. Denn der Verkehr im deutschen Sprachraum habe keinerlei Veranlassung zu der Annahme, es handele sich bei „Acryl“ um eine andere Faser als „Polyacryl“. Er wird vielmehr umgangssprachlich weit überwiegend den Begriff „Acryl“ als Abkürzung für Polyacryl verwenden. Dies dränge sich schon deshalb auf, weil dem Verkehr keine andere Acrylfaser bekannt sei.

Link zum Urteil

b) Prospektwerbung für ein Biozidprodukt ohne erforderlichen Warnhinweis

LG Essen, Urteil vom 28.4.2021 – 44 O 42/20

Der Kläger, ein Wettbewerbsverband, nimmt die Beklagte wegen zweier Wettbewerbsverstöße auf Unterlassung und Zahlung von Abmahnkosten in Anspruch. Die Beklagte betreibt Lebensmitteldiscountmärkte, in denen sie u. a. Desinfektionsmittel vertreibt. Die Beklagte bewarb in zwei Prospekten die Desinfektionsmittel „T“ und „M“, bei denen es sich um Biozidprodukte handelte. Im zeitlich ersten Prospekt enthielt die Seite 1, auf der sich ein Foto der Produkte nebst verschiedenen Informationen wie dem Preis befand, einen Verweis auf Seite 11 des Prospektes. Auf dieser Seite fand sich dann ein Warnhinweis („Biozidprodukte vorsichtig verwenden. Vor Gebrauch stets Etikett und Produktinformation lesen.“). Im zeitlich zweiten Prospekt war kein derartiger Hinweis enthalten. Mit Schreiben vom 5.10.2020 bzw. 30.11.2020 mahnte der Kläger die Beklagte wegen der Verstöße in den Prospekten ab und forderte sie zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungsverpflichtungserklärung auf. Nach Ablauf der gesetzten Fristen erhebt der Kläger vor dem LG Essen Klage.

Die Klage hat Erfolg. Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Unterlassungsanspruch hinsichtlich beider gerügter Verstöße gem. § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2 UWG zu, da die Beklagte nach Auffassung des LG Essen gegen die §§ 3 Abs. 1, 3a UWG verstoßen und somit unlauter gehandelt hat. Nach § 3a UWG handelt unlauter, wer eine gesetzliche Vorschrift verletzt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln. Dazu können alle Rechtsnormen zählen, die in Deutschland Geltung besitzen, insbesondere die Normen des primären und sekundären Unionsrechts.

Bezogen auf den in Rede stehenden Sachverhalt hat das LG Essen eine Verletzung von Art. 72 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung (EU) 528/2012 („Biozid-Verordnung“) festgestellt. Hiernach ist jeder Werbung für Biozidprodukte – worunter die streitgegenständlichen Produkte zu subsumieren sind – folgender Hinweis hinzuzufügen: „Biozidprodukte vorsichtig verwenden. Vor Gebrauch stets Etikett und Produktinformationen lesen.“ Da es hinsichtlich des zweiten Prospekts gänzlich an einem derartigen Hinweis fehle, könne die Verletzung von Art. 72 Abs. 1 Satz 1 Biozid-Verordnung in dieser Hinsicht ohne Weiteres bejaht werden. Weiterhin stelle aber auch die Aufspaltung von Produktdarstellung und Hinweisplatzierung im ersten Prospekt eine Verletzung von Art. 72 Abs. Abs. 1 Satz 1 Biozid-Verordnung dar. Es handele sich in diesem Fall nicht um eine einheitliche Werbung, weshalb der Warnhinweis auf Seite 11 nicht den Anforderungen der gesetzlichen Regelungen genüge. Die wesentlichen Angaben zum Produkt, auf deren Grundlage der Verbraucher seine geschäftliche Entscheidung treffen kann, würden bereits auf Seite 1 aufgeführt. Bei einer solchen Prospektgestaltung könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Verbraucher in jedem Fall dem Verweis folgt und die Seite 11 tatsächlich zur Kenntnis nimmt. Der mit den gesetzlichen Regelungen der Biozid-Verordnung verbundene Informationsgehalt des Warnhinweises erreiche einen solchen Kunden, der seine Kaufentscheidung bereits nach Wahrnehmung der Seite 1 trifft, dann möglicherweise nicht mehr. Dies laufe erkennbar dem Sinn des Warnhinweises aus der Biozid-Verordnung zuwider.

Die Feststellung des LG Essen, die Verletzung von Informations-pflichten auf dem Gebiet des Ver-braucherschutzes sei „stets als spür-bar anzusehen“, steht in ihrer Abso-lutheit im Widerspruch zur oben besprochenen Entscheidung des OLG Frankfurt a. M. vom 14.1.2021 – 6 U 256/19.

Das LG Essen hat weiterhin festgestellt, dass es sich bei Art. 72 Abs. 1 Satz 1 Biozid-Verordnung um eine Marktverhaltensregelung im Sinne des § 3a UWG handelt und insoweit vor allem auf den verbraucherschützenden Charakter von Produktkennzeichnungspflichten abgestellt. Überdies seien die begangenen Verstöße der Beklagten auch geeignet, die durch sie verletzten Interessen der betroffenen Verbraucher im Sinne von § 3a UWG spürbar zu beeinträchtigen. Schließlich seien Verstöße gegen unionsrechtliche Regelungen über Informationspflichten auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes stets als spürbar anzusehen.

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c) Fehlende Kennzeichnung nach § 9 Abs. 2 ElektroG

OLG Hamm, Urteil vom 20.7.2021 – I-4 U 72/20

Die Parteien vertreiben Leuchten und Leuchtmittel über das Internet. Im vorliegenden Hauptsacheverfahren streiten sie um die Kennzeichnungspflicht dieser Leuchten nach § 9 Abs. 2 ElektroG. Die Klägerin mahnte die Beklagte mit anwaltlichem Schreiben vom 20.2.2019 wegen eines Verstoßes gegen § 9 Abs. 2 ElektroG ab und forderte sie zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auf, weil das Symbol der „durchgestrichenen Mülltonne“ – unstreitig – nicht am Produkt selbst angebracht, sondern lediglich in den Begleitunterlagen abgedruckt war. Die Beklagte wies die Abmahnung am 28.2.2019 zurück. Daraufhin machte die Klägerin vor dem LG Dortmund einen entsprechenden Unterlassungsanspruch geltend. Das LG Dortmund hat dieser Klage mit Urteil vom 25.7.2019 stattgegeben. Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beklagte nun im Wege der Berufung an das OLG Hamm. In rechtlicher Hinsicht geht es im vorliegenden Rechtsstreit vor allem um die Frage, ob § 9 Abs. 2 ElektroG als Markverhaltensregel im Sinne von § 3a UWG zu qualifizieren ist. Hiervon war das LG Dortmund in seiner Ausgangsentscheidung ausgegangen.

Die Berufung hat keinen Erfolg. Das OLG Hamm bejaht – wie zuvor schon das LG Dortmund – den geltend gemachten Unterlassungsanspruch der Klägerin aus § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1, §§ 3, 3a UWG i. V. m. § 9 Abs. 2 ElektroG.

§ 9 Abs. 2 ElektroG stellt auch nach Auffassung des OLG Hamm eine Marktverhaltensregel im Sinne von § 3a UWG dar. Der zuständige Senat hebt zunächst hervor, dass diese Frage obergerichtlich äußerst umstritten ist, um sich sodann der Auffassung – und vor allem der Argumentation – des OLG Frankfurt a. M. anzuschließen. Der dort zuständige Senat hätte die mittelbar verbraucherschützende Wirkung des § 9 Abs. 2 ElektroG herausgearbeitet. Der Verbraucher könne anhand des „Mülltonnensymbols“ bereits beim Kauf erkennen, dass er das Produkt nicht im Hausmüll entsorgen kann. An dieser Information habe er auch Interesse. Sie führe ihm vor Augen, dass er einen anderen, meist aufwändigeren Entsorgungs-weg wählen muss. § 9 Abs. 2 ElektroG enthalte daher ein produktbezogenes Gebot. Bei etwaigen Verstößen werde jedenfalls die schutzwürdige Erwartung des Verbrauchers enttäuscht, ein Produkt angeboten zu bekommen, das den im Interesse des Kunden bestehenden gesetzlichen Bestimmungen entspricht.

Weiterhin streite für den Charakter als Marktverhaltensregel auch der Umstand, dass der Gesetzgeber mit Wirkung zum 20.10.2015 die den Gesetzeszweck umschreibende Bestimmung des § 1 ElektroG um Satz 3 ergänzt hat. Nach § 1 Satz 3 ElektroG solle das Gesetz – gemeint ist das ElektroG im Ganzen – zur Erreichung der abfallwirtschaftlichen Ziele nämlich das Marktverhalten der Verpflichteten regeln. Durch diese Konkretisierung habe der Gesetzgeber den für die Anwendbarkeit des Rechtsbruchtatbestands nötigen Schutzzweck begründet.

Weiterhin habe das LG Dortmund auch richtigerweise die Einschlägigkeit des Ausnahmetatbestands nach § 9 Abs. 2 Satz 2 ElektroG verneint. Die Voraussetzungen dieser Regelung lägen nicht vor, da das „Mülltonnensymbol“ ohne jedwede Funktionsbeeinträchtigung problemlos am Boden der in Rede stehenden Lampen angebracht werden könne.

Das OLG Hamm führt überdies aus, dass der Verstoß gegen § 9 Abs. 2 ElektroG auch geeignet sei, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar im Sinne von § 3a UWG zu beeinträchtigen. Das Fehlen des „Mülltonnensymbols“ auf der Leuchte selbst wirke sich sogar bei einem Online-Kauf, bei dem das „Mülltonnensymbol“ zum Zeitpunkt der Kaufentscheidung ohnehin nicht wahrnehmbar ist, nachteilig für den Verbraucher aus. In einem derartigen Szenario könnte der Verbraucher nach Auslieferung und Inaugenscheinnahme des Geräts von der Ausübung seines Widerrufsrechts absehen, da er der irrigen Annahme unterliegt, er könne das Gerät nach Gebrauch im Hausmüll entsorgen. An einer Spürbarkeit fehle es im Übrigen auch nicht deshalb, weil das „Mülltonnensymbol“ in den Begleitunterlagen abgedruckt ist. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass alle Verbraucher die Gebrauchsanweisung zur Kenntnis nehmen und bis zur anstehenden Entsorgung des Produkts aufbewahren, um sich sodann anhand der Gebrauchsanweisung über die Entsorgungsmöglichkeiten zu informieren.

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d) Wettbewerbsrechtliche Verkehrspflichten von Online-Marktplätzen bei produktrechtlichen Verstößen

OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 24.6.2021 – 6 U 244/19

Die Parteien streiten über die wettbewerbsrechtlichen Verkehrspflichten von Online-Marktplatzbetreibern bei etwaigen Verstößen gegen die CE-Kennzeichnungspflicht aus § 7 Abs. 2 ProdSG. Die Klägerin stellt Schwimmscheiben (Schwimmhilfen für Kinder) her und vertreibt diese. Die Beklagte betreibt mit eBay einen Internetmarktplatz. 2018 stellte die Klägerin fest, dass über eBay gewerbliche Drittverkäufer Schwimmscheiben chinesischer Herkunft anboten, die weder über eine Herstellerkennzeichnung noch eine CE Kennzeichnung noch eine EU- oder EG-Konformitätserklärung und Baumusterprüfbescheinigung verfügten. Auf den meisten Produktbildern der Angebote fand sich keine CE-Kennzeichnung; für ein Angebot wurde ein falsches Foto mit CE-Kennzeichnung verwendet. Da die Klägerin der Auffassung war, dass die fraglichen Angebote gegen Produktsicherheitsvorschriften verstießen, beanstandete sie die Angebote gegenüber der Beklagten mit diversen Schreiben. Dies blieb im Ergebnis erfolglos, weshalb sie vor dem LG Frankfurt a. M. mit dem Ziel Klage erhob, die beanstandeten Angebote sperren zu lassen und die Beklagte zu verpflichten, betroffene Angebote solcher Anbieter selbstständig auszusortieren, die in der Vergangenheit bereits gemeldet wurden. Zunächst allerdings noch ohne Erfolg. Das LG war der Auffassung, dass die Beklagte keine wettbewerbsrechtliche Verkehrspflicht verletzt habe. Verstöße gegen Produktsicherheitsvorschriften seien auf den Produktbildern nicht erkennbar. Für eine Prüfungspflicht der Beklagten genüge es nicht, dass die Klägerin in der Vergangenheit bereits Angebote desselben Verkäufers beanstandet habe. Gegen diese Entscheidung wandte sich die Klägerin im Wege der Berufung.

Der Berufung hat überwiegend Erfolg. Das OLG Frankfurt stellt fest, dass die Beklagte als Betreiberin eines Online-Marktplatzes eine wettbewerbsrechtliche Verkehrspflicht verletzt habe. Sie sei für die Verstöße der eBay-Händler gegen die CE-Kennzeichnungspflicht aus § 7 Abs. 2 ProdSG und der Pflicht zum Aufbringen der notwendigen Herstellerangaben (auch ohne selbst Händlerin zu sein) verantwortlich. Ihr sei es zwar insbesondere nicht zuzumuten, jedes Angebot vor Veröffentlichung im Internet anlasslos auf eine mögliche Rechtsverletzung hin zu untersuchen. Allerdings müsse die Betreiberin eines Online‑Marktplatzes, wenn sie auf eine klare Rechtsverletzung hingewiesen worden sei, das konkrete Angebot unverzüglich sperren (sog. „notice and take down“). Überdies müsse sie bei produktsicherheitsrechtlichen Verstößen durch Händler-Accounts, die zuvor bereits entsprechende Verletzungen begangen haben, auch ohne erneuten Hinweis von Dritten Vorsorge treffen, dass es durch diese möglichst nicht zu weiteren derartigen Schutzverletzungen komme. Das sei der Beklagten auch zumutbar, da man anhand der Produktbilder ohne Aufwand erkennen könne, ob ein CE-Kennzeichen sowie die notwendigen Herstellerangaben aufgebracht seien oder nicht. Fehlten Bilder oder sei das Kennzeichen auf den vorhandenen Bildern nicht sichtbar, bestehe jedenfalls ausreichender Anlass für die Beklagte, bei dem Händler nachzuforschen und das Angebot zunächst nicht zu veröffentlichen. Immerhin spreche eine CE‑Kennzeichnung – so das Gericht – aus Sicht der Verbraucher für die Qualität des angebotenen Produkts, weswegen man nach der Verkehrserfahrung erwarten könne, dass sie auch auf den Produktbildern zu sehen seien. Allerdings verneinte das OLG Frankfurt eine Verantwortlichkeit der Beklagten für Produkte, bei denen die Händler falsche Fotos mit CE-Kennzeichnung benutzt haben. Dies sei für die Beklagte nur durch Testkäufe erkennbar, was ihr jedoch nicht zumutbar sei. Gleiches gelte für die EU-Konformitätserklärung.

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e) Vertrieb eines Produkts ohne Gebrauchsanweisung in deutscher Sprache

LG Dortmund, Urteil vom 26.1.2021 – 25 O 192/20

Die Parteien streiten im Wesentlichen um einen wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch hinsichtlich des Vertriebs von Produkten ohne deutschsprachige Bedienungsanleitungen. Der Beklagte betreibt eine Vertriebsplattform, auf der er unter anderem Geräte zur LED-Rotlichtbehandlung anbietet. In der Produktbeschreibung heißt es dort: „Beschreibung nur in englischer Sprache verfügbar“. Diese Nutzungsbeschreibung enthielt Warn- und Sicherheitshinweise in Form von Symbolen und Piktogrammen. Die Klägerin mahnte den Beklagten in der Folge ab, weil dem Produkt keine Gebrauchsanweisung in deutscher Sprache beigefügt war und forderte ihn – erfolglos – zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auf. Im anschließenden Klageverfahren bestritt die Beklagte, das Produkt ohne deutschsprachige Gebrauchsanweisung ausgeliefert zu haben, legte aber auch keine entsprechenden Unterlagen vor.

Die Klage vor dem LG Dortmund hat Erfolg. Das Gericht sieht einen Wettbewerbsverstoß für gegeben an und verurteilt die Beklagte u. a. dazu, es zu unterlassen, das Produkt ohne eine Bedienungsanleitung in deutscher Sprache zu vertreiben. Das Landgericht ist der Auffassung, die Beklagte habe gegen ihre Pflichten aus § 3 Abs. 4 ProdSG verstoßen. Nach dieser Norm ist bei der Bereitstellung auf dem Markt (vorbehaltlich anderer Normen) eine Gebrauchs- und Bedienungsanleitung für das Produkt in deutscher Sprache mitzuliefern, wenn bei der Verwendung, Ergänzung oder Instandhaltung eines Produkts bestimmte Regeln zu beachten sind. So lägen die Dinge auch hier. Schon aus den in der englischen Anleitung verwendeten Symbolen gehe hervor, dass bei der Verwendung bestimmte Sicherheitsregeln zum Gesundheitsschutz zu beachten seien. Das LG Dortmund gelangt zur Überzeugung, dass es der Beklagte bei diesen Symbolen belassen und keine deutschsprachige Gebrauchsanleitung mitgeliefert habe. Das Gegenteil hat der Beklagte nicht beweisen können. Nach dem im Zivilprozess geltenden Beibringungsgrundsatz wäre es aber seine Aufgabe gewesen, die deutsche Gebrauchsanweisung vorzulegen. Mit einer bloßen pauschalen Behauptung habe er diese Pflicht nicht erfüllt.

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Dr. Jens Nusser, LL.M.
Rechtsanwalt | Partner

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