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Der 28. Juli 2022 ist Earth Overshoot Day

Am 28. Juli 2022 ist Earth Overshoot Day! An diesem Tage hat die Menschheit bereits alle natürlichen Ressourcen verbraucht, die die Erde im Jahr 2022 durch Reproduktion zur Verfügung stellen kann. Für den Rest des Jahres wird die Menschheit ihren Bedarf an natürlichen Ressourcen durch einen Eingriff in die Substanz decken. Ab dem 28. Juli schlagen wir Hölzer und fangen wir Fische, die nicht mehr nachwachsen können, und stoßen wir CO2 aus, das nicht mehr umgewandelt werden kann.

Berechnung des Earth Overshoot Day

Aber wie wird dieses Datum eigentlich berechnet? In der Tagespresse erfährt man hierzu nur wenig Konkretes. Auch das Global Footprint Network mit Sitz im kalifornischen Oakland, das den Earth Overshoot Day bekannt gibt, bleibt auf der zum Overshoot Day eigens eingerichteten Website (https://www.overshootday.org) und auch in seiner Pressemitteilung zum Earth Overshoot Day 2022 im Vagen. Erst nach einem Eintauchen in die verschiedenen, über die Website verstreuten Einzelangaben und in das gemeinsam mit der York University in Toronto entwickelte und bereitgestellte Datenrepositorium werden die eigentlichen Berechnungen nachvollziehbar.

Rechengrößen sind der ökologische Fußabdruck und die Biokapazität. Der ökologische Fußabdruck bezeichnet dabei die Menge biologisch produktiver Land- und Meeresflächen, die erforderlich sind, um alle von einer Bevölkerungsgruppe verbrauchten Ressourcen zu produzieren und deren CO2-Emissionen aus der Verbrennung fossiler Energieträger und aus der Zement-/Betonproduktion zu absorbieren. Die Biokapazität hingegen bezeichnet die in einem bestimmten Gebiet vorhandene Menge biologisch produktiver Land- und Meeresflächen, die entweder Ressourcen produzieren oder CO2-Emissionen absorbieren und damit für die Deckung des ökologischen Fußabdrucks zur Verfügung stehen. Übersteigt die Biokapazität den Fußabdruck, besteht eine ökologische Reserve. Übersteigt jedoch der Fußabdruck die Biokapazität, liegt ein Ökodefizit vor; dieses Defizit wird gedeckt entweder durch den Import von gebietsfremder Biokapazität oder durch eine Reduzierung der Biokapazität des betreffenden Gebiets oder durch eine Abgabe von CO2-Emissionen in die Atmosphäre.

Ökologischer Fußabdruck und Biokapazität werden in der Einheit „globaler Hektar“ (gha) gemessen. Der globale Hektar bezeichnet einen Hektar (10.000 m²) biologisch produktives Land mit einer in globaler Hinsicht durchschnittlichen Produktivität. Die hierfür herangezogenen Flächen setzen sich zusammen aus den Teilflächen Ackerfläche, Weidefläche, Fischgründe, Wälder sowie bebautes Land. Diese Teilflächen werden mit bestimmten Faktoren multipliziert, um unterschiedliche Produktivitätsraten zu berücksichtigen. So waren z.B. im Jahr 2018 Ackerflächen 2,5-mal so ertragreich wie sämtliche Flächen im Durchschnitt (Äquivalenzfaktor). Zudem waren Ackerflächen in Deutschland 1,26-mal so ertragreich wie Ackerflächen im globalen Durchschnitt (Ertragsfaktor). Ein Hektar Ackerfläche in Deutschland entspricht damit 3,15 gha (2,5 x 1,26 = 3,15).

Die Biokapazität eines betrachteten Gebiets errechnet sich aus der Addition der fünf Produkte aus Teilfläche, Äquivalenzfaktor und Ertragsfaktor. Zur Berechnung des Fußabdrucks werden im Grundsatz jährliche Produktionsmengen durch die weltweiten Ertragsraten für die jeweiligen Produkte geteilt und sodann mit dem Äquivalenzfaktor der betreffenden Teilfläche multipliziert. Dieses Berechnungsmodell wurde Anfang der 1990er Jahre entwickelt, seitdem fortlaufend angepasst und verfeinert und wissenschaftlich begleitet.

Die für die Berechnungen erforderlichen Ausgangsdaten werden insbesondere von den Vereinten Nationen und von der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen bereitgestellt. Der aktuellste vollständige Datensatz stammt aus 2018. Für die Jahre nach 2018 werden – soweit verfügbar – jeweils aktuellere nationale Daten, teilweise auch aus anderen Datenquellen, in die Berechnungen integriert und Einzeldaten auf der Grundlage historischer Trends extrapoliert.

Im Jahr 2018 betrug die Biokapazität der Erde 12,1 Milliarden gha und betrug der ökologische Fußabdruck der gesamten Menschheit 21,2 Milliarden gha. Die eigentliche Berechnung des Earth Overshoot Day erfolgt, indem man besagte Biokapazität der Erde durch den ökologischen Fußabdruck der Menschheit teilt und diesen Wert dann mit 365 multipliziert. Für 2018 ergibt diese Rechnung die Zahl 208,3. Dies bedeutet, dass im Laufe des 209. Tages des Jahres 2018 die Biokapazität aufgebraucht war und ein Defizit entstand. Der 209. Tag des Jahres 2018 war der 28. Juli. Teilt man hingegen den Fußabdruck durch die Biokapazität, erhält man den Wert 1,75. Der Fußabdruck überstieg die Biokapazität der Erde also um den Faktor 1,75, so dass im Jahr 2018 genau 1,75 Erden benötigt wurden, um den Fußabdruck zu decken.

Aus den für das Jahr 2022 fortgeschriebenen Daten ergibt sich als Earth Overshoot Day ebenfalls der 28. Juli.

Nationale Überlastungstage

Die Daten des Global Footprint Network ermöglichen es auch, den Verbrauch der Bürger einzelner Länder hochzurechnen und so den jeweiligen nationalen Overshoot Day zu bestimmen, also den Tag, auf den der Earth Overshoot Day fallen würde, wenn der Verbrauch jedes einzelnen Menschen weltweit dem Verbrauch des durchschnittlichen Bürgers des betreffenden Staates entsprechen würde.

Die beiden Länder mit den (gemessen an den Maßstäben des Global Footprint Network) verschwenderischsten Bürgern sind Katar und Luxemburg. Legt man den katarischen bzw. luxemburgischen Ressourcenverbrauch zugrunde, wäre Earth Overshoot Day bereits am 10. bzw. 14. Februar gewesen. Deutschland hatte seinen nationalen Overshoot Day des Jahres 2022 bereits am 4. Mai begangen. Die kleinsten ökologischen Fußabdrucke hinterlassen die Bürger von Jemen, gefolgt von Timor-Leste und Haiti. Entsprechende nationale Überlastungstage gibt es allerdings nicht, weil die Menschheit die Biokapazität der Erde nicht beeinträchtigen würde, wenn alle Bürger dieselben Ressourcen verbrauchten wie die Bürger von Jemen, Timor-Leste und Haiti.

Weiterhin lässt sich auch die jeweilige nationale Biokapazität ins Verhältnis zu dem nationalen Fußabdruck setzen. So liegt z.B. die Biokapazität der Salomonen 105 % über dem ökologischen Fußabdruck des Landes, d.h. die Salomonen könnten noch den Fußabdruck eines zweiten, gleichermaßen verschwenderischen Landes decken und hätten noch immer ein wenig Biokapazität übrig. Der Fußabdruck von Deutschland liegt bei 213 % der Biokapazität, d.h. es wäre über das doppelte der derzeitigen Biokapazität zusätzlich – insgesamt also mehr als das dreifache der derzeitigen Biokapazität – erforderlich, um den Fußabdruck des Landes zu decken.

Das insoweit größte Ökodefizit hat Singapur zu verzeichnen. Das Land verfügt über praktisch keine Biokapazitäten, verbraucht aber aufgrund seines hohen Entwicklungsstandes überproportional viele Ressourcen. Sein Fußabdruck übersteigt die Biokapazität um 10.400 %. Das andere Extrem bildet Französisch-Guayana, wo die Biokapazität den Fußabdruck um 4.810 % übersteigt. In Tschad und Bhutan halten sich Biokapazität und Fußabdruck ungefähr die Waage.

Entwicklung des Earth Overshoot Day

Unter Berücksichtigung der jeweils zur Verfügung stehenden Daten hatte die Menschheit erstmals im Jahr 1971 mehr natürliche Ressourcen verbraucht, als die Erde zur Verfügung stellen kann. Der damalige Earth Overshoot Day fiel auf den 25. Dezember. Seitdem rückt der Stichtag kontinuierlich vor im Jahr und ist damit Ausdruck einer sich stetig intensivierenden Inanspruchnahme natürlicher Ressourcen. Ausnahmen hiervon sind insbesondere Folge von Wirtschaftskrisen. So auch die Corona-Krise 2020: Der Lockdown in den meisten Ländern der Welt hatte den ökologischen Fußabdruck der Menschheit in 2020 deutlich verringert. Der Earth Overshoot Day 2020 fiel daher gegenüber 2019 auf ein Datum gut drei Wochen später im Jahr. Allerdings wurde bereits im Jahr 2021 deutlich, dass dieser Trend nur vorübergehend war. Der Earth Overshoot Day fiel letztes Jahr auf den 30. Juli. Dieses Jahr rückt er noch einmal zwei Tage vor im Jahr und verdeutlicht damit die Rückkehr zum Trend vor der Corona-Pandemie: Die Ressourcen der Erde werden von Jahr zu Jahr zu einem früheren Zeitpunkt aufgebraucht.

Dr. Henning Blatt
Rechtsanwalt | Partner

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