Mandanteninformation - Novellierung der Gefahrstoffverordnung
Artikel als PDF herunterladenLiebe Mandantinnen und Mandanten,
sehr geehrte Damen und Herren,
am 05.12.2024 tritt die Neufassung der Verordnung zum Schutz vor Gefahrstoffen (Gefahrstoffverordnung – GefStoffV) in Kraft.
Die GefStoffV behandelt die Schutzmaßnahmen für Beschäftigte bei Tätigkeiten mit Gefahrstoffen. Aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse, der Fortentwicklung des Stands der Technik und veränderten Arbeitsbedingungen wurde die Verordnung aktualisiert und erweitert.
Nachfolgend stellen wir Ihnen Hintergrund und Ablauf der Novellierung, die enthaltenen Änderungen und unsere Einschätzung dar.
Wir wünschen Ihnen viele neue und nützliche Erkenntnisse beim Lesen!
1. Hintergrund und Ablauf der Novellierung
Mit der Änderung der Gefahrstoffverordnung verfolgt die Bundesregierung insbesondere das Ziel einer verbesserten Prävention von berufsbedingten Krebserkrankungen. Dazu wird das Maßnahmenkonzept bei Tätigkeiten mit krebserzeugenden Gefahrstoffen, welches seit 2008 im technischen Regelwerk verankert ist, vollständig in die Verordnung integriert. Weiter werden in Umsetzung der EU-„Krebsrichtlinie“ (RL 2004/37/EG) in Verbindung mit der Änderungsrichtlinie 2022/431/EU Regelungen zu reproduktionstoxischen Stoffen eingeführt. Besonders relevant für die Baubranche sind die Umsetzungen der Ergebnisse des nationalen Asbestdialogs.
Streitpunkt im Rahmen der Novellierung war insbesondere die Frage nach der Aufnahme einer Erkundungspflicht für Veranlasser von Tätigkeiten an baulichen oder technischen Anlagen, sprich Bauherrn und sonstige Auftraggeber. Speziell Entsorgungs- und Abbruchverbände hatten – vor dem Hintergrund der Ergebnisse aus dem nationalen Asbestdialog, an dem sie selbst prominent beteiligt waren – auf die Aufnahme einer solchen Pflicht gedrängt. Letztlich wurde eine solche Erkundungspflicht nicht aufgenommen (vgl. unter 3.).
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 18.10.2024 der durch die Bundesregierung vorgeschlagenen Verordnung zur Änderung der Gefahrstoffverordnung und anderer Arbeitsschutzverordnungen (BR-Drucks. 403/24) mit einigen Änderungen zugestimmt (BR-Drucks. 403/24(B)).
2. Änderungen durch die Novellierung der Gefahrstoffverordnung
Im Einzelnen erfolgen durch die Novellierung der Gefahrstoffverordnung folgende Änderungen:
a) Differenziertes Schutzkonzept
Bei Tätigkeiten mit krebserzeugenden Gefahrstoffen verfolgt der Verordnungsgeber nun ein differenzierteres Konzept und stellt auf das statistische Risiko ab, im Laufe des Arbeitslebens eine Krebserkrankung zu erleiden. Diese Bereiche mittleren und hohen Risikos (Akzeptanz- und Toleranzkonzentration) definiert der Verordnungsgeber in § 2 Abs. 8a und 8b GefStoffV n.F. Die am Arbeitsplatz zu berücksichtigenden Grenzwerte werden mit § 6 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 GefStoffV n.F. um diese beiden Konzentrationen erweitert. Das Konzept der Akzeptanz- und Toleranzkonzentration wird von den Unfallkassen bereits seit Längerem zur Anerkennung von Berufserkrankungen angewendet. Der Ausschuss für Gefahrenstoffe hat in den Technischen Regeln für Gefahrenstoffe TRGS 910 vom 02.04.2014 diese Begriffe festgelegt, die nun in die GefStoffV überführt werden.
Die Verordnung knüpft erhöhte Handlungspflichten des Arbeitsgeber an ein hohes Risiko und geringere Handlungspflichten an ein mittleres Risiko. Dadurch wird verhindert, dass undifferenzierte Maßnahmen rein durch das Vorliegen eines krebserzeugenden Stoffes der Kategorie 1A oder 1B erforderlich werden. Dieses Risikokonzept wird umgesetzt in § 10 GefStoffV n.F., der für die besonderen Schutzmaßnahmen Bezug auf die Risikobereiche nimmt.
b) Umgang mit Asbest
Für den Umgang mit Asbest sieht die Verordnung in den §§ 11, 11a und 12 GefStoffV n.F. Anpassungen an dieses Risikokonzept vor, indem Mitwirkungs- und Informationspflichten des Veranlassers von Bautätigkeiten, die Qualifizierung der Beschäftigten sowie die erweiterte Erlaubnis beim Bauen im Bestand in Bezug auf die funktionale Instandhaltung vorgesehen sind. In § 2 Abs. 4a und 4b GefStoffV n.F. werden neue Definitionen für Asbest und asbesthaltige Materialien eingeführt. Verbotene Tätigkeiten im Zusammenhang mit Asbest und Ausnahmen hiervon finden sich nun nicht mehr in Anhang II Nr. 1, sondern differenzierter und unter Bezugnahme auf die definierten Risikobereiche in § 11 Abs. 1 und 2 GefStoffV. § 11a GefStoffV enthält neue Anforderungen an Tätigkeiten mit Asbest, die in Anhang I Nummer 3 der GefStoffV weiter konkretisiert werden. Die bisherigen besonderen Schutzmaßnahmen aus § 11 GefStoffV wandern schließlich in den § 12 GefStoffV n.F.
c) Abschließende Rückausnahmen zum sog. Überdeckungsverbot
Die Rückausnahmen zum sog. Überdeckungsverbot werden ebenfalls in die Verordnung überführt und finden sich zukünftig in § 11 Abs. 3 der GefStoffV. Hierzu führt die Verordnungsbegründung aus, dass die Ausnahmen nun – im Unterschied zur Morinolfugen-Rechtsprechung (OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 11.04.2026 – 3 L 90/15) – abschließend eingeschränkt werden. Damit ist zukünftig klar, dass nur die ausdrücklich genannten Tatbestände verboten sind: Die feste Überdeckung, Überbauung oder Aufständerung von Asbestzementdächern, Asbestzement-Wand- und Deckenverkleidungen sowie asbesthaltigen Bodenbelägen (Nr. 1) und Reinigungs- und Beschichtungsarbeiten an nicht vollflächig beschichteten Asbestzementdächern und Außenwandverkleidungen aus Asbestzement (Nr. 2). Durch die eindeutige und abschließende Nennung sollen Auslegungsmissverständnisse vermieden und die funktionale Instandhaltung ermöglicht werden.
d) Expositionsverzeichnis
Zur Umsetzung der EU-„Krebsrichtlinie“ und ihrer Änderungsrichtlinie wird gemäß § 10a GefStoffV n.F. ein Expositionsverzeichnis bei Tätigkeiten mit reproduktionstoxischen Stoffen eingeführt, um im Falle einer späteren Erkrankung die Höhe und Dauer der Exposition nachvollziehen zu können.
3. Mitwirkungs- und Informations- anstelle einer Erkundungspflicht des Veranlassers (§ 5a GefStoffV-E)
Die GefStoffV n.F. sieht keine Erkundungspflicht für Veranlasser von Tätigkeiten an baulichen und technischen Anlagen vor.
Noch im Referentenentwurf der Bundesregierung vom 01.07.2024 zur Verordnung zur Änderung der Gefahrstoffverordnung war eine solche Erkundungspflicht enthalten. Der Entwurf vom 1. Juli 2024 sah folgende Regelung vor: „Derjenige, der Tätigkeiten an baulichen oder technischen Anlagen veranlasst, hat vor Aufnahme der Tätigkeiten zu erkunden, ob entsprechend der Bau- oder Nutzungsgeschichte des Objekts Gefahrstoffe, insbesondere Asbest, vorhanden oder zu vermuten sind, die durch die Tätigkeiten freigesetzt werden können und zu einer besonderen Gesundheitsgefährdung führen können.“ Im Gesetzgebungsverfahren hatten sich zudem in der Beschlussempfehlung vom 07.10. 2024 verschiedene Ausschüsse für eine Erkundungspflicht – in unterschiedlichen Schattierungen – ausgesprochen.
In der finalen Fassung wird auf eine Erkundungspflicht des Veranlassers verzichtet. Stattdessen wird in § 5a GefStoffV-E eine „besondere Mitwirkungs- und Informationspflicht für Veranlasser“ aufgestellt. Hiernach hat der Veranlasser vor Beginn der Tätigkeiten dem ausführenden Unternehmen alle ihm vorliegenden Informationen zur Bau- oder Nutzungsgeschichte über vorhandene oder vermutete Gefahrstoffe schriftlich oder elektronisch zur Verfügung zu stellen (Abs. 1 S. 1). Dabei hat er sich zur Informationsbeschaffung in zumutbarem Aufwand der ihm zugänglichen Unterlagen zu bedienen (Abs. 1 S. 2). Um die Feststellung zu ermöglichen, ob Asbest vorliegt, hat der Veranlasser an Objekten mit Baujahr zwischen 1993 und 1996 das Datum des Baubeginns des Objekts (oder das Baujahr des Objekts, sofern das genaue Datum des Baubeginns nicht bekannt ist) an das ausführende Unternehmen zu übermitteln. Bei Objekten mit Baujahr vor 1993 oder nach 1996 reicht die Angabe des Baujahrs aus.
Ob damit das letzte (legislative) Wort zur Erkundungspflicht gesprochen ist, bleibt abzuwarten. Der Bundesrat hat begleitend zu seiner Zustimmung zu der Verordnung zur Änderung der Gefahrstoffverordnung einen Entschließungsantrag getroffen, mit dem er die Bundesregierung auffordert, baldmöglichst zu bewerten, „ob und in welchem Rahmen eine anlassbezogene Erkundung durch die Veranlasser zur Erfüllung der Ziele der Verordnung angezeigt ist.“ Ein solcher Entschließungsantrag ist indes rechtlich nicht verbindlich und hat lediglich auffordernden Charakter.
Ob es ggf. zu weiteren gesetzgeberischen Aktivitäten kommt, ist damit (vorerst) Zukunftsmusik. Für beteiligte Wirtschaftsakteure stehen daher aktuell Fragen nach den konkreten rechtlichen Auswirkungen der Neuregelung im Vordergrund: Für Bauherren gilt es dabei zu beachten, dass sie zwar keiner dezidierten Erkundungspflicht nach der Gefahrstoffverordnung unterliegen, jedoch bei nicht fachgerechter Entsorgung asbesthaltiger Abfälle (hier sind insbesondere die Vollzugshinweise der LAGA M 23 zu beachten) durch die Abfallbehörden sanktioniert werden können. An dieser Stelle stellt sich die Frage nach der Kohärenz der verschiedenen rechtlichen Anforderungen. Klärungsbedürftig ist zudem, wie weit der „zumutbare Aufwand“ reicht, den der Veranlasser bei der ihm obliegenden Informationsbeschaffung nach § 5a Abs. 1 S. 2 GefStoffV-E betreiben muss. Ebenso stellt sich die Frage, ob und inwieweit § 5a GefStoffV-E Auswirkungen auf Gehalt und Aussagekraft der VDI-Richtlinie 6202 Blatt 3 hat, die sich an verschiedenste Baubeteiligte richtet und Anforderungen für die Erkundung und Bewertung von Asbest in baulichen und technischen Anlagen bei Betrieb, Baumaßnahmen, Abbruch und Wertermittlung aufstellt.
4. Unsere Einschätzung
Insgesamt verfolgt der Verordnungsgeber mit dem Risikoansatz ein neues Schutzkonzept. Es bleibt abzuwarten, ob dieser differenziertere Ansatz die bezweckten Entlastungen erreicht, ohne dabei zu nicht hinnehmbare Einbußen beim Gesundheitsschutz auf Seiten der Beschäftigten zu führen.
Gebäudeschadstoffe sind nur ein Aspekt der Gefahrstoffverordnung, stehen aber im Zentrum der Novellierung. Dem Vorschlag einer stärkeren Bauherren-Verantwortlichkeit für Erkundungen vor Beginn der Beauftragung ist der Bundesrat jedenfalls nicht gefolgt, wohl um die Energiewende im Gebäudesektor nicht auszubremsen – dies stößt jedoch auf Kritik aus dem Baugewerbe. Bauherren dürfen zudem nicht vergessen, dass sie zwar keiner dezidierten Erkundungspflicht nach der Gefahrstoffverordnung unterliegen, jedoch bei Nichtbeachtung der Anforderungen der LAGA M 23 bei der Entsorgung asbesthaltiger Abfälle durch die Abfallbehörden sanktioniert werden können. Beteiligte Wirtschaftsakteure sollten zudem aufmerksam mitverfolgen, welche konkreten Ableitungen (gerade im Hinblick auf offene und klärungsbedürftige Fragen, siehe unter 3.) aus den neuen Anforderungen gezogen werden und (perspektivisch) welche weiteren Entwicklungen es ggf. bei der Norm-, Verordnungs- und Gesetzgebung geben wird.
Die ausdrückliche Abgrenzung von der Morinolfugen-Rechtsprechung hingegen bedeutet eine für Bauherren begrüßenswerte Flexibilisierung der Regelungen zum Überdeckungsverbot.
Die Neufassung der Gefahrstoffverordnung im Bundesgesetzblatt kann hier abgerufen werden, eine Lesefassung ist auf den Seiten des Bundesarbeitsministeriums hier verfügbar. Verordnungsentwurf und -begründung sind auf den Seiten des Bundesrates hier abrufbar.