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Mandanteninformation - Die neue EU-Produktsicherheitsverordnung

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Liebe Mandantinnen und Mandanten,
liebe Damen und Herren,

in einem zügigen Gesetzgebungsverfahren hat die Verordnung (EU) 2023/988 (nachfolgend EU-ProdSV) alle legislativen Hürden genommen und ist am 23. Mai 2023 im EU-Amtsblatt veröffentlicht worden. Die Verordnung wird mit dem Ablauf einer Übergangsfrist zum 13. Dezember 2024 die allgemeine Produktsicherheitsrichtlinie 2001/95/EG ersetzen und neue Pflichten für Hersteller, Importeure und Händler begründen. Außerdem sind in der EU-ProdSV Betreiber von Online-Marktplätzen in den gesetzgeberischen Fokus getreten. Sie gilt als EU-Verordnung ab dem 13.12.2024 unmittelbar in allen EU-Mitgliedstaaten; einer nationalen Umsetzung bedarf es grundsätzlich nicht. Mit dieser Mandanteninformation möchten wir Ihnen einen Überblick über die neuen Pflichten verschaffen, die sich aus der EU-ProdSV ergeben.

Das gesamte Produktrechtsteam wünscht Ihnen viele neue und nützliche Erkenntnisse beim Lesen,

 

herzliche Grüße,

Ihr Jens Nusser

1. Anwendungsbereich - EU-ProdSV ist auf Verbraucherprodukte beschränkt

Der Anwendungsbereich der EU-ProdSV ist auf die Bereitstellung von Verbraucherprodukten im Gemeinschaftsmarkt beschränkt und entspricht insoweit dem Anwendungsbereich der allgemeinen Produktsicherheitsrichtlinie 2001/95/EG. So wird in Art. 2 Abs. 1 EU-ProdSV geregelt, dass die EU-ProdSV für die Bereitstellung von „Produkten“ gilt. Unter den Begriff des Produkts i.S.d. EU-ProdSV fallen jedoch nur solche Gegenstände, die „für Verbraucher bestimmt sind oder unter vernünftigerweise vorhersehbaren Bedingungen wahrscheinlich von Verbrauchern benutzt werden“, selbst wenn sie nicht für Verbraucher bestimmt sind“. Dies entspricht der Definition für Verbraucherprodukte des deutschen Produktsicherheitsgesetzes (ProdSG).

Vor diesem Hintergrund ist festzuhalten, dass die EU-ProdSV nicht für das Inverkehrbringen und die Bereitstellung von Produkten gilt, die für eine gewerbliche oder industrielle Nutzung bestimmt sind und von denen auch nicht unter vernünftigerweise vorhersehbaren Bedingungen erwartet werden kann, dass diese von Verbrauchern benutzt werden. Im Übrigen werden bestimmte Produktkategorien wie beispielsweise Human- und Tierarzneimittel, Lebensmittel sowie Pflanzenschutzmittel per se aus Anwendungsbereich der EU-ProdSV genommen, siehe Art. 2 Abs. 2 EU-ProdSV.

Hinweis: Die EU-ProdSV hat im Vergleich zum deutschen ProdSG einen deutlich engeren Anwendungsbereich. Denn im ProdSG hat der deutsche Gesetzgeber neben Regelungen im Hinblick auf die Bereitstellung von Verbraucherprodukten auch Regelungen in Bezug auf Produkte aufgestellt, die nicht als Verbraucherprodukte einzustufen sind. Wir gehen davon aus, dass das deutsche ProdSG auch nach dem 13. Dezember 2024 nach wie vor Pflichten in Bezug auf die Bereitstellung von Produkten regeln wird, die nicht als Verbraucherprodukte einzustufen sind.

2. Anwendbarkeit der EU-ProdSV unter Beachtung des Spezialitätsgrundsatzes

Der EU-Gesetzgeber stellt mit EU-Harmonisierungsrechtsakten, insbesondere CE-Rechtsakten, spezifische Vorgaben für die Bereitstellung von Produkten auf. Die EU-ProdSV legt hingegen einen produktunspezifischen/allgemeinen Rechtsrahmen für die Bereitstellung von Verbraucherprodukten fest. Um eine Abgrenzbarkeit der EU-ProdSV von den spezifischen Produktrechtsakten zu erreichen und Normenkollisionen zu vermeiden, hat der EU-Gesetzgeber in Art. 2 Abs. 1 EU-ProdSV einen Spezialitätsgrundsatz definiert. Hiernach findet die EU-ProdSV keine Anwendung, sofern und soweit in Unionsvorschriften spezifische Bestimmungen über die Sicherheit der betroffenen Produkte existieren, mit denen im Vergleich zu den Vorschriften der EU-ProdSV dasselbe Ziel verfolgt wird.
Die EU-ProdSV regelt außerdem in Art. 2 Abs. 1 S. 3 lit. b) EU-ProdSV für die in Kapitel III Abschnitt 1 definierten Pflichten der Wirtschaftsakteure einen Anwendungsausschluss, sofern es um die Bereitstellung von Produkten geht, „die spezifischen Anforderungen der Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union unterliegen“. Bei den Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union handelt es sich wiederum um die in Anhang I der Verordnung (EU) 2019/1020 aufgeführten Rechtsvorschriften der Union sowie alle sonstigen Rechtsvorschriften der Union zur Harmonisierung der Bedingungen für die Vermarktung von Produkten, siehe Art. 3 Nr. 27 EU-ProdSV.

Im Detail ist die Auslegung des Anwendungsausschlusses mit erheblichen Unsicherheiten behaftet, weil der Wortlaut der Vorschrift verschiedene Deutungen zulässt. Zum einen lässt sich Art. 2 Abs. 1 S. 3 lit. b) EU-ProdSV dahingehend auslegen, dass die in Kapitel III Abschnitt 1 definierten Pflichten der Wirtschaftsakteure insgesamt keine Anwendung auf harmonisierte Verbraucherprodukte finden sollen. Die in Kapitel III Abschnitt 1 definierten Pflichten der Wirtschaftsakteure würden dann ausnahmslos nur für den nichtharmonisierten Produktbereich gelten und im Ergebnis für den nichtharmonisierten Produktbereich teilweise strengere Rechtspflichten begründen. Zum anderen kann Art. 2 Abs. 1 S. 3 lit. b) EU-ProdSV so verstanden werden, dass die in Kapitel III Abschnitt 1 definierten Pflichten ebenfalls auf die Bereitstellung von harmonisierten Verbraucherprodukten Anwendung finden sollen, sofern und soweit in den einschlägigen Harmonisierungsvorschriften keine Rechtspflichten existieren, die im Vergleich zu den in Kapitel II Abschnitt 1 definierte Pflichten dieselben Aspekte betreffen und dasselbe Ziel verfolgen. Nach unserer Auffassung stellt sich zweite Auslegungsvariante derzeit als die rechtssicherste Lösung dar, weil diese dem Art. 2 Abs. 1 S. 1 EU-ProdSV und der bisherigen Rechtslage (siehe Art. 1 Abs. 2 lit. b) Produktsicherheitsrichtlinie 2001/95/EG) entspricht sowie Regelungslücken vermeidet. Zu erwarten ist, dass die Kommission ihr Verständnis von Art. 2 Abs. 1 EU-ProdSV bei der nächsten Überarbeitung des Blue Guide erläutern wird.

3. Neue Sicherheitsanforderung für Verbraucherprodukte

Bereits nach Maßgabe der allgemeinen Produktsicherheitsrichtlinie 2001/95/EG bzw. dem deutschen ProdSG dürfen nur sichere Produkte im Gemeinschaftsmarkt in den Verkehr gebracht und bereitgestellt werden. Diese Voraussetzung stellt auch Art. 5 EU-ProdSV auf. Im Vergleich zum ProdSG stellt der EU-Gesetzgeber in Art. 6 EU-ProdSV nun aber neue Sicherheitsanforderungen für Verbraucherprodukte auf.

Nach Art. 6 Abs. 1 lit. g) EU-ProdSV kann ein Produkt nur dann als sicher eingestuft werden, wenn es die „erforderlichen Cybersicherheitsmerkmale“ aufweist, um das Produkt vor äußeren Einflüssen, einschließlich böswilliger Dritter, zu schützen, sofern sich ein solcher Einfluss auf die Sicherheit des Produkts auswirken könnte, einschließlich eines möglichen Ausfalls der Verbindung“.

Die in Art. 6 Abs. 1 lit. g) EU-ProdSV geregelten „Cybersicherheitsmerkmale“ für Verbraucherprodukte gelten jedoch unter Beachtung des Spezialitätsgrundsatzes nur insoweit, wie keine produktspezifischen Vorgaben zu „Cybersicherheitsmerkmalen“ existieren, siehe Erwägungsgrund Nummer 26 und Art. 2 Abs. 1 S. 3 lit. a) EU-ProdSV. Für viele digitale Produkte, für die „Cybersicherheitsmerkmale“ überhaupt eine Rolle spielen, existieren mit der delegierten Verordnung 2022/30/EU bereits spezifische Bestimmungen, die einen Vorrang vor der EU-ProdSV haben. Hiernach bleibt abzuwarten, inwieweit die „Cybersicherheitsmerkmale“ der EU-ProdSV in der Praxis tatsächlich relevant werden.

Hinweis: Die EU-Kommission hat außerdem den Entwurf für eine Verordnung über Cybersicherheitsanforderungen für Produkte mit digitalen Elementen veröffentlicht. Im Hinblick auf „Cybersicherheitsmerkmale“ wäre die Verordnung über Cybersicherheitsanforderungen für Produkte mit digitalen Elementen mit ihrem Inkrafttreten als ein spezifischer CE-Rechtsakt einzustufen, der einen Vorrang gegenüber der EU-ProdSV genießt. Sofern und sobald diese Verordnung in Kraft tritt, wird der EU-ProdSV im Hinblick auf „Cybersicherheitsmerkmale“ nochmals an Relevanz verlieren.

4. Konkretisierung der „Instrumente“ für eine Sicherheitsbeurteilung im nichtharmonisierten Produktbereich

Entspricht ein Produkt anwendbaren harmonisierten Normen, gilt für Verbraucherprodukte im Kontext der EU-ProdSV nach wie vor eine widerlegbare Sicherheitsvermutung, Art. 7 Abs. 1 EU-ProdSV.

In Bezug auf Produkte, für die keine oder nur eine unvollständige harmonisierte Normung existiert, ist auf den Art. 8 EU-ProdSV hinzuweisen. In dieser Vorschrift wird für den nichtharmonisierten Produktbereich erstmals ausführlich geregelt, mit welchen Instrumenten die Sicherheitsbeurteilung abseits der harmonisierten Normung zu erfolgen hat. Hierbei nennt Art. 8 Abs. 1 EU-ProdSV u.a. EU-Normen, deren Fundstellen nicht im EU-Amtsblatt veröffentlich worden sind, also keine harmonisierten Normen sind, internationale Übereinkünfte sowie die nationalen Normen, des Mitgliedstaats, in dem das jeweilige Produkt bereitgestellt wird.

5. Pflichten der Wirtschaftsakteure

5.1 Überblick zu den neuen Herstellerpflichten

In Art. 9 EU-ProdSV werden die Pflichten für Hersteller von Verbraucherprodukten geregelt. Weitestgehend entsprechen diese den sich aus den spezifischen EU-Harmonisierungsrechtsakten ergebenden Herstellerpflichten. Trotzdem ist festzustellen, dass Art. 9 EU-ProdSV einige neue Pflichten aufstellt, die nachfolgend skizziert werden:

  • Zunächst wird erstmalig für den nichtharmonisierten Produktbereich eine Pflicht zur Durchführung von internen Risikoanalysen sowie zur Erstellung von technischen Unterlagen aufgestellt, siehe Art. 9 Abs. 2 EU-ProdSV. Für den nichtharmonisierten Produktbereich gilt ab dem 13. Dezember 2024 außerdem eine 10-jährige Aufbewahrungspflicht für die technischen Unterlagen, siehe Art. 9 Abs. 3 EU-ProdSV.
  • Die EU-ProdSV erweitert zudem die Anforderungen an die Herstellerkennzeichnung von Verbraucherprodukten. Denn nach Art. 9 Abs. 6 EU-ProdSV muss die Herstellerkennzeichnung neben dem Namen und der Anschrift auch die E-Mail-Adresse des Herstellers Falls die Postanschrift oder die E-Mail-Adresse der zentralen Anlaufstelle von der mit der Herstellerkennzeichnung angegebenen Postanschrift oder E-Mail-Adresse abweicht, müssen die Hersteller außerdem gesondert die Postanschrift oder E-Mail-Adresse der zentralen Anlaufstelle, unter der sie kontaktiert werden können, kennzeichnen.
  • Eine praxisrelevante Neuerung der EU-ProdSV liegt ferner in der Verpflichtung der Hersteller zur Einrichtung von Beschwerdemöglichkeiten für Verbraucher über öffentlich zugängliche Kommunikationskanäle (z. B.: Telefonnummern, E-Mail-Adressen oder Website), Art. 9 Abs. 11 EU-ProdSV. Die Beschwerdemöglichkeiten müssen dabei auch für Menschen mit Behinderung eröffnet werden. Die Hersteller sind verpflichtet, die eingereichten Beschwerden über ihre Produkte zu untersuchen und müssen ein Verzeichnis über die eingegangenen Beschwerden, Unfälle, etwaige Produktrückrufe und Korrekturmaßnahmen führen, Art. 9 Abs. 12 EU-ProdSV. In Bezug auf die Meldung von Produktrisiken ist außerdem auf das neue Hinweisgeberschutzgesetz vom 2. Juni 2023 hinzuweisen. Schließlich ergeben sich aus dem Hinweisgeberschutzgesetz Pflichten im Zusammenhang mit dem Umgang von Meldungen und dem Schutz der hinweisgebenden Person, die hinsichtlich Meldungen über Produktrisiken zu berücksichtigen sind.

Hinweise zur Auslegung des Spezialitätsgrundsatzes: An dem Beispiel der Herstellerkennzeichnungspflicht lässt sich anschaulich eine weitere potenzielle Normenkollisionen der EU-ProdSV mit produktspezifischen Rechtsakten darstellen. So stellen beispielsweise weder die ElektroStoffV für Elektro- und Elektronikgeräte noch das FuAG für Funkanlagen als CE-Rechtsakte eine Pflicht zur Kennzeichnung der E-Mail-Adresse auf. Unter Berücksichtigung des in Art. 2 Abs. 1 S. 3 lit. b) EU-ProdSV definierten Spezialitätsgrundsatzes könnte daher argumentiert werden, dass die weitergehenden Herstellerkennzeichnungsvorgaben der EU-ProdSV auf harmonisierte Verbraucherprodukte keine Anwendung finden. Eine derartige Auslegung des Spezialitätsgrundsatzes würde dazu führen, dass im nichtharmonisierten Produktbereich teilweise strengere Anforderungen gelten würden als im harmonisierten Produktbereich. Ob eine solche Auslegung dem Sinn und Zweck der EU-ProdSV entspricht ist jedoch zumindest fraglich. In jedem Fall wäre der EU-Gesetzgeber aufgefordert, insbesondere durch Anpassung der CE-Rechtsakte zeitnah für gleichwertige Anforderungen der Herstellerkennzeichnung zu sorgen.  

5.2. Neue Pflichten für Importeure

Die in Art. 11 EU-ProdSV geregelten Importeurpflichten entsprechen nach Ihrem Inhalt im Wesentlichen den eben beschriebenen Herstellerpflichten.

Im Gegensatz zum Hersteller müssen Importeure aber nur dann ein eigenes Beschwerdesystem einrichten, wenn der jeweilige Hersteller kein hinreichendes Beschwerdesystem nach Maßgabe des Art. 9 Abs. 11 EU-ProdSV eingerichtet hat, Art. 11 Abs. 9 EU-ProdSV. In diesem Zusammenhang werden Importeure verpflichtet, zu prüfen, ob der jeweilige Hersteller bereits ein hinreichendes Beschwerdesystem eingerichtet hat, siehe Art. 11 Abs. 9 EU-ProdSV.  In Art. 11 Abs. 10 EU-ProdSV wird außerdem vorausgesetzt, dass der Importeur einen Zugang zu dem vom Hersteller eingerichteten Verzeichnis i.S.v. Art. 9 Abs. 12 EU-ProdSV hat, damit der Importeur dort etwaiger Beschwerden, Unfälle oder Sicherheitsprobleme eintragen kann.

5.3. Erstmals ausdrückliche Regelung von formellen Prüfpflichten für Händler im nichtharmoni-sierten Produktbereich

Die Händlerpflichten werden in Art. 12 EU-ProdSV definiert und entsprechen weitestgehend den bereits bestehenden Händlerpflichten. Im nichtharmonisierten Produktbereich werden Händler aber erstmals ausdrücklich zu Durchführungen von formellen Prüfungen verpflichtet, siehe Art. 12 Abs. 1 EU-ProdSV. Hiernach müssen Händler im nichtharmonisierten Produktbereich prüfen, ob das jeweilige Produkt ordnungsgemäß gekennzeichnet ist (Hersteller- und Importeurkennzeichnung nach ProdSV) und ob die erforderlichen Sicherheitsinformationen beiliegen.

5.4. Existenz einer verantwortlichen Person als Marktzugangsvoraussetzung

Eine weitere Neuerung folgt für den nichtharmonisierten Produktbereich aus Art. 16 EU-ProdSV. Denn nach Art. 16 Abs. 1 EU-ProdSV dürfen Verbraucherprodukte im Gemeinschaftsmarkt nur dann in den Verkehr gebracht werden, wenn für das jeweilige Verbraucherprodukt eine verantwortliche Person mit Sitz in der EU existiert. Diese Regelungskonzeption entspricht dem bereits in Art. 4 Verordnung 2019/1020/EU (Marktüberwachungsverordnung) geregelten Konzept des verantwortlichen Wirtschaftsakteurs. Im Gegensatz zur Marküberwachungsverordnung gilt die Marktzugangsvoraussetzung des Art. 16 EU-ProdSV aber für alle nichtharmonisierten Verbraucherprodukte.  

Die verantwortliche Person i.S.d. EU-ProdSV ist entweder der europäische Hersteller oder der Bevollmächtigte des Herstellers, der Importeur oder ein Fulfillment-Dienstleister, sofern weder ein Hersteller, Bevollmächtigter oder Importeur mit Sitz im Gemeinschaftsmarkt existieren. Das Aufgabenfeld der verantwortlichen Person i.S.d. EU-ProdSV entspricht dabei weitestgehend dem Aufgabenfeld des verantwortlichen Wirtschaftsakteurs nach Art. 4 Abs. 3 Marktüberwachungsverordnung. So ist etwa eine Kennzeichnung der verantwortlichen Person gemäß den Anforderungen des Art. 4 Abs. 4 Marktüberwachungsverordnung vorzunehmen. Im Übrigen muss die verantwortliche Person i.S.d. EU-ProdSV u.a. regelmäßig prüfen, ob das jeweils betroffene Verbraucherprodukt den technischen Unterlagen entspricht, siehe Art. 16 Abs. 2 EU-ProdSV.

Die Voraussetzung der Existenz einer verantwortlichen Person ist vor allem dann relevant, wenn Verbraucherprodukte von außereuropäischen Marktakteuren direkt an Endnutzer mit Sitz in der EU angeboten und geliefert werden. Denn in dieser Konstellation existiert weder ein Hersteller noch ein Importeur mit Sitz in der EU, der als verantwortliche Person agieren könnte. Demnach muss der außereuropäische Marktakteur in dieser Vertriebskonstellation sicherstellen, dass entweder ein Bevollmächtigter des Herstellers oder ein Fulfillment-Dienstleister mit Sitz in der EU als verantwortliche Person agiert und gemäß den Anforderungen des Art. 4 Abs. 4 Marktüberwachungsverordnung gekennzeichnet ist.

6. Notifikations- und Informationspflichten gegenüber Verbrauchern und Marktüberwachung

Die EU-ProdSV stellt im Vergleich zu der allgemeinen Produktsicherheitsrichtlinie 2001/95/EG bzw. dem ProdSG für den harmonisierten und nichtharmonisierten Produktbereich detaillierte Regelungen hinsichtlich der Notifikation der Marktüberwachungsbehörden sowie der Information von Verbrauchern in Bezug auf gefährliche Produkte und durch Produkte verursachte Unfälle auf. 

6.1. Notifikations- und Informationspflichten in Bezug auf „gefährliche“ Produkte

Hersteller, die aufgrund der vorliegenden Informationen der Auffassung sind oder die Annahme haben, dass ein von ihnen in den Verkehr gebrachtes Produkt „gefährlich“ i.S.v. Art. 3 Nr. 3 EU-ProdSV ist, müssen gemäß Art. 9 Abs. 8 EU-ProdSV unverzüglich die Verbraucher sowie die Marktüberwachungsbehörden der Mitgliedstaaten, in denen das jeweils betroffene Produkt auf dem Markt bereitgestellt wurde, davon unterrichten.

Die Notifikation der Marktüberwachungsbehörden muss dabei über das sog. Safety-Business-Gateway i.S.v. Art. 27 EU-ProdSV erfolgen. Darüber hinaus müssen die Hersteller sicherstellen, dass andere Wirtschaftsakteure, verantwortliche Personen und Anbieter von Online-Marktplätzen in der betreffenden Lieferkette rechtzeitig über alle von ihnen festgestellten Sicherheitsprobleme aufgeklärt werden, Art. 9 Abs. 10 EU-ProdSV.

Nach Art. 35 Abs. 1 EU-ProdSV müssen Hersteller und Importeure die Verbraucher u.a. für den Fall, dass ein Produkt als „gefährlich“ i.S.d. EU-ProdSV angesehen wird, alle Informationen zur Kenntnis bringen, die für eine sichere Verwendung des Produkts erforderlich sind. Können gemäß Art. 35 Abs. 1 EU-ProdSV nicht alle betroffenen Verbraucher ermittelt und informiert werden, müssen Hersteller und Importeure  „über andere geeignete Kanäle eine klare und sichtbare Rückrufanzeige oder Sicherheitswarnung“ verbreiten, „um die größtmögliche Reichweite zu gewährleisten, einschließlich, falls verfügbar, über die Website des Unternehmens, Kanäle auf sozialen Medien, Newsletter und Verkaufsstellen sowie gegebenenfalls Ankündigungen in Massenmedien und anderen Kommunikationskanälen.“ Die Informationen nach Art. 35 Abs. 1 EU-ProdSV müssen außerdem für Menschen mit Behinderungen zugänglich sein, siehe Art. 35 Abs. 4 EU-ProdSV.

In Art. 35 Abs. 2 EU-ProdSV wird außerdem geregelt, dass Wirtschaftsakteure sowie Marktplatzbetreiber, „mit Produktregistrierungssystemen oder Kundenbindungsprogrammen“ den Kunden ermöglichen müssen, gesonderte Kontaktdaten für Sicherheitszwecke zu hinterlegen. Dabei spricht wegen der Definition des Wirtschaftsakteurs in Art. 3 Nr. 13 EU-ProdSV einiges dafür, dass die Pflicht nach Art. 35 Abs. 2 EU-ProdSV Hersteller, Importeure und Händler adressiert (neben Marktplatzbetreibern). Darüber hinaus kann die EU-Kommission mit delegierten Rechtsakten Anforderungen für bestimmte Produkte oder Produktkategorien festlegen, damit Verbraucher die Möglichkeit erhalten, im Falle eines Produktsicherheitsrückrufes oder einer Sicherheitswarnung automatisch benachrichtigt zu werden.

Die Informations- und Notifikationspflichten der Händler ergeben sich aus Art. 12 Abs. 4 EU-ProdSV. Im Gegensatz zu den für Hersteller und Importeure geltenden Pflichten sieht die EU-ProdSV für Händler im Hinblick auf gefährliche Produkte nicht zwangsläufig eine Informationsverpflichtung gegenüber den Verbrauchern vor. Gemäß Art. 12 Abs. 4 EU-ProdSV müssen die Händler jedoch in jedem Falle die Hersteller und Importeure sowie die Marktüberwachungsbehörden (Safety-Business-Gateway) über den Sachverhalt informieren.

Im Übrigen wird in Art. 36 EU-ProdSV für den Fall eines Produktsicherheitsrückrufes detailliert geregelt, wie die Rückrufanzeige zu erfolgen hat.

6.2. Notifikationspflichten im Zusammenhang mit Unfällen

Sofern durch ein Produkt ein Unfall verursacht worden ist und der Hersteller davon Kenntnis erlangt, muss der jeweilige Hersteller den Unfall unverzüglich an die zuständige Behörde des Mitgliedstaats melden, in dem sich der Unfall ereignet hat und über den Sachverhalt informieren. Dies hat über das Safety-Business-Gateway zu erfolgen, Art. 20 Abs. 1 EU-ProdSV.

Importeure und Händler müssen bei Erlangung der Kenntnis über einen Unfall, der durch ein von ihnen in den Verkehr gebrachtes oder bereitgestelltes Produkt verursacht worden ist, unverzüglich den jeweiligen Hersteller des Produkts informieren, Art. 20 Abs. 3. EU-ProdSV. Dieser hat danach die Meldung nach Art. 20 Abs. 1 EU-ProdSV vorzunehmen oder weist den Importeur oder Händler an, die Meldung nach Art. 20 Abs. 1 EU-ProdSV vorzunehmen.

7. Erstmals produktübergreifende Definition einer „wesentlichen Produktänderung“

Die EU-ProdSV definiert außerdem erstmals produktübergreifend den Begriff einer nachträglichen „wesentlichen Produktänderung“. Jede Person, die an einem Verbraucherprodukt eine „wesentliche Änderung“ vornimmt, gilt wegen Art. 13 Abs. 2 EU-ProdSV als Hersteller i.S.d. EU-ProdSV. In Art 13 Abs. 3 EU-ProdSV wird eine „wesentliche Änderung“ als eine physische oder digitale Änderung definiert, die sich auf die Sicherheit des Produkts auswirkt und die folgenden Kriterien erfüllt:

  • Durch die Änderung wird das Produkt in einer Weise verändert, die in der ursprünglichen Risikobewertung des Produkts nicht vorgesehen war;
  • aufgrund der Änderung hat sich die Art der Gefahr geändert, ist eine neue Gefahr entstanden oder hat sich das Risikoniveau erhöht und
  • die Änderungen wurden nicht von den Verbrauchern selbst oder in ihrem Auftrag für ihren eigenen Bedarf vorgenommen.

Die Definition der nachträglichen wesentlichen Produktänderung ist nach unserer Auffassung ebenfalls für den harmonisierten Produktbereich heranzuziehen, sofern in den einschlägigen Harmonisierungsvorschriften der Union keine Regelungen über nachträgliche wesentliche Produktänderungen existieren.

8. Möglichkeit der Verpflichtung zur Einrichtung eines „Rückverfolgbarkeitssystems“

Für Produkte, Produktkategorien oder Produktgruppen, die ein ernstes Risiko für die Gesundheit und Sicherheit von Verbrauchern darstellen, kann die EU-Kommission gemäß Art. 18 Abs. 1 EU-ProdSV mit delegierten Rechtsakten Anforderungen für die Einrichtung eines „Rückverfolgbarkeitssystem“ aufstellen.

Abhängig von den jeweiligen Regelungen in den delegierten Rechtsakten müssen die betroffenen Wirtschaftsakteure Daten erfassen und speichern, anhand derer das jeweilige Produkt, seine Komponenten und/oder die an seiner Lieferkette beteiligten Wirtschaftsakteure identifiziert werden können. Denkbar ist dabei, dass die EU-Kommission einen delegierten Rechtsakt aufstellt, nachdem die erforderlichen Daten etwa durch die Anbringung eines Datenträges auf den Produkten (z.B. QR-Code), den Verpackungen oder den Begleitunterlagen abzuspeichern sind, Art. 18 Abs. 2 EU-ProdSV. Insoweit gilt es zu beobachten, ob und für welche Verbraucherprodukte die EU-Kommission delegierte Rechtsakte für die Einrichtung von „Rückverfolgbarkeitssystemen“ erlässt.

9. Neue Anforderungen an die Gestaltung von Online-Angeboten

Eine besonders praxisrelevante Neuregelung folgt für den Online-Handel mit harmonisierten und nichtharmonisierten Verbraucherprodukten aus Art. 19 EU-ProdSV, weil dort Anforderungen an die Gestaltung von Online-Angeboten aufgestellt werden. Hiernach müssen Wirtschaftsakteure, die Verbraucherprodukte online oder über eine andere Form des Fernabsatzes auf dem Markt bereitstellen, sicherstellen, dass das jeweilige Angebot mindestens die folgenden eindeutigen und gut sichtbaren Angaben enthält:

  • den Namen, den eingetragenen Handelsnamen oder die eingetragene Handelsmarke des Herstellers sowie die Postanschrift und die E-Mail-Adresse, unter denen er kontaktiert werden kann (Angabe des Herstellers),
  • falls der Hersteller nicht in der Union niedergelassen ist: den Namen, die Postanschrift und die E-Mail-Adresse der verantwortlichen Person i.S.v. Art. 16 Abs. 1 EU-ProdSV oder Art. 4 Abs. 1 Marktüberwachungsverordnung (Angabe der verantwortlichen Person),
  • Angaben, die die Identifizierung des Produkts ermöglichen, einschließlich einer Abbildung des Produkts, seiner Art und sonstiger Produktidentifikatoren (Angaben zur eindeutigen Produktidentifikation) und
  • etwaige Warnhinweise oder Sicherheitsinformationen, die gemäß der EU-ProdSV oder den anwendbaren Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union auf dem Produkt oder auf der Verpackung anzubringen oder in einer Begleitunterlage beizufügen sind (Angabe der erforderlichen Sicherheitsinformationen und Warnhinweise).

10. Pflichten für Marktplatzbetreiber

Die EU-ProdSV stellt außerdem sowohl für den harmonisierten als auch den nichtharmonisierten Produktbereich umfangreiche produktsicherheitsrechtliche Pflichten für Betreiber von Online-Marktplätzen auf, siehe Art. 22 EU-ProdSV. Die Pflichten der EU-ProdSV ergänzen die Verordnung (EU) 2022/2065 über einen Binnenmarkt für digitale Dienste und werden nachfolgend auszugsweise dargestellt:

Online-Marktplätze müssen etwa in Bezug auf Fragen der Produktsicherheit für Marktüberwachungsbehörden und Verbraucher eine zentrale Kontaktstelle einrichten und sich außerdem bei dem Safety-Gate-Portal registrieren, siehe Art. 22 Abs. 1, Abs. 2 EU-ProdSV. „Meldungen zu Fragen der Produktsicherheit“ müssen dabei nach Maßgabe des Art. 22 Abs. 8 EU-ProdSV innerhalb von zwei Arbeitstagen beantwortet werden.

Marktplatzbetreiber müssen zudem die organisatorischen Mittel bereithalten, mit denen sichergestellt wird, dass etwa eine Sicherheitswarnung oder eine Entfernung von Angeboten auf Anordnung der Marktüberwachungsbehörde unverzüglich erfolgen kann, siehe Art. 22 Abs. 4 EU-ProdSV. Insoweit ist sogar eine starre „Befolgungsfrist“ von zwei Arbeitstagen nach Eingang einer etwaigen behördlichen Anordnung vorgesehen. Im Übrigen müssen die Online-Marktplätze beispielsweise die über das Safety-Gate-Portal veröffentlichten Informationen über gefährliche Produkte „regelmäßig“ berücksichtigen und auf der Grundlage diese Informationen freiwillige Maßnahmen zur Erkennung, Identifizierung, Entfernung oder Sperrung des Zugangs zu Inhalten, die Angebote gefährlicher Produkte betreffen, ergreifen, siehe Art. 22 Abs. 6 EU-ProdSV.

Außerdem müssen Online-Marktplätze u.a. sicherstellen, dass die nach Art. 19 EU-ProdSV erforderlichen Informationen „in der Produktliste angezeigt werden oder für Verbraucher auf andere Weise leicht zugänglich sind“, siehe Art. 22 Abs. 9 EU-ProdSV.

Im Übrigen ist hinsichtlich der Pflichten der Marktplatzbetreiber darauf hinzuweisen, dass die Verordnung für den harmonisierten und nichtharmonisierten Produktbereich in Art. 22 Abs. 12 EU-ProdSV erstmals dezidierte Notifikations- und Informationspflichten gegenüber Verbrauchern (Vorgehen nach Art. 35, 36 EU-ProdSV) sowie gegenüber den Marktüberwachungsbehörden (Safety-Business-Gateway) aufstellt, siehe hierzu auch oben Ziffer 6.1.

Hinweis: Die EU-ProdSV zieht die bereits bestehenden Pflichten für Marktplatzbetreiber gemäß der Verordnung (EU) 2022/2065 in einen produktsicherheitsrechtlichen Kontext und führt insoweit zu einer Verschärfung und Erweiterung der Pflichten. Notwendig können hier beispielsweise Anpassungen in der Organisation der Marktplätze (Stichwort: zentrale Kontaktstelle und Bearbeitung von Meldungen zu Fragen der Produktsicherheit) sowie in der Gestaltung der Online-Angebote werden (Stichwort: Informationen nach Art. 19 EU-ProdSV).

11. Sanktionen und Risiken

Die Sanktionen für Verstöße gegen Vorschriften der EU-ProdSV werden in der Verordnung selbst nicht geregelt, Art. 44 EU-ProdSV. Damit müssen angemessene Sanktionen für Verstöße gegen die EU-ProdSV in nationalen Gesetzen geregelt werden. Dabei ist zu erwarten, dass Verstöße gegen die EU-ProdSV zumindest mit Bußgeldern geahndet werden können. Hinsichtlich des konkreten Bußgeldrahmen lassen sich aktuell nur Spekulationen anstellen; zumal dieser abhängig von der Rechtslage in den EU-Mitgliedsstaaten unterschiedlich hoch ausfallen kann.

Erhebliche Risiken bestehen für Marktakteure zudem in einem wettbewerbsrechtlichen Kontext. Denn viele der Pflichten der EU-ProdSV dürften als Marktverhaltensregelung i.S.v. § 3a UWG einzustufen sein. Insoweit besteht im Falle einer unterlassenen Pflichtenerfüllung das Risiko einer wettbewerbsrechtlichen Abmahnung und wettbewerbsrechtlicher Gerichtsverfahren, die schlimmstenfalls zu Vertriebsverboten führen können, solange eine ordnungsgemäße Pflichtenerfüllung nicht erfolgt.

12. Fazit und Ausblick

Vor diesem Hintergrund ist festzustellen, dass die EU-ProdSV Neuregelungen aufstellt, die für alle Wirtschaftsakteure relevant sind, die Verbraucherprodukte im Gemeinschaftsmarkt bereitstellt. Die neuen Pflichten der EU-ProdSV gelten dabei ebenfalls in Bezug auf die Bereitstellung von harmonisierten Verbraucherprodukten, sofern und soweit in den jeweils einschlägigen Harmonisierungsrechtsakten der Union keine Regelungen existieren, die im Vergleich zu den Pflichten der EU-ProdSV dieselben Aspekte und Ziele betreffen.

Im Hinblick auf eine Umsetzung der EU-ProdSV kommt es nach unserer Einschätzung vor allem auf eine Anpassung der Risikomanagement- und Informationsprozesse im Unternehmen sowie auf eine Anpassung der Lieferantenverträge an. Daneben müssen die Anforderungen der EU-ProdSV vor allem bei der Produktkennzeichnung sowie bei der Gestaltung von Online-Angeboten berücksichtigt werden. Insoweit kann die EU-ProdSV für betroffene Wirtschaftsakteure zu einem erheblichem Umsetzungsaufwand führen.

Im Übrigen ist es empfehlenswert, auf nationaler Ebene zu verfolgen, welche Sanktionen im Hinblick auf Verstöße gegen die EU-ProdSV aufgestellt werden. 

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Dr. Jens Nusser, LL.M.
Rechtsanwalt | Partner

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