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Mandanteninformation - Aktuelle Entwicklungen im Produktrecht

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Liebe Mandantinnen und Mandanten,
sehr geehrte Damen und Herren,

der Jahreswechsel und die ersten Wochen des neuen Jahres wurden mit einer Vielzahl neuer Entwicklungen im regulatorischen Bereich begleitet. Die vorliegende Mandanteninformation soll Ihnen einen Überblick über neue, relevante Regelungen und Gesetzesvorhaben sowie weitere Initiativen im Produktrecht und im Bereich ESG geben. Gerade die Umsetzung des europäischen Green Deal führt zu einer nach unserer Wahrnehmung noch nie dagewesenen Fülle an neuen Anforderungen, die von den Wirtschaftsakteuren zu beachten sind bzw. zu beachten sein werden. Die beigefügte Mandanteninformation soll Ihnen insoweit einen schnellen Überblick verschaffen, ohne, dass die einzelnen Themen im Detail behandelt werden. Zu vielen Themen werden wir im Laufe der nächsten Wochen noch vertiefende Mandanteninformationen verfassen und Ihnen dann zur Verfügung stellen.

Das gesamt Produktrechtsteam wünscht Ihnen viel Freude beim Lesen der Mandanteninformation,

herzliche Grüße,

Ihr Jens Nusser

A. Allgemeiner Ausblick

1. Arbeitsprogramm der Kommission 2023 im Hinblick auf das Produktrecht

Am 18. Oktober 2022 hat die Europäische Kommission ihr umfangreiches Arbeitsprogramm 2023 mit dem Titel „A Union standing firm and united“ vorgestellt. Das Programm stellt die aktuellen politischen Initiativen zu sechs übergreifenden Zielen dar. Insbesondere sind hier die Initiativen zu den Zielen European Green Deal und Digital Age hervorzuheben. In Annex I bis Annex III des Arbeitsprogramms werden die einzelnen Maßnahmen zu diesen Initiativen in tabellarischer Form aufgeführt. Annex I enthält neue Initiativen, Annex II sogenannten REFIT Maßnahmen (Revisionen bereits bestehender Rechtsakte) und Annex III „Proiority pending proposals“.

Ein Beispiel für eine Maßnahme, die in Anhang I enthalten ist, ist die eine Initiative für Regelungen über kritische Rohstoffe; die Kommission wird insoweit voraussichtlich im ersten Quartal 2023 ihren Vorschlag für das „Europäische Gesetz über kritische Rohstoffe“ veröffentlichen (vgl. auch Ziffer F.5 der vorliegenden Mandanteninformation). In Annex II findet sich beispielweise die Revision der REACH-Verordnung (vgl. auch Ziffer B.1 der vorliegenden Mandanteninformation). In Annex III sind etwa die Überarbeitung der EU-Bauprodukte-Verordnung oder die Neuregelung des Ökodesignrechts durch die Ökodesignverordnung enthalten (vgl. Ziffer C.7 und E.1 dieser Mandanteninformation).

Das Arbeitsprogramm der Kommission 2023 können sie hier abrufen.

2. Normungsroadmap Circular Economy vom 19.01.2023

Das Deutsche Institut für Normung e.V. (DIN), die Deutsche Kommission Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik in DIN und VDE (DKE) und der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) haben am 19. Januar 2023 die Normungsroadmap Circular Economy verabschiedet. Das Dokument beschreibt, vor welchen Herausforderungen die Branchen im Bereich der Circular Economy stehen und welche Normen und Standards benötigt werden, um diesen zu begegnen. Die Roadmap umfasst sieben Schwerpunktthemen, die sich an den Fokusthemen des Circular Economy Action Plans der EU orientieren: Digitalisierung, Geschäftsmodelle und Management, Elektrotechnik und IKT, Batterien, Verpackungen, Kunststoffe, Textilien, sowie Bauwerke und Kommunen. Die Roadmap gibt einen Überblick über den Status Quo der Normung und Standardisierung in diesen Bereichen und zeigt vor allem Bedarfe für künftige Normen und Standards auf. Die Normungsroadmap finden Sie hier, vgl. Circular Economy I Normen und Standards ebnen den Weg (din.de)

B. Material Compliance / Stoffrecht

1. Überarbeitung der REACH-Verordnung

Bereits seit dem Jahr 2021 laufen die Vorbereitungen zur Novellierung der REACH-Verordnung (VO (EG) 1907/2006). Grund für die geplante Überarbeitung der REACH-VO ist in erster Linie das ehrgeizige Ziel im Rahmen des europäischen Green Deals für eine schadstofffreie Umwelt ein Null-Schadstoff-Ziel zu erreichen. Hierfür bedarf es laut der aktuelle EU-Chemikalienstrategie vor allem der Förderung von Innovationen zur Entwicklung sicherer und nachhaltiger Alternativen zur Substitution gefährlicher Chemikalien. In einem ersten Impact Assessment hatte die EU-Kommission zudem die folgenden durch die Revision der REACH-Verordnung und CLP-Verordnung zu adressierenden Probleme identifiziert:

  • Es bestehen Wissenslücken in Bezug auf viele Stoffe im Hinblick auf die Gefahrenbewertung
  • Safety Assessments berücksichtigen nicht die Kombinationswirkungen von Chemikalien
  • Ineffiziente Kommunikation in den Lieferketten in Bezug auf Verwendungen und notwendige Risikomanagementmaßnahmen
  • Die Verfahren zur Bewertung von Registrierungsdossiers und Stoffen sind zu komplex
  • Das Zulassungsverfahren ist zu schwerfällig und unflexibel
  • Der derzeitige Beschränkungsprozess ist zu langsam, um Verbraucher und gewerbliche Nutzer ausreichend vor den Risiken der gefährlichsten Stoffe zu schützen
  • Uneinheitlicher Vollzug in den Mitgliedsstaaten

Die Europäische Kommission hatte sodann am 20. Januar 2022 eine öffentliche Konsultation zu ihren Reformplänen gestartet. Die verschiedenen Interessenträger und Bürger konnten sich hieran bis zum 15. April 2022 beteiligen. Einen konkreten Gesetzesentwurf wollte die Europäische Kommission ursprünglich bis Ende 2022 vorlegen. Jedoch ist die Annahme durch die Kommission bisher nicht erfolgt. Die EU-Kommission plant nunmehr im vierten Quartal 2023 den Entwurf für eine Novellierung der REACH-Verordnung vorzulegen. Dies folgt aus dem am 18.10.2022 veröffentlichten Arbeitsprogramm der Kommission für das Jahr 2023, vgl. https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/ip_22_6224.

2. REACH – Konsultation über eine Initiative zur Regulierung der ECHA

Die Konsultation zur Initiative zum Vorschlag für eine Grundverordnung über die Europäische Chemikalienagentur ist am 10.10.2022 abgelaufen.

Bislang sind die Aufgaben und die Arbeitsweise der ECHA in Titel X der REACH-Verordnung geregelt. In der Vergangenheit wurde die ECHA nach und nach mit zusätzlichen technischen, wissenschaftlichen und administrativen Aufgaben, die auf andere Rechtsvorschriften und Vereinbarungen der Kommission zurückzuführen sind, betraut. Diese Entwicklung hat dazu geführt, dass die eindeutige Funktion und Arbeitsweise der ECHA komplexer wurde. Aufgrund dessen sollen diese Aufgaben in einer eigenständigen Grundverordnung geregelt werden. Die Initiative zielt insbesondere darauf ab, die Governance der ECHA zu stärken und an deren künftige Rolle anzupassen sowie die Arbeitsmethoden der ECHA-Gremien zu straffen und deren Finanzierung nachhaltiger zu gestalten.

Die Annahme eines Regelungsentwurfs durch die Kommission ist für das 2. Quartal 2023 geplant.

3. Blei – Mögliche Aufnahme in Anhang XIV REACH

Blei wurde im Juni 2018 in die sog. Kandidatenliste zur Aufnahme in Anhang XIV REACH aufgenommen. Somit unterliegt Blei als svhc (substance of very high concern) bereits jetzt den Informationspflichten nach Art. 33 REACH und den Meldepflichten nach Art. 7 Abs. 2 REACH sowie der Notifizierungspflicht in die SCIP-Datenbank. Ein Verkehrsverbot folgt aus diesen Pflichten jedoch nicht; dies würde erst mit Aufnahme in Anhang XIV REACH und Ablauf einer dann noch zu bestimmenden Übergangsfrist greifen („sunset date“), soweit für bestimmte Verwendungen von Blei keine Zulassungen seitens der Kommission erteilt wurden bzw. eine Zulassung für eine konkrete Verwendung zwar beantragt, aber noch nicht erteilt wurde. Hierfür enthalten entsprechende Beschlüsse der Kommission eine Frist, vor deren Ablauf konkrete Verwendungsanträge gestellt werden müssen, soweit der Antragsteller den Stoff nach dem Ablauftermin weiterhin verwenden oder für bestimmte Verwendungen in Verkehr bringen will.

Die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) hat unter Berücksichtigung der Stellungnahme des Ausschusses der Mitgliedstaaten Blei am 2. Februar 2022 in die Liste von Stoffen aufgenommen, die nach ihrer Empfehlung prioritär in Anhang XIV aufgenommen werden sollten (Artikel 58 Absatz 3 REACH-VO). Der darauffolgende Konsultationsprozess interessierter Kreise (Interessen- & Wirtschaftsverbände, NGOs etc.) lief bis Anfang Mai 2022. Das Verfahren sieht nach der Aktualisierung des Empfehlungsentwurf durch die ECHA die Übermittlung des endgültigen Entwurfs gemäß Artikel 58 Absatz 4 REACH-VO an die EU-Kommission vor. Das weitere Verfahren folgt dann dem sogenannten „Komitologieverfahren“.

Das laufende Verfahren zur Aufnahme von Blei in Anhang XIV führt bereits heute zu einer veränderten Kommunikation in den Lieferketten. Die Nachfrage nach bleifreien Alternativen für bestimmte Bauteile steigt stetig. Insgesamt ist zu empfehlen, gerade bei der Neuentwicklung von Produkten, den Einsatz von Blei - soweit technisch möglich und wirtschaftlich vertretbar - auszuschließen.

Derzeit ist nur sehr schwer absehbar, wann es zu einer Aufnahme von Blei in Anhang XIV kom-men wird. Vor 2025 erscheint dies - auch aufgrund der Erfahrungen bei anderen Stoffen - na-hezu ausgeschlossen; das Sunset Date könnte dann im Jahr 2028 liegen. Zudem ist aufgrund der Relevanz des Werkstoffs Blei (insbesondere in Legierungen) für eine Vielzahl von Verwen-dungen mit weitreichenden Diskussionen im weiteren Prozess zu rechnen, was zu (weiteren) Verzögerungen führen kann.

4. Roadmap der Kommission für neue Stoffbeschränkungen

Bereits Ende April 2022 hat die Kommission ihre Roadmap für neue Stoffbeschränkungen nach REACH veröffentlicht, vgl. Commission Staff Working document „Restrictions Roadmap under the Chemicals Strategy for Sustainability“, SWD(2022) 128, final. Die Roadmap ist für Unternehmen von besonderer Bedeutung, um sich gegebenenfalls möglichst frühzeitig auf kommende Stoffbeschränkungen oder sonstige regulatorische Maßnahmen einstellen zu können. Das Working Document unterteilt sich dabei nach einer Einführung in zwei Listen betroffener Stoffe in unterschiedlichen Bearbeitungsstadien (Anhang I und Anhang II). Anhang I beinhaltet eine laufende Liste von Stoffen und Gruppen von Stoffen, bei denen das Beschränkungsverfahren bereits initiiert wurde (Pool 0), bei denen Beschränkungen geplant sind, aber ein Eintrag im Registry-of-Intentions noch nicht erfolgt ist (Pool 1) und Stoffe, bei denen mögliche Beschränkungen diskutiert werden (Pool 2).

In Anhang II findet sich ein Überblick über die Art. 69 Abs. 2 REACH Assessments. Nach Art. 69 Abs. 2 REACH prüft die ECHA bei einem in Anhang XIV REACH aufgeführten Stoff, ob die Verwendung dieses Stoffes in Erzeugnissen ein Risiko für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt mit sich bringt, das nicht angemessen beherrscht wird. Ist die ECHA der Auffassung, dass das Risiko nicht angemessen beherrscht wird, erarbeitet sie ein Beschränkungsdossier, das den Anforderungen des Anhang XV entspricht. Dieser Vorgang ist Teil eines Verfahrens, das in der Aufnahme des Stoffes in Anhang XVII REACH münden kann, vgl. zum Verfahren https://echa.europa.eu/de/restriction-process .

5. Vorschlag zur Beschränkung von PFAS

Am 13. Januar 2023 haben die Bundesrepublik Deutschland, Dänemark, die Niederlande, Norwegen und Schweden einen Vorschlag zu Beschränkung von PFAS bei der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) eingereicht. Einzelheiten zu diesem Vorschlag wurden nun am 07.02.2023 von der ECHA auf ihrer Website veröffentlicht. Der Beschränkungsvorschlag betrifft rund 10.000 Per- und Polyfluoralkylsubstanzen (PFAS). Damit zielt die vorgeschlagene Regulierung nicht auf einzelne Stoffe, sondern ein ganze Stoffgruppe ab. Im nächsten Schritt werden die wissenschaftlichen Ausschüsse der ECHA für Risikobewertung (RAC) und für sozioökonomische Analyse (SEAC) den Vorschlag prüfen und mit seiner Bewertung beginnen.

Einen Zeitplan für die nächsten Schritte und weitere Informationen finden Sie hier, https://echa.europa.eu/-/echa-publishes-pfas-restriction-proposal .

6. Erweiterung der REACH-Kandidatenliste zum 17.01.2023

Am 17.01.2023 ist die REACH-Kandidatenliste seitens der ECHA um neun weitere Einträge erweitert worden. Die Aufnahme der neuen Stoffe und Stoffverbindungen beruht auf einer Entscheidung der ECHA vom 16.12.2022, vgl. D(2022)9120-DC 1 (5) Public. Die neu aufgenommenen Stoffe werden unter anderem als Additiv in Farben und Beschichtungen, Tinten und Tonern, Beschichtungsprodukten, als reaktives und als additives Flammschutzmittel oder für die Herstellung von Zellstoff, Papier und Papierprodukten verwendet.

Bei den gelisteten Stoffen handelt es sich nun um sog. Kandidatenstoffe für die Aufnahme in Anhang XIV der REACH-Verordnung. Eine mögliche spätere Aufnahme in Anhang XIV REACH führt grundsätzlich zu einem Verwendungsverbot des jeweiligen Stoffes soweit der Verwender für eine bestimmte Verwendung nicht über eine Zulassung verfügt, vgl. Art. 56 Abs. 1 REACH.

Unmittelbar wirkt sich die Aufnahme von Stoffen und Stoffverbindungen in die Kandidatenliste insbesondere im Hinblick auf die Informationspflichten der Lieferanten von Erzeugnissen gegenüber ihren Abnehmern nach Art. 33 Abs. 1 REACH-Verordnung, im Hinblick auf die Notifizierungspflicht in die SCIP-Datenbank sowie mögliche Meldepflichten nach Art. 7 Abs. 2 REACH aus.

7. Änderung der CLP-Verordnung – Vorschlag der Kommission vom 19.12.2022

Am 19.12.2022 hat die Kommission einen Vorschlag zur Änderung der CLP-Verordnung 1272/2008 veröffentlicht, vgl. COM(2022) 748 final. Die nun erfolgte Überarbeitung wurde bereits in der am 14.10.2020 angenommenen Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit angekündigt.

Die Kommission verfolgt mit dem Entwurf insbesondere das Ziel sicherzustellen, dass alle gefährlichen Chemikalien in der gesamten EU angemessen und einheitlich eingestuft werden. Hier besteht vor allem das Problem einer hohen Zahl an fehlerhaften und veralteten Einstufungen von Stoffen sowie unterschiedlicher Einstufungen derselben Stoffe im Einstufungs- und Kennzeichnungsverzeichnis der ECHA.  Zudem soll die Gefahrenkommunikation verbessert werden, indem die Kennzeichnungen für die Benutzer von Chemikalien (insbesondere Verbraucher) zugänglicher und verständlicher gemacht werden. Zu diesem Zweck wird das Konzept des Verkaufs von Nachfüllpackungen präzisiert und Bestimmungen zur Erleichterung der Verwendung von Faltetiketten sowie Bestimmungen über Mindestformatierungsvorschriften zur besseren Lesbarkeit der Etiketten für die Verbraucher eingeführt. Schließlich soll sichergestellt werden, dass die Vorschriften über die Einstufung und Kommunikation chemischer Gefahren von allen relevanten Akteuren in der Lieferkette angewendet werden. 

Den weiteren Fortgang des Gesetzgebungsverfahrens werden wir für Sie genau beobachten und Sie zu gegebener Zeit wieder informieren.

8. Neues von der RoHS-Richtlinie?

Zu beobachten ist, dass sich einige Akteure in den Lieferketten dennoch auf den 21.07.2024 als Stichtag für die Ausnahmen 6(a), 7(a) und 7(c)-I) vorbereiten. Rechtlich darf die vorgeschlagene Frist des Auslaufens dieser Ausnahmen jedoch von der Kommission so nicht beschlossen werden. Denn Wirtschaftsakteure haben das Recht auch die erneute Verlängerung von Ausnahmen zu beantragen, müssen entsprechende Anträge aber spätestens 18 Monate vor Auslaufen der Befristung stellen; zudem sind die Anträge auf Verlängerung nach Anhang V RoHS mit umfangreichen Analysen und weiteren Informationen zu begründen. Daraus folgt, dass zwischen dem Inkrafttreten der veränderten Ausnahme und dem späteren Auslaufen der veränderten Ausnahme mindestens 18 Monate (plus einen Zeitraum x) liegen müssen, da den Wirtschaftsakteuren ansonsten von vorneherein die Möglichkeit einer weiteren Verlängerung genommen würde.

a) Blei-Ausnahmen Pack 22

Beachten die Hersteller von Elektro- und Elektronikgeräten (EEE) die stofflichen Anforderungen nach RoHS unter Berücksichtigung der Ausnahmeregelungen nicht, führt dies grundsätzlich zu einem Verkehrsverbot des EEE und weiteren negativen Rechtsfolgen. Die Ausnahmen für Blei, die in Anhang III u.a. in Ziffer 6(a), 6(a)-I, 6(b), 6(b)-I, 6(b)-II, 6(c), 7(a), 7(c)-I und 7(c)-II RoHS geregelt sind, werden derzeit seitens der Europäische Kommission überarbeitet (sog. Pack 22). Überwiegend waren die vorgenannten Ausnahmetatbestände für die Verwendung von Blei bis zum 21. Juli 2021 befristet. Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Ausnahmetatbestände zum 21. Juli 2021 ihre Gültigkeit verloren haben. Sofern 18 Monate vor Auslaufen der Befristungen Anträge auf Erneuerung gestellt wurden – was vorliegend im Dezember 2019 der Fall war –, bleiben die bestehenden Ausnahmen zunächst so lange gültig, bis die Kommission über den Antrag auf Erneuerung entschieden hat. Eine im Auftrag der Europäischen Kommission erstellte Studie hierzu wurde erstmals am 20. Dezember 2021 vom Öko-Institut veröffentlicht. Hierin wird u.a. vorgeschlagen, bestimmte Ausnahmen zwar zu verlängern, jedoch die Verlängerungen bis zum 21.7.2024 zu befristen (vgl. Ausnahmen 6(a), 7(a) und 7(c)-I). Am 31.01.2023 hat die EU-Kommission aktuell eine aktualisierte Ausnahmeliste veröffentlicht. Auch in dieser sind die vom Pack 22 umfassten Ausnahmen weiterhin als „Valid – requested for renewal“ gekennzeichnet. Bis heute hat die Kommission also über die Vorschläge des Öko-Instituts noch nicht entschieden.

b) Neufassung der RoHS-Richtlinie als RoHS-Verordnung

Ursprünglich war seitens der Kommission eine Revision der RoHS-Richtlinie für das Jahr 2023 geplant. Vorgesehen ist es, die Richtlinie zu vereinfachen. Im aktuellen Arbeitsprogramm der Kommission findet sich dieses Vorhaben allerdings nicht mehr. Vor 2025 wird derzeit nicht mit einem Regulierungsvorschlag der Kommission gerechnet, vgl. zum Stand https://ec.europa.eu/info/law/better-regulation/have-your-say/initiatives/13137-Review-Restriction-of-the-use-of-hazardous-substances-in-electronics_en .    

9. VDMA - Leitfaden „Material Compliance“

Der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA e.V.) hat einen Praxisleitfaden Material Compliance erstellt (116 Seiten) und im Dezember 2022 veröffentlicht, vgl. https://www.vdmashop.de/detail/index/sArticle/732 . Der Leitfaden soll dabei helfen, den Themenkomplex Material Compliance als Teil des produktbezogenen Umweltschutzes im Unternehmen zu verstehen, umzusetzen und zu etablieren. Er bietet einen schnellen Einstieg und Überblick über aktuelle gesetzliche Mindestanforderungen für den Maschinen- und Anlagenbau.

Erstellt wurde der Leitfaden federführend von für Material Compliance zuständigen Mitarbeitern in Mitgliedsunternehmen des VDMA (Dr. Sebastian Müller – KION Group und Bernd Postaremczak – SMS Group) sowie von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des VDMA selbst. Auch Franßen & Nusser Rechtsanwälte haben den VDMA hierbei unterstützt. 

C. Produktumweltrecht

1. EU-Batterie-Verordnung – Inkrafttreten im 2. Quartal 2023 absehbar

Die Kommission hatte das Gesetzgebungsverfahren mit ihrem am 10. Dezember 2020 veröffentlichten Verordnungsentwurf in Gang gesetzt, vgl. COM/2020/798 final. Es handelte sich hierbei um den ersten konkreten Gesetzesvorschlag der Europäischen Kommission im Rahmen der Umsetzung des neuen Aktionsplans für die Kreislaufwirtschaft von März 2020, der einen wesentlichen Baustein des „European Green Deal“ darstellt. Ursprünglich war geplant, dass die EU-BatttV zum 1. Januar 2022 in Kraft tritt. Bereits die Diskussionen im EU-Parlament zogen sich jedoch; erst am 10.03.2022 hatte das Parlament seine Position zum Kommissionsentwurf mit zahlreichen Änderungsvorschlägen in erster Lesung beschlossen, vgl. EUR-Lex - 2020_353 - EN - EUR-Lex (europa.eu). Im Trilog-Verfahren wurde sodann im Dezember 2022 ein Kompromiss erzielt, der nun als finaler Kompromisstext vom RAT am 18.01.2023 veröffentlicht wurde.

Die Verabschiedung des Kompromisstextes ist nun für Ende März im EU-Parlament geplant. Mit inhaltlichen Änderungen ist hier nicht mehr zu rechnen. Die Veröffentlichung im Amtsblatt dürfte dann im Mai 2023 erfolgen.

Die Verordnung tritt 20 Tage nach ihrer Veröffentlichung in Kraft. In Art. 79 BattV sind jedoch zusätzlich Übergangsregelungen vorgesehen. So gilt die Verordnung erst 6 Monate nach ihrem Inkrafttreten und es gibt es für einige Vorschriften noch längere Übergangsfristen. Insbesondere die Regelungen des Kapitel VII der BattV gelten erst 24 Monate nach Inkrafttreten. Kapitel VII regelt den Umgang mit Altbatterien und enthält insbesondere Registrierungspflichten, die ähnlich der WEEE-Richtlinie, in den einzelnen Mitgliedstaaten umzusetzen sind. In Deutschland besteht die Verpflichtung der Hersteller zu Registrierung bereits seit dem 1.1.2022, vgl. § 4 BattG. Allerdings werden auch diesbezüglich umfangreiche Anpassungen des BattG erforderlich werden.

Über die genauen Inhalte der neuen EU-BattV werden wir Sie zeitnah mit einer eigenen Mandanteninformation in Kenntnis setzen.        

2. EU-Verpackungs-Verordnung, Vorschlag der Kommission vom 30.11.2022

Am 30. November 2022 hat die EU-Kommission den Entwurf für eine europäische Verpackungsverordnung veröffentlicht, die mit ihrem Inkrafttreten als EU-Verordnung unmittelbare Geltung in sämtlichen EU-Mitgliedsstaaten beanspruchen würde (EU-VerpackV-E). Ziel des bislang nur in englischer Sprache vorliegenden Entwurfes ist eine EU-weite Harmonisierung der verpackungsrechtlichen Vorgaben. Vorgesehen sind u.a. die Einführung und Verpflichtung des Produzenten von Verpackungen als neuer Wirtschaftsakteur. Außerdem sollen umfassende „Produktanforderungen“ für Verpackungen aufgestellt werden. Die verpackungsspezifischen „Produktanforderungen“ betreffen die Kennzeichnung von Verpackungen (Art. 11 EU-VerpackV-E), stoffliche Anforderungen (Artikel 5 EU-VerpackV-E), Recycling-Anforderungen (Artikel 6 VerpackV-E) sowie Anforderungen für eine Minimierung von Verpackungsabfällen (Artikel 9 VerpackV-E). Der Abschluss des EU-Gesetzgebungsverfahrens könnte noch in diesem Jahr erfolgen. Die VerpackV-E könnte dann schon im Jahre 2024 in Kraft treten.

Zu erwarten ist in jedem Falle eine umfassende und EU-weite Neuregulierung der verpackungsrechtlichen Anforderungen, die von der Herstellung bis zu der Abgabe von Verpackungen an Endnutzer sämtliche Vertriebsstufen betreffen werden. Die VerpackV-E bietet insoweit zugleich die Chance, die derzeit stark national geprägten Vorgaben zu vereinheitlichen, was begrüßenswert ist.

Über den Inhalt des Verordnungsentwurfes werden wir Sie mit einer gesonderten Mandanteninformation zeitnah weitergehend unterrichten.

3. Verpackungsrecht – Zur rechtlichen Einordnung von Allgemeinverfügungen der ZSVR

Die ZSVR (Stiftung Zentrale Stelle Verpackungsregister) erlässt, etwa im Hinblick auf die Einstufung von Verpackungen als systembeteiligungspflichtige Verpackungen, Bescheide im Wege der Allgemeinverfügung. Eine Allgemeinverfügung nach § 35 Satz 2 VwVfG stellt einen Verwaltungsakt dar, der sich an eine unbestimmte Zahl an Adressaten richtet. Für ihre Wirksamkeit bedarf sie der öffentlichen Bekanntgabe. Liegt diese vor, gelten die Feststellungen des jeweiligen Bescheids für den betroffenen Adressatenkreis als verbindlich.

So ist zum Beispiel die Feststellung in der Allgemeinverfügung vom 25. September 2020, dass Briefumschläge/Versandtaschen mit Sichtfenster, in der (neben Rechnungen) auch Werbematerial versandt wird, systembeteiligungspflichtige Verpackungen darstellen, allgemein verbindlich, selbst wenn man der Ansicht sein sollte, dass die rechtliche Begründung der Allgemeinverfügung nicht zu überzeugen weiß.

Man mag diesen recht weitreichenden Befugnissen der ZSVR kritisch gegenüberstehen. Möchte man entsprechende Rechtsfolgen vermeiden, lohnt es sich jedoch wiederkehrend zu prüfen, ob die von der ZSVR bekanntgemachten Allgemeinverfügungen das eigenen Geschäftsmodell betreffen.

Gegen Allgemeinverfügungen der ZSVR ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe Widerspruch bei der ZSVR selbsteinzulegen. Geschieht dies nicht wird der Bescheid mit Ablauf der einmonatigen Widerspruchsfrist bestandkräftig. Er gilt daher für eine unbestimmte Zahl an Adressaten, weshalb dessen Festsetzungen einzuhalten sind. Die Bestandskraft bleibt bestehen, solange die Allgemeinverfügung nicht im Wege des § 48 VwVfG oder § 49 VwVfG aufgehoben wird. Die Aufhebung ist nur möglich, sofern die strengen Voraussetzungen der benannten Normen vorliegen.

4. Exkurs: Verpackungskennzeichnung Italien und Frankreich

Das neue Jahr bringt für den italienischen und französischen Markt für bestimmte Verpackungen/Produkte neue Kennzeichnungspflichten mit sich.

Im Kern müssen nunmehr alle für den französischen Markt bestimmten Haushaltsverpackungen oder Produkte mit den Trenn- und Verwertungshinweisen des französischen Triman Logos gekennzeichnet werden. Ein Verweis auf die Website ist nicht mehr zulässig, was insbesondere für Online-Händler zu einer erheblichen Verschärfung der Kennzeichnungspflicht führt.

In Italien gibt es außerdem ab dem 01.01.2023 erstmalig eine Umweltkennzeichnungspflicht für Verpackungen. Diese bezieht sich zumindest auf eine Materialidentifikation der jeweiligen Verpackung. Für Haushaltsverpackungen müssen zudem Hinweise zur sachgerechten Entsorgung gegeben werden.

Diese neuen Kennzeichnungspflichten führen zu einer weiteren Zersplitterung der regulatorischen Anforderungen im EU-Binnenmarkt und stellen Hersteller und Händler vor großen Herausforderungen, weil abhängig vom jeweiligen Zielland der Verpackungen unterschiedliche Kennzeichnungspflichten existieren können, die eine günstige und einheitliche Umsetzung der Kennzeichnungspflichten erschweren. Insoweit könnte das in Kraft treten der EU-Verpackungsverordnung künftig aber zu einer abschließenden Vereinheitlichung der Kennzeichnungsanforderungen für Verpackungen führen, siehe oben Ziffer C.2 zum Entwurf der EU-Verpackungsverordnung.

5. WEEE-Richtlinie – Call for evidence zur Überarbeitung der Richtlinie gestartet

Die EU-Kommission bewertet derzeit die Effektivität der WEEE-Richtlinie im Hinblick auf die Erreichung hoher Sammlungs- und Verwertungsquoten von EEE-Abfällen und hat im Hinblick auf eine etwaige Novellierung der WEEE-Richtlinie bereits die Öffentlichkeit konsultiert.

Einen Entwurf für eine Neuregulierung der WEEE-Richtlinie hat die EU-Kommission bislang jedoch nicht veröffentlicht. Mit einem ersten Entwurf wird seitens des BMUV auch erst 2024 gerechnet. Dies ist insoweit plausibel, als auch im Arbeitsprogramm der Kommission für 2023 ein entsprechendes Vorhaben nicht enthalten ist.  

6. ElektroG – Aktuelle Entwicklungen

Da für eine ordnungsgemäße und rechtskonforme Umsetzung der neuen Pflichten ein erheblicher zeitlicher Vorlauf notwendig ist, sollten Marktplatzbetreiber und Fulfillment-Dienstleister, die sich noch nicht mit der Implementierung der neuen Vorgaben beschäftigen, sehr zeitnah damit beginnen, Maßnahmen zur Umsetzung der gesetzlichen Pflichten zu treffen.

Im deutschen VerpackG werden Marktplatzbetreiber bereits mittelbar verpflichtet, sicherzustellen, dass nur solche Produkte auf den eigenen Verkaufsplattformen angeboten werden, die von ordnungsgemäß registrierten und ggf. systembeteiligten Verpackungsherstellern stammen. Inhaltsgleiche Pflichten existieren dabei auch für die Erbringung von Dienstleistungen durch Fulfillment-Dienstleister.

Zunächst hatte der deutsche Gesetzgeber vergleichbare Verpflichtungen für Marktplatzbetreiber und Fulfillment-Dienstleister zum 1. Januar 2023 auch im Anwendungsbereich des ElektroG vorgesehen. Mit einer neuen Novellierung des ElektroG ist das Inkrafttreten der neuen gesetzlichen Pflichten für diese Wirtschaftsakteure im Kontext des ElektroG jedoch auf den 1. Juli 2023 verschoben worden, § 46 Abs. 2 ElektroG.

Zum 1. Januar 2023 ist außerdem die Übergangsfrist für die neuerdings verpflichtende Kennzeichnung von sog. b2b-Geräten mit dem Symbol der durchgestrichenen Mülltonne abgelaufen. Dies bedeutet, dass die Kennzeichnung mit dem Symbol der durchgestrichenen Mülltonne in Deutschland nunmehr für alle EEE umgesetzt werden muss; dies unabhängig davon, ob es sich um b2b- oder b2c-Geräte handelt. Zudem möchten wir Sie darauf hinweisen, dass eine neue Gebührenverordnung für behördliche Maßnahmen nach dem BattG und ElektroG in Kraft getreten ist, die u.a. eine Bagatellgrenze für ein Absehen einer Gebührenerhebung vorsieht.

Schließlich plant das BMUV eine Überarbeitung des ElektroG, unabhängig von der Novellierung der WEEE-Richtlinie und will das Gesetzgebungsverfahren in der zweiten Hälfte 2023 starten.

7. Ökodesign-VO (ESPR) – Stand des Gesetzgebungsverfahrens

Die Kommission hat im März 2022 den Entwurf für eine neue Ökodesign-Verordnung (Ökodesign-VO-E) vorgestellt, die die bisherige Ökodesign-Richtlinie (2009/125/EG) ersetzen soll.

Nach dem Entwurf soll die Verordnung künftig für alle materiellen Güter gelten, die in Verkehr gebracht oder in Betrieb genommen werden, Art. 1 Nr. 2 Ökodesign-VO-E. Dies gilt insbesondere auch für Bauteile. Vom Anwendungsbereich ausgenommen sind lediglich wenige Produkte, die in Art. 1 Nr. 2 Ökodesign-VO-E aufgelistet sind, u.a. Lebensmittel, Futtermittel, medizinische und tiermedizinische Produkte, lebende Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen.  Den Vorschlag für eine Ökodesign-Verordnung für nachhaltige Produkte können Sie hier abrufen. Unsere ausführliche Mandanteninformation zum Kommissionsentwurf finden Sie hier. Die Ökodesign-Verordnung wird derzeit in den zuständigen Ausschüssen des Europäischen Parlaments beraten. Für den Juli ist die erste Lesung im Europäischen Parlament geplant. Erst danach wird der Entwurf mit den vorgeschlagenen Änderungen vom EP an den RAT übermittelt. Hat auch der RAT sich positioniert, ist mit dem Beginn des sogenannten Trilog-Verfahrens zu rechnen. Gleichwohl teilweise noch zu lesen ist, dass die Ökodesign-Verordnung im Jahr 2023 in Kraft treten könnte, halten wir dies – auch mit Blick auf den zeitlichen Ablauf bei der Erarbeitung der EU-Batterie-Verordnung (vgl. oben C.1.) für unrealistisch. Wir rechnen derzeit mit einem Inkrafttreten im zweiten Halbjahr 2024.

8. EU Energielabel Reparierbarkeit von Smartphones

Auf der Grundlage der noch geltenden EU-Ökodesign-Richtlinie 2009/125/EG und der EU-Verordnung zur Energieverbrauchskennzeichnung (EU) 2017/1369 hat die EU-Kommission einen Entwurf für die Einführung eines EU-Energielabels für Smartphones und Tablets beschlossen. Erstmals soll auf dem Label ein Reparierbarkeits-Index angezeigt werden. Die mit der Produktkennzeichnung betrauten Hersteller von Smartphones und Tablets müssen künftig auf einer Skala von A-E angeben, wie gut ihre Geräte reparierbar sind. Das neue Energielabel soll EU-weit ab 2025 auf den Geräten zu finden sein. Mit einer förmlichen Annahme des Entwurfes durch die EU-Kommission ist in diesem Jahr zu rechnen.

D. Produktsicherheitsrecht

1. EU-Produktsicherheitsverordnung

Am 26. Januar 2023 ist der „finale“ Entwurf der EU-Produktsicherheitsverordnung (EU-ProdSV-E) durch den zuständigen Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz angenommen worden. Der Verordnungsentwurf muss für eine Veröffentlichung im EU-Amtsblatt noch durch das EU-Parlament verabschiedet werden und könnte voraussichtlich bereits im zweiten Quartal dieses Jahres in Kraft treten. In Artikel 47 EU-ProdSV-E ist für eine Umsetzung der neuen Pflichten jedoch eine Übergangsfrist von 18 Monaten ab dem in Kraft treten der Verordnung vorgesehen.

Der EU-ProdSV-E sieht die Aufstellung zahlreicher neuer Pflichten vor, die sowohl den harmonisierten Produktbereich (CE-Produkte) als auch den nicht harmonisierten Produktbereich betreffen. Zu nennen sind etwa neue Anforderungen für den Online-Handel (Artikel 18 EU-ProdSV-E), die Pflicht der Hersteller zur Einrichtung eines Beschwerdeverfahrens für Verbraucher (Artikel 8 Abs. 11c EU-ProdSV-E) sowie die Aufstellung von Pflichten für market places (Artikel 20 EU-ProdSV-E). Ein besonderes Augenmerk sollten Hersteller von nicht harmonisierten Produkten zudem auf Artikel 8 Abs. 4 EU-ProdSV-E legen, der erstmals für nicht harmonisierte Produkte eine risikounabhängige Verpflichtung für die Durchführung interner Risikobewertungen vorsieht und Vorgaben für die Erstellung einer technischen Dokumentation aufstellt.

Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass die EU-ProdSV-E zahlreiche neue Pflichten mit sich bringen wird, auf die sich die betroffenen Wirtschaftsakteure zeitnah einstellen sollten.

2. Neue EU-Maschinen-Verordnung

Die Novellierung der regulatorischen Rahmenbedingen für die Herstellung und den Vertrieb von Maschinen schreitet voran. Im Dezember 2022 haben EU-Parlament, Rat und Kommission die im Juli 2022 begonnen Trilog-Verhandlungen abgeschlossen und somit über die voraussichtlich finale Version der Maschinenverordnung (M-VO) entschieden.

Die im Rahmen des Trilogs getroffene Einigung beinhaltet laut der Pressemitteilung des Europäischen Parlaments vom 15.12.2022, dass sechs Maschinenkategorien in Anhang I der Verordnung aufgenommen werden, die einer obligatorischen Konformitätsbewertung durch Dritte unterliegen. Eine entsprechende Regelung fand sind bisher in Anhang IV der Maschinen-Richtlinie RL 2006/42/EG. Unterstützt wird dies durch strenge Verfahren zur Aktualisierung des Anhangs durch zusätzliche Kategorien. Zudem sollen digitale Anleitungen die Standardoption anstelle von papierbasierten Lösungen sein. Ferner wurden auch der Anwendungsbereich und die Definitionen der neuen Rechtsvorschriften angepasst.          

Im nächsten Schritt müssen nun das Europäische Parlament und der Rat die M-VO förmlich annehmen. Die Verordnung tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.

3. EU-Spielzeug-Verordnung

Das Europäische Parlament hat aufgrund eines Evaluierungsberichts der Kommission festgestellt, dass die Spielzeugrichtlinie 2009/48/EG verschiedene Unstimmigkeiten aufweist. So seien die Bestimmungen über chemische Stoffe die Hauptquelle für diese, da unter anderem die Grenzwerte für Spielzeuge nicht in einem einzigen Rechtsakt zusammengefasst seien. Auch sei der Begriff des „Spielzeugs“ nicht konkret genug definiert. Es würden sich hierdurch Produkte in einer Grauzone befinden, obwohl sie eindeutig als Spielzeug genutzt werden. Zudem gestalte sich die Marktüberwachung in den einzelnen Mitgliedsstaaten uneinheitlich und sei – teilweise – unzureichend. Häufig entspreche das im europäischen Ausland hergestellte Spielzeug nicht den Anforderungen der Richtlinie.

Daher hat das Europäische Parlament die Kommission im Rahmen der „Entschließung des Europäischen Parlaments vom 16.02.2022 zur Umsetzung der Spielzeugrichtlinie“ aufgefordert, Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass alle in Verkehr gebrachten Spielzeuge der Richtlinie entsprechen. Die geltende Richtlinie soll durch eine EU-Verordnung abgelöst werden. Der Aufforderung entsprechend hat die Kommission eine öffentliche Konsultation zur Überarbeitung der EU-Richtlinie über Spielzeugsicherheit gestartet, die bis zum 25.05.2022 lief. Ziel der Initiative ist es, Kinder besser vor Risiken in Spielzeug, insbesondere vor Chemikalien, zu schützen.

Die Annahme des Vorschlags für die Spielzeugverordnung durch die Kommission, welche ursprünglich für das vierte Quartal 2022 geplant war, und die Vorstellung eines entsprechenden Entwurfs einer Verordnung steht noch bevor. 

4. EU-Kommission veröffentlicht aktualisierten „Blue Guide“

Am 29. Juni 2022 ist der neue Leitfaden für die Umsetzung der Produktvorschriften der EU 2022 („Blue Guide“) im Amtsblatt der EU erschienen. Der Blue Guide ist seit dem Jahr 2000 das maßgebliche Standarddokument zur Interpretation und einheitlichen Anwendung der europäischen Harmonisierungsvorschriften im gesamten Binnenmarkt. Wenngleich rechtlich nicht verbindlich, bietet der Blue Guide nationalen Behörden und Wirtschaftsakteuren wichtige Hilfestellungen bei der Auslegung und Umsetzung der einschlägigen Vorschriften. 

Mit der ersten Neuerung seit 2016 passt die Europäische Kommission den Leitfaden an die rechtlichen Entwicklungen der letzten Jahre an. Aufgenommen wurden insbesondere Ausführungen zu der seit dem 16. Juli 2021 geltenden europäischen Marktüberwachungsverordnung (Verordnung (EU) 2019/1020), mit der die behördliche Marktüberwachung für Non-Food Produkte EU-weit harmonisiert wurde.

Daneben finden sich in der Neufassung unter anderem Informationen zu den Auswirkungen des „Brexit“ sowie Erläuterungen zu wesentlichen Begriffen der europäischen Produktvorschriften, beispielsweise zum Begriff des „Endnutzers“ oder zum sogenannten „Fulfillment-Dienstleister“.

5. Richtlinie zur Erweiterung der RED um Common Chargers veröffentlicht

Am 7. Dezember 2022 hat die EU-Kommission die Richtlinie (EU) 2022/2380 zur Erweiterung der RED um „Common Chargers“ im EU-Amtsblatt veröffentlicht. Die Richtlinie ändert die RED-Richtlinie. In Deutschland werden die Änderungen voraussichtlich im FuAG in nationales Recht umgesetzt. Die geänderte Richtlinie sieht vor, dass Wirtschaftsakteure bestimmte (Kategorien oder Klassen von) Funkanlagen (darunter auch Mobiltelefone, Tablets und Kopfhörer) mit dem USB-Anschluss des Typs C versehen müssen. Die Umsetzungsfrist für die Mitgliedstaaten endet am 28. Dezember 2023, die Übergangsfrist am 28. Dezember 2024 (bzw. hinsichtlich der Ausstattung von Laptops am 28. April 2026), Richtlinie (EU) 2022/2380 vom 23.11.22, S. L 315/39. Die geänderten Vorschriften müssen in den Mitgliedstaaten außerdem ab diesen Daten angewendet werden.

Das Ziel der Richtlinie versteht sich nicht nur in der Verbesserung der Verbraucherfreundlichkeit. Vielmehr sollen auch eine Fragmentierung des Marktes in Bezug auf Ladeschnittstellen und Ladeprotokolle verhindert und Elektronikabfälle reduziert werden.

Über den Kerngehalt der Regelung – der Schaffung eines Standards für ein einheitliches Ladegerät – hinaus, werden Wirtschaftsakteure nach dem neu eingefügten Art. 3a Abs. 1 verpflichtet, Verbrauchern und anderen Endnutzern die Möglichkeit anzubieten, bestimmte Funkanlagen auch ohne Ladenetzteile erwerben zu können. Korrespondierend hierzu sieht Abs. 2 der Vorschrift vor, dass durch ein Piktogramm anzugeben ist, ob im Lieferumfang des neuen Geräts ein Ladegerät enthalten ist.

Mit der Möglichkeit auf den Kauf eines gegebenenfalls nicht benötigten Ladegeräts zu verzichten und dem klaren Hinweis auf den Lieferumfang, kann der Verbraucher Kosten sparen und können umweltgefährdende Abfälle reduziert werden – ganz im Sinne der Richtlinienziele.

6. Richtlinie 2019/882/EU über Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistun-gen

Die CE-Richtlinie über Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen vom 17.4.2019 wird eher selten erwähnt. Sie bezweckt die Harmonisierung von Barrierefreiheitsanforderungen und wurde in Deutschland durch das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) vom 16.07.2021 umgesetzt.

Die Richtlinie gilt für die folgenden Produkte, die nach dem 28. Juni 2025 in Verkehr gebracht werden:

  • Hardwaresysteme und für diese Hardwaresysteme bestimmte Betriebssysteme für Universalrechner für Verbraucher
  • Bestimmte Selbstbedienungsterminals
  • Verbraucherendgeräte mit interaktivem Leistungsumfang, die für elektronische Kommunikationsdienste verwendet werden
  • Verbraucherendgeräte mit interaktivem Leistungsumfang, die für den Zugang zu audiovisuellen Mediendiensten verwendet werden und
  • E-Book-Lesegeräte

Die Barrierefreiheitsanforderungen warden in Art. 4 in Verbindung mit Anhang I definiert. Hersteller von Produkten, die in den Anwendungsbereich fallen, müssen sich schnellstmöglich mit den Anforderungen vertraut machen.

7. BREXIT- Erneute Verlängerung der Übergangsfrist im Hinblick auf die CE-Kennzeichnung

Die britische Regierung hat am 14. November 2022 bekanntgegeben, dass die Übergangsfrist für das Inverkehrbringen von Produkten mit einer CE-Kennzeichnung erneut verlängert wird. Ziel der Verlängerung ist es, die Unternehmen in wirtschaftlich angespannten Zeiten (Post-Pandemie und Ukraine-Krieg) zu entlasten und jenen stattdessen den Fokus auf die Verbesserung des Kundenservices, wirtschaftlichen Wachstum und die Unterstützung ihrer Mitarbeiter zu erleichtern. Danach dürfen Produkte mit einer CE-Kennzeichnung grundsätzlich noch bis zum 31. Dezember 2024 in Großbritannien in Verkehr gebracht werden. Einige Produkte – namentlich Medizinprodukte, Bauprodukte, Seilbahnen, transportable Druckgeräte, Unbemannte Luftfahrtsysteme, Bahnprodukte, Schiffausrüstung – sind hiervon ausgeklammert. Die entsprechend geltende Frist soll durch das jeweils für den Bereich zuständige Ministerium gesondert geregelt werden. Dem ist etwa das britische Ministerium für Wohnungsbau bereits am 9. Dezember nachgekommen und verlängerte die Frist für Bauprodukte sogar bis zum 30. Juni 2025. Für mehr Flexibilität dürfen Produkte auch schon vor Fristende mit dem dann erforderlichen britischen UKCA-Label versehen sein. Weitere Informationen hat die britische Regierung auf Ihrer Homepage zur Verfügung gestellt.

8. Normungsroadmap Künstliche Intelligenz (KI)

Als Teil der KI-Strategie der Bundesregierung sollte die bereits von DIN und DKE im Jahr 2020 erarbeitete Normungsroadmap umgesetzt werden. Die bereits zweite Ausgabe dieser Normungsroadmap („Version 2“) wurde nun im Dezember 2022 veröffentlicht. Die Normungsroadmap ist in neun Schwerpunktthemen gegliedert (Grundlagen, Sicherheit, Prüfung und Zertifizierung, Soziotechnische Systeme, Industrielle Automation, Mobilität, Medizin, Finanzdienstleistungen, Energie und Umwelt) und enthält zusammenfassend die folgenden sechs Handlungsempfehlungen:

  • Entwicklung eines Konformitätsbewertungs- und Zertifizierungsprogramms
  • Mitdenken der Rolle des Menschen
  • Aufbau von Dateninfrastrukturen und Datenqualitätsstandards
  • Konformitätsbewertung kontinuierlich lernender Systeme im Bereich der Medizin
  • Entwicklung und Einsatz sicherer und vertrauenswürdiger KI-Anwendungen in der Mobilität
  • Entwicklung übergreifender Datenstandards und dynamischer Modellierungsverfahren

Die Roadmap soll den KI-Standort Deutschland stärken, indem nationale Qualitätsstandards vorbereitet werden, welche schnell in internationale Normungsvorhaben eingebracht werden können. Die Normungsroadmap flankiert damit auch den Vorschlag für eine Verordnung zur Festlegung harmonisierter Vorschriften für künstliche Intelligenz und zur Änderung bestimmter Rechtsakte der Union (EU-KI-Verordnung/“AI Act“), welche die EU-Kommission bereits im April 2021 vorgelegt hatte.

9. Cybersicherheits-Verordnung

Die Europäische Kommission hat am 15.09.2022 den Entwurf der Cybersicherheitsverordnung unter der Bezeichnung Cyber Resilience Act (CRA-E) vorgelegt. Als EU-Verordnung hätte die CRA-E in sämtlichen Mitgliedstaaten der EU eine unmittelbare Gültigkeit. Nach deren Hauptzielen sollen die Voraussetzungen für die Entwicklung sicherer Produkte mit digitalen Elementen geschaffen werden. Gleichzeitig sollen die Bedingungen geschaffen werden, die es den Nutzern ermöglichen, bei der Auswahl und Nutzung von Produkten mit digitalen Elementen der Cybersicherheit Rechnung zu tragen.

Die CRA-E soll für jegliche Produkte mit digitalen Elementen (Hard- und Software), die entweder direkt oder indirekt mit einem anderen Produkt verbunden sind, gelten. In den Art. 10 ff. CRA-E werden Pflichten an die Hersteller, Bevollmächtigte, Importeure und Händler gerichtet. Hierbei wird eine Vielzahl an Verpflichtungen, insbesondere für den Hersteller, begründet. Ihn treffen unter anderem:

  • Informations- und Instruktionspflichten mit dem Mindestinhalt des Anhangs II der Verordnung
  • Produktbeobachtungspflichten während der Planungs-, Entwurfs-, Produktions-, Liefer- und Wartungsphase
  • Prüfpflichten in Bezug auf zugekaufte Komponenten
  • Dokumentationspflicht für Cybersicherheitsrisiken
  • Mitwirkungs- und Meldepflichten
  • Überwachungs- und Beseitigungspflichten von Schwachstellen während der erwarteten Produktlebensdauer
  • Die Verpflichtung zur Verfügungstellung von Sicherheitsupdates für mindestens fünf Jahre

Zudem werden drei unterschiedliche Sicherheitskategorien (Standardkategorie, kritische Klasse I und kritische Klasse II) für Produkte mit digitalen Elementen begründet. 

Ferner wird ein Konformitätsbewertungsverfahren eingeführt. Hierbei kann der Hersteller die Konformitätsbewertung in Abhängigkeit von der Sicherheitskategorie eine Selbst- oder eine Drittbewertung für jedes Produkt abgeben bzw. abgeben lassen. Die Konformitätskontrolle selbst bleibt Aufgabe der Mitgliedstaaten durch ihre jeweiligen Marktüberwachungsbehörden.

Bis zum 23.01.2023 hat die Kommission Rückmeldungen zum angenommenen Entwurf des Rechtsakts eingeholt.

E. Bauprodukterecht

1. Revision der EU-BauPVO – Stand des Gesetzgebungsverfahrens

Am 30. März 2022 hat die EU-Kommission als Teil eines Maßnahmenpaketes zum „European Green Deal“ den Entwurf einer neuen Bauprodukteverordnung (im Folgenden: BauPVO-E) veröffentlicht. Damit soll die bisherige Verordnung (EU) Nr. 305/2011 (EU-Bauprodukteverordnung, EU-BauPVO) aufgehoben und die Verordnung (EU) 2019/1020 (Marktüberwachungsverordnung, MÜV) geändert werden.

Die Revision der EU-BauPVO verfolgt dabei zwei Hauptregelungsziele. So soll der BauPVO-E entsprechend dem „Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft“ als Teil des „European Green Deal“ künftig dazu beitragen, die Klima- und Nachhaltigkeitsziele der Europäischen Union im Bereich der Bauwirtschaft zu verwirklichen. Auch weiteren Politikzielen der Kommission, nämlich die Schaffung einer digitalen und resilienten Wirtschaft, trägt der Entwurf Rechnung. Außerdem sollen zahlreiche Regelungsdefizite, die sich im Rahmen des bereits im Jahr 2016 angestoßenen Revisionsprozesses gezeigt haben, beseitigt werden. Im Fokus stehen dabei Defizite im Zusammenhang mit harmonisierten Normen. Die wesentlichen Neuerungen hatten wir detailliert in unserer Mandanteninformation vom 30. April 2022 zusammengefasst.

Der Berichterstatter im Europäischen Parlament hat Mitte November seinen Berichtentwurf veröffentlicht. Der Bericht enthält zahlreiche konkrete Änderungsvorschläge des bisherigen Textvorschlages der Kommission. Im Rahmen dessen wurde der sehr weite Anwendungsbereich, der beispielsweise auch kleine vorgefertigte Einfamilienhäuser oder Dienstleistungen im Zusammenhang mit dem 3D-Druck umfasste, auf die Vermarktung von Bauprodukten reduziert. Auch die sehr umfangreichen Befugnisse der Kommission, harmonisierte technische Spezifikationen durch delegierte Rechtsakte zu erlassen, wurden deutlich reduziert. Die Normung soll weiterhin vorrangig bei den europäischen Normungsorganisationen angesiedelt bleiben. Der Kommissionsentwurf sah zudem eine lange Übergangszeit bis 2045 vor, während die derzeitige EU-BauPVO und die neue EU-BauPVO parallel gelten sollten. Der Bericht schlägt jedoch eine Übergangszeit von maximal zehn Jahren vor. Auch der Digitalisierung soll ein größerer Stellenwert beigemessen werden. Der Bericht ergänzt u.a. die Möglichkeit mit QR-Codes zu arbeiten. Auch Anforderungen an eine Produktdatenbank, die Geschäftsgeheimnisse schützten und zugleich Aspekte der Cybersicherheit sicherstellen, wurden im Bericht ergänzt.

Das Parlament stimmt voraussichtlich im Mai 2023 über den Textvorschlag ab. Liegt auch eine Position des Rates vor, treten die Kommission, der Rat und das Parlament voraussichtlich in Trilog-Verhandlungen ein.

2. BREXIT: Verlängerung der Übergangszeit auch für Bauprodukte

Anfang Dezember 2022 gab die britische Regierung bekannt, dass sie bei Bauprodukten, die bis zum 30. Juni 2025 nach Großbritannien (England, Schottland, Wales) geliefert werden, das CE-Kennzeichen weiterhin anerkennt. Danach müssen Bauprodukte zwingend mit dem UKCA-Kennzeichen gekennzeichnet werden. Für den Bezug und die Lieferung von Bauprodukten aus bzw. nach Nordirland gelten abweichende Regelungen. Die britische Regierung hatte die zum 31.12.2022 ablaufende Übergangszeit auch für Bauprodukte damit verlängert. Der offizielle Leitfaden der britischen Regierung zu den geltenden Regelungen ist hier abrufbar.

3. Verfahren für Pre-Demolition-Audits: Arbeit an DIN SPEC 91484 gestartet

Im Oktober 2022 fiel beim DIN der Startschuss für die Erarbeitung der DIN SPEC 91484 „Verfahren zur Erfassung von Baumaterialien als Grundlage für Bewertungen des Anschlussnutzungspotenzials vor Abbruch- und Renovierungsarbeiten“. Durch die Festlegung des Verfahrens soll sichergestellt werden, dass den Marktteilnehmern einheitliche und ausreichend detaillierte Daten über die betroffenen Baumaterialien zur Verfügung gestellt werden können. Dies soll die potenzielle Anschlussnutzung gebrauchter Baumaterialien vereinfachen und so zur Ressourcenwende im Bauwesen beitragen. Die DIN SPEC 91484 soll im April 2023 verabschiedet werden. Franßen & Nusser Rechtsanwälte beteiligt sich durch die Mitarbeit unserer Kollegin Marthe-Louise Fehse aktiv an der Erarbeitung der DIN SPEC. 

F. ESG – Nachhaltigkeit und Lieferkette

1. Neues zum Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG)

Zum 1. Januar 2023 ist das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – LkSG in Kraft getreten. Ausführliche Informationen zu den Pflichten des LkSG können Sie über unsere LkSG-Mandanteninformation erhalten.

Derzeit adressiert das LkSG Unternehmen mit Sitz in Deutschland, die in Deutschland mind. 3.000 Arbeitnehmer beschäftigen. Bereits zum 1. Januar 2024 wird dieser Schwellenwert auf 1.000 Arbeitnehmer herabgesenkt. Hinsichtlich der Umsetzung der LkSG-Pflichten verweist das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) u.a. auf seinen FAQ. Nach der Auffassung des BMAS müssen nicht alle LkSG-Sorgfaltspflichten bereits zum 1. Januar 2023 erfüllt worden sein. Ausweislich des FAQ  Ziffer VI.2. ist zwischen Pflichten zu unterscheiden, die bereits zum 1. Januar 2023 erfüllt werden müssen und zwischen Pflichten, mit deren Umsetzung erst ab dem 1. Januar 2023 begonnen werden muss.

Zu den Pflichten, die bereits jetzt erfüllt sein müssen, gehört zunächst die Beauftragung einer Person i.S.v. § 4 Abs. 3 LkSG mit der unternehmensinternen Überwachung des Risikomanagementsystems („Menschenrechtsbeauftragten“). Außerdem müssen Unternehmen, die zum 1. Januar 2023 unter den Anwendungsbereich des LkSG fallen, bereits zum 1. Januar 2023 ein angemessenes Beschwerdeverfahren i.S.v. § 8 Abs. 1 S. 1 LkSG eingerichtet haben.

Die übrigen Sorgfaltspflichten müssen nach Ziffer VI.2. des BMAS-FAQ nicht zum 1. Januar 2023 erfüllt worden sein, jedoch ist nun umgehend mit deren Umsetzung zu beginnen. Eine Umsetzung aller Sorgfaltspflichten ist dabei bis zum Abschluss des ersten Geschäftsjahres seit dem in Kraft treten des LkSG erforderlich. Spätestens vier Monate nach dem Schluss des Geschäftsjahres ist außerdem der Bericht über die Erfüllung der Sorgfaltspflichten gemäß § 10 Abs. 2 LkSG dem BAFA vorzulegen.  

Unternehmen, deren Geschäftsjahr beispielsweise bereits am 31. März 2023 abgeschlossen wird, müssten also strenggenommen schon für den Zeitraum von Januar bis März 2023 die Erfüllung aller LkSG-Pflichten sicherstellen und dem BAFA hierrüber bis zum 31. August 2023 einen Bericht nach § 10 Abs. 2 LkSG vorlegen. In diesen Fällen soll nach Ziffer VI.2. des BMAS-FAQ von den betroffenen Unternehmen allerding nur das gefordert werden, was sie in zumutbarer Weise innerhalb des verkürzten Zeitraums umsetzen können. Dies betrifft nach der Auffassung des BMAS insbesondere eine nicht abgeschlossene Risikoanalyse(n) und damit auch auf deren Ergebnisse(n) aufbauende Präventionsmaßnahmen.

Nach einem uns vorliegenden Ministerschreiben des BMAS und des Bundeswirtschaftsministeriums vom 23. Dezember 2022 und gemäß Ziffer XIII.2. des BMAS-FAQ sollen die zwischen dem 1. Januar 2023 und dem 1. Juni 2024 beim BAFA einzureichenden Berichte gemäß § 10 Abs. 1 LkSG außerdem erst zum 1. Juni 2024 durch das BAFA geprüft werden. Eventuelle Fristüberschreitungen für die Einreichung der Berichte (vier Monate nach Schluss des jeweiligen Geschäftsjahres) sollen ausweislich des Ministerschreibens vom 23. Dezember 2022 nicht geahndet werden.

Insoweit liegt also eine „ungeschriebene“ Umsetzungsfrist für die Einreichung des Berichts gemäß § 10 Abs. 2 LkSG bis zum 1. Juni 2024 vor, die vielen Unternehmen zugutekommen dürfte, jedoch nicht gesetzlich im LkSG geregelt wird.

Die betroffenen Unternehmen sollten trotz dieser „ungeschriebenen“ Umsetzungsfrist umgehend mit einer Umsetzung der LkSG-Pflichten beginnen, da für eine ordnungsgemäße Erfüllung der LkSG-Pflichten ein erheblicher zeitlicher Vorlauf notwendig ist. Dies gilt im Übrigen auch für Unternehmen, die in Deutschland 1.000 Arbeitnehmer oder meh beschäftigen und dementsprechend zum 1. Januar 2024 unter den Anwendungsbereich des LkSG fallen.

2. Corparate Sustainability Due Diligence Directive (CS3D) – Trilog-Verhandlungen gestartet

Die EU-Kommission hatte bereits im Februar 2022 den Entwurf einer Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit vorgelegt (COM(2022) 71 final v. 23. Februar 2022).Der Richtlinienentwurf geht in mehrfacher Hinsicht über die Regelungen des nationalen LkSG hinaus, indem er auch Aspekte des Klimaschutzes und die gesamte Wertschöpfungskette erfasst, Unternehmen u.U. bereits ab 250 Mitarbeitern erfasst sowie die zivilrechtliche Haftung der betroffenen Unternehmen etabliert. Der Rat hat im Dezember 2022 seinen Standpunkt verabschiedet. Nach diesem soll der risikobasierte Ansatz als Regelungsprinzip in den Entwurf aufgenommen werden sowie die Voraussetzungen der zivilrechtlichen Haftung genauer definiert werden. Es schließt sich nun das sog. Trilog-Verfahren an, in dem der Rat, die Kommission und das Parlament den Wortlaut der Richtlinie miteinander verhandeln.

3. Taxonomie-Verordnung – Aktuelle Entwicklungen

Die Taxonomie Verordnung (Tax-VO) regelt ein Klassifizierungssystem zur Definition „ökologisch nachhaltiger“ Geschäftsaktivitäten, um damit den Grad der ökologischen Nachhaltigkeit einer Investition ermitteln zu können. Die Nachhaltigkeit wird anhand der in Art. 9 Tax-VO aufgeführten sechs Umweltziele beurteilt. Gleichzeitig konkretisiert Art. 8 Tax-VO Berichtspflichten im Sinne der alten CSR-RL (2014/95/EU) um Angaben dazu, wie und in welchem Umfang die Tätigkeiten des Unternehmens mit Wirtschaftstätigkeiten verbunden sind, die als ökologisch nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten gemäß Artikel 3 und Artikel 9 der Verordnung einzustufen sind. Diese Angaben sind im Nachhaltigkeitsbericht als Teil des Lageberichts aufzunehmen.

Die Tax-VO wurde durch zwei delegierte Verordnungen zu den Umweltzielen 1 und 2 im Sinne von Art. 9 Tax-VO zum 31.12.2021 konkretisiert (Delegierte Verordnung (EU) 2021/2139 und Delegierte Verordnung (EU) 2022/1214). Die delegierten Verordnungen für die Umweltziele 3-6 sind noch nicht erlassen worden. Nach Art. 12, 13, 14 und 15 jeweils Abs. 5 Tax-VO hätte dies bis zum 31.12.2021 der Fall sein müssen.

Ab dem 01.01.2025 wird der Anwendungsbereich der Tax-VO ausgedehnt. Denn er gilt nach Art. 1 Abs. 2 lit c. Tax-VO für Unternehmen, für die eine Verpflichtung gilt, eine nichtfinanzielle Erklärung nach Art. 19a bzw. Art. 29a der RL 2013/34/EU zu veröffentlichen. Nunmehr trifft nach Art. 5 Abs. 2 i) CSRD diese Verpflichtung auch große Unternehmen im Sinne von Art. 3 Abs. 2 CSRD. Unternehmen gelten als solche, sofern sie zwei der drei folgenden Kriterien erfüllen:

> 250 Beschäftigte

> 20 Mio. Euro Bilanzsumme

> 40 Mio. Euro Nettoumsatzerlöse

Große Unternehmen fallen erstmals ab dem 01.01.2026 für das Geschäftsjahr 2025 unter die Tax-VO und werden nach der CSRD berichtspflichtig (vgl. sogleich F.4 zur CSRD). Es ist jedoch sinnvoll, sich so früh wie möglich mit den Inhalten und dem Umfang der Berichtspflicht auseinander zu setzen und die notwendigen Strukturen zu schaffen, um die zu berichtenden Daten überhaupt erheben zu können.

4. CSRD in Kraft getreten

Mit der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) (RL (EU) 2022/2464) wird der Umfang und die Art der Nachhaltigkeitsberichtserstattung neu definiert.  Die Richtlinie wurde am 16.12.2022 im Amtsblatt der EU veröffentlicht und ist 20 Tage danach in Kraft getreten. Bei der CSRD handelt es sich um eine Richtlinie, die von den Mitgliedstaaten bis zum 06.07.2024 in nationales Recht umgesetzt werden muss; die Umsetzung wird in Deutschland – voraussichtlich – durch Änderungen des HGB vorgenommen.

Die Erweiterung des Anwendungsbereichs ab dem 01.01.2025 auf nicht-kapitalmarktorientierte Unternehmen gilt ebenfalls wie bei der Tax-VO (vgl. oben Ziffer F.3).

Die Berichterstattung, die ausschließlich im Lagebericht zu erfolgen hat, soll Angaben enthalten, die für das Verständnis der Auswirkungen der Tätigkeiten des Unternehmens auf Nachhaltigkeitsaspekte sowie das Verständnis der Auswirkungen von Nachhaltigkeitsaspekten auf u. a. den Geschäftsverlauf und das Geschäftsergebnis erforderlich sind, Art. 19a Abs. 1 CSRD. In dem Nachhaltigkeitsbericht als Teil des Lageberichts sind auch Angaben nach Art. 8 Tax-VO, wie und in welchem Umfang die Tätigkeiten des Unternehmens mit Wirtschaftstätigkeiten verbunden sind, die als ökologisch nachhaltig einzustufen sind, aufzunehmen (Art. 29d Abs. 1 CSRD). Zudem sollen Informationen über immaterielle Güter (Art. 19a Abs. 2 Unterabsatz 2 CSRD) sowie Informationen über den Prozess der Ermittlung der Informationen offengelegt werden (Art. 19 Abs. 3 CSRD).

Künftig erlässt die Kommission delegierte Rechtsakte zur Ergänzung der CSRD, um Standards für die Nachhaltigkeitsberichtserstattung festzulegen. Die European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG), die mit der Erarbeitung dieser Standards beauftragt wurde, hat bereits mehrere Entwürfe der Standards erarbeitet.

Für die berichtspflichtigen Unternehmen wird eine externe Prüfungspflicht eingeführt. Die Unternehmen sollen (zunächst) eine begrenze Prüfsicherheit für die bereitgestellten Informationen einholen; zu prüfen sind die Übereinstimmung der Angaben mit den Berichtsstandards, der vom Unternehmen durchgeführte Prozess zur Ermittlung der berichteten Informationen und die Kennzeichnung nach den Anforderungen des elektronischen Reporting-Formats.

5. Europäisches Gesetz über kritische Rohstoffe

Die EU-Kommission hat im Oktober 2022 bekannt gegeben, dass sie beabsichtigt im 1. Quartal 2023, einen Verordnungsentwurf eines Europäischen Gesetzes über kritische Rohstoffe vorzulegen. Das Gesetzesvorhaben soll den digitalen und ökologischen Wandel der Wirtschaft und die Abhängigkeit der Europäischen Union von Drittstaaten verringern. Dazu sollen gemeinsame europäische Strategien entwickelt werden, die Überwachung und das Risikomanagement auf europäischer Ebene verbessert werden (z.B. durch Frühwarnsysteme), innereuropäische Wertschöpfungsketten gestärkt werden (z.B. durch Förderung von Investitionen und neuer Technologien), die Bedingungen der Kreislaufwirtschaft sowie die Wettbewerbsbedingungen für Produkte aus kritischen Rohstoffen europäisch vereinheitlicht werden. Insbesondere die letzten beiden Aspekte sollten durch produzierende Unternehmen weiter beobachtet werden, da diese möglicherweise Auswirkungen auf die Beschaffungsstrategie haben können.

6. Verordnungsentwurf zum Verbot von in Zwangsarbeit hergestellten Produkten

Die EU-Kommission hat am 14. September 2022 einen Vorschlag über eine Verordnung zum Verbot von in Zwangsarbeit hergestellten Produkten veröffentlicht. Der Verordnungsentwurf sieht ein generelles Verbot des Verkaufs, der Einfuhr und der Ausfuhr von in Zwangsarbeit hergestellten Produkten vor – und zwar in allen Wirtschaftssektoren.

Die national zu schaffenden Behörden sollen nach einem risikobasierten Ansatz vorgehen, primär also dort tätig werden, wo die Wahrscheinlichkeit von in Zwangsarbeit hergestellten Gütern besonders hoch ist, etwa in Branchen wie dem Textilgewerbe oder ab einer bestimmten Unternehmensgröße. Grundsätzlich stellt der Entwurf aber auf die Produkte ab, nicht auf bestimmte Unternehmen oder Wirtschaftszweige – in die Pflicht genommen werden so alle Wirtschaftsakteure, unabhängig von ihrer Betriebsgröße oder Marktstellung.

Wird ein Produkt als durch Zwangsarbeit hergestellt identifiziert, ist das Inverkehrbringen und die Bereitstellung auf dem Unionsmarkt und die Ausfuhr aus der Union unverzüglich einzustellen. Die involvierten Wirtschaftsakteure sollen durch die zuständigen Behörden angewiesen werden, die betroffenen Produkte vom Markt zu nehmen und – auf eigene Kosten – zu vernichten, unbrauchbar zu machen oder auf sonstige Weise zu verwerten. Dies soll, so die Kommission, „einen starken Abschreckungseffekt“ darstellen und einen „Anreiz zur Einhaltung der neuen Vorschriften“ bieten. 

Der Vorschlag geht damit im Vergleich zum Entwurf CS3D deutlich weiter. Denn dort werden die Unternehmen – ähnlich wie im deutschen LkSG – zwar zur Einhaltung von Sorgfaltspflichten mit Blick auf menschen- und umweltrechtliche Verletzungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette verpflichtet; ein Verbot des Inverkehrbringens oder Bereitstellens der Produkte auf dem EU-Markt ist aber nicht vorgesehen.

Der Entwurf der EU-Kommission wird nun im EU-Parlament und nachfolgend im EU-Ministerrat diskutiert.

7. EU-Verordnung über entwaldungsfreie Lieferketten (EU Deforestation Regulation EUDR) – Eini-gung in Trilog-Verhandlungen

Am 05.12.2022 haben der Rat und das Europäische Parlament eine politische Einigung in ihren Trilog-Verhandlungen über die EU-Verordnung über entwaldungsfreie Lieferketten erzielt. Der ursprüngliche Kommissionsvorschlag datiert vom 17.11.2021, COM(2021) 706 final. Die neue Verordnung wird zudem die Holzhandels-Verordnung 995/2010/EU ersetzen. Mit einem Inkrafttreten ist im 2. Quartal 2023 zu rechnen. In der Verordnung sind für viele Pflichten 18-monatige Übergangsregelungen vorgesehen.

Die Verordnung zielt darauf ab, die Ausdehnung landwirtschaftlicher Flächen für die Erzeugung von Rohstoffen wie Rindern, Holz, Palmöl, Soja, Kakao oder Kaffee zu beschränken. Diese sind eine der Hauptursachen für die globale Entwaldung und Waldschädigung. Gleichzeitig gehört die EU zu den maßgeblichen Verbrauchern dieser Rohstoffe.

Die neue Verordnung steht im inhaltlichen Kontext mit der CS3D (oben F.2) sowie der CSRD und Taxonomie-Verordnung (oben F.3 und F.4.). Sie enthält nicht nur Vorschriften über das Inverkehrbringen und die Bereitstellung der oben genannten relevanten Rohstoffe in der EU, sondern adressiert auch Erzeugnisse, die relevante Rohstoffe enthalten, mit diesen gefüttert wurden oder unter deren Verwendung hergestellt wurden (relevante Erzeugnisse nach Anhang I – die Bestimmung erfolgt anhand der zolltariflichen Nomenklatur). Neben einem Verbot des Inverkehrbringens relevanter Rohstoffe und relevanter Erzeugnisse, die unter Missachtung der Verordnungsanforderungen hergestellt wurden, unterliegen Wirtschaftsteilnehmer spezifischen Sorgfaltspflichten im Hinblick auf ihre Lieferketten und die Rückverfolgbarkeit der relevanten Rohstoffe und Erzeugnisse.

Wir werden zeitnah in einer detaillierten Mandanteninformation über die neuen Regelungen berichten.

8. Slavery Act GB

Der „Modern Slavery Act 2015“ ist ein Gesetz, um die moderne Sklaverei in Großbritannien zu bekämpfen. Es verpflichtet Unternehmen einer bestimmten Größe, Berichte über die Risiken moderner Sklaverei im Zusammenhang mit ihrer Geschäftstätigkeit zu veröffentlichen. Die Pflicht besteht für alle Unternehmen, die ihre Geschäftstätigkeit oder einen Teil ihrer Geschäftstätigkeit in Großbritannien ausüben. Daher besteht die Pflicht auch für deutsche Unternehmen mit einem Sitz in Großbritannien.

In dem jährlichen Bericht gibt ein Unternehmen ein Statement über die Schritte ab, die es im Geschäftsjahr unternommen hat, um sicherzustellen, dass Sklaverei und Menschenhandel in ihren Lieferketten oder in irgendeinem Teil ihrer Geschäftstätigkeit nicht stattfinden.

Nunmehr soll der Act durch den am 10. Mai 2022 angekündigten Gesetzesentwurf („New Anti-Modern Slavery Bill“) erneuert werden. Nach diesem sollen auch öffentliche Organisationen erfasst werden. Es werden die Berichtsbereiche vorgeschrieben, die in den Erklärungen zur modernen Sklaverei enthalten sein müssen. Zudem sollen die Transparenzanforderungen an die erfassten Unternehmen durch die Einführung zivilrechtlichter Strafen für Unternehmen, die die Anforderungen nicht erfüllen, etabliert werden.

G. Zivilrecht und Diverses

1. EU-Produkthaftungsrichtlinie

Die EU-Kommission hat im September 2022 gemeinsam mit dem Entwurf über die KI-Haftung den Entwurf einer neuen Produkthaftungsrichtlinie vorgelegt. Die derzeit geltende Richtlinie aus dem Jahr 1985 setzt das ProdHaftG in deutsches Recht um. Das ProdHaftG regelt die verschuldensunabhängige Haftung von Herstellern für fehlerhafte Produkte. Ziel der überarbeiteten Richtlinie ist die Anpassung an den geltenden Rechtsrahmen für Produkte sowie die Modernisierung im Hinblick auf krauslauforientierte Geschäftsmodelle sowie digitale Anwendungen.

Dazu wird zunächst der Anwendungsbereich der Richtlinie ausgeweitet. In sachlicher Hinsicht sind nun nicht mehr nur bewegliche Sachen und Elektrizität, sondern ebenfalls digitale Produktionsdateien sowie Software erfasst. In persönlicher Hinsicht wird der Kreis potenzieller Schuldner auch auf Bevollmächtigte, Fulfilment-Dienstleister und Marktplatzbetreiber ausgeweitet. In Angleichung an das öffentliche Produktrecht können auch Personen, die ein Produkt wesentlich verändern, Schuldner eines Schadensersatzanspruchs sein. Letztere sollen zur Förderung der Kreislaufwirtschaft dann nicht haften, wenn sie nachweisen können, dass der Schaden nicht durch die Modifikation herbeigeführt wurde.

Der Begriff des Produktfehlers wird zudem ausgeweitet. Ein Produkt kann u.a. fehlerhaft sein, wenn es sicherheitsrelevante Anforderungen an die Cybersicherheit hat sowie wenn die Auswirkungen eines selbstlernenden Systems nicht den Erwartungen entsprechen. Auch der Begriff des Schadens wird in dem Entwurf neu geregelt. Anspruchsauslösend sind nicht nur Verletzungen von Leib, Leben und Eigentum, sondern auch der Verlust oder die Beschädigung von privaten Daten.

Eine wesentliche Änderung der bisherigen Beweislastverteilung ist in Art. 8 des Entwurfs geregelt. Das Gericht kann den Hersteller dazu verpflichten, relevante Beweise herauszugeben, wenn der Geschädigte Tatsachen vorträgt, die den Anspruch plausibel erscheinen lassen. Grundsätzlich muss der Geschädigte zwar die Fehlerhaftigkeit des Produkts sowie die Kausalität zwischen Fehlerhaftigkeit und Schaden beweisen. Allerdings werden diese Tatsachen u.a. vermutet, wenn der Hersteller auf Verlangen des Gerichts keine oder nicht alle Beweise herausgegeben hat oder wenn das Produkt nicht den harmonisierten produktsicherheitsrechtlichen Vorschriften entspricht.

In dem neuen Entwurf wurden außerdem die Haftungsuntergrenzen für Sachschäden sowie die Haftungshöchstgrenzen gestrichen.

2. Kommissionsentwurf einer Richtlinie über KI-Haftung vorgelegt

Die EU-Kommission hat im September 2022 gemeinsam mit dem Entwurf einer neuen Produkthaftungsrichtlinie auch den Entwurf einer Richtlinie zur Haftung für Künstliche Intelligenz (KI) vorgelegt. Die Richtlinie über die KI-Haftung möchte die Bedingungen für die Entwicklung von KI verbessern, indem sie Rechtssicherheit schafft und das Vertrauen in KI stärkt. Sie knüpft insoweit an den bereits im April 2021 vorgelegten Vorschlag für eine Verordnung zur Festlegung harmonisierter Vorschriften für künstliche Intelligenz und zur Änderung bestimmter Rechtsakte der Union (EU-KI-Verordnung/“AI Act“) an. Der Richtlinienentwurf ergänzt den Entwurf der Produkthaftungsrichtlinie, indem er Haftungsaspekte, welche von der Produkthaftungsrichtlinie nicht abgedeckt sind, in der speziellen Richtlinie zur KI-Haftung regelt.

Die Richtlinie sieht eine Offenlegungspflicht – ähnlich der Offenlegungspflicht nach dem Entwurf der Produkthaftungsrichtlinie – für Anbieter von Hochrisiko-KI-Systemen vor, wonach dieser vom Gericht aufgefordert werden kann, einschlägige Beweismittel offenzulegen. Kommt der Anbieter dieser Aufforderung (unberechtigt) nicht nach, wird vermutet, dass er gegen seine einschlägigen Sorgfaltspflichten verstoßen hat. Außerdem wird die Kausalität zwischen dem Verschulden des Anbieters und dem von einem KI-System hervorgebrachten Ergebnis vermutet, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Die Bedingungen der Vermutung für Hochrisiko-KI-Systeme werden gesondert spezifiziert. Andererseits kann die haftende Person diese Vermutung widerlegen (bspw. durch den Nachweis, dass eine andere Ursache den Schaden verursacht hat).

3. EU-Digital Markets Act

Der Digital Markets Act (Verordnung (EU) 2022/1925) wurde im Oktober 2022 im EU-Amtsblatt veröffentlicht. Kern der Verordnung ist die Festlegung von Verhaltensregeln sog. Gatekeeper (dt. Torwächter), wodurch der Einfluss besonders großer Player begrenzt werden soll sowie die Regeln europaweit harmonisiert werden sollen. Gatekeeper sind zentrale Plattformbetreiber, die aufgrund der Kriterien in Art. 3 der Verordnung (EU) 2022/1925 als solche benannt werden. Zu den zentralen Plattformbetreibern zählen u.a. auch Online-Vermittlungsdienste, zu denen auch sog. Market Places gehören. Die Kriterien in Art. 3 Verordnung (EU) 2022/1925 sollen sicherstellen, dass nur solche Unternehmen erfasst sind, die eine besondere Marktmacht aufweisen. Die Kriterien betreffen u.a. den Jahresumsatz bzw. den Marktwert (7,5 Mrd. Euro bzw. 75 Mrd. Euro), die Nutzerzahlen (10.000 aktive Nutzer), die Tätigkeit in mehreren Mitgliedstaaten (in mindestens drei Mitgliedstaaten) und die Dauerhaftigkeit der Marktstellung (drei Geschäftsjahre). Die Gatekeeper dürfen beispielsweise eigene Angebote in der Ergebnisliste nicht besser platzieren, müssen den gewerblichen Nutzern die bei der Nutzung generierten Daten zur Verfügung stellen oder dürfen die Nutzer nicht daran hindern, installierte Software oder Apps zu deinstallieren. Der Digital Market Act kommt daher u.a. Unternehmen zu Gute, die selbst keine Gatekeeper sind, die jedoch die vom Digital Markets Act erfassten Market Places nutzen.

4. Vorschlag zur Änderung der EU-Asbest-Richtlinie 2009/148/EC - Verfahrensstand

Im September 2022 hat die Kommission einen Vorschlag für eine Richtlinie zur Änderung der Richtlinie 2009/148/EG über den Schutz der Arbeitnehmer gegen Gefährdung durch Asbest am Arbeitsplatz (COM (2022) 489 final) vorgelegt.

In Artikel 1 wird die Verpflichtung der Arbeitgeber präzisiert, die Exposition der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gegenüber Asbeststaub oder Staub von asbesthaltigen Materialien am Arbeitsplatz auf ein Minimum zu reduzieren, wobei die Exposition in jedem Fall so niedrig sein muss, wie es technisch möglich ist, d. h. unterhalb des in dem Vorschlag festgelegten Grenzwerts. Es wurde eine ausdrückliche Bestimmung aufgenommen, dass Asbest im Sinne der Richtlinie über Asbest am Arbeitsplatz krebserregend ist und dass es sich bei Asbest um Fasersilikate handelt, die gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 als karzinogene Stoffe der Kategorie 1A eingestuft sind, um Unklarheiten und abweichende Auslegungen zu vermeiden.

Nach Art. 8 soll der Arbeitgeber verpflichtet werden, dafür zu sorgen, dass am Arbeitsplatz keine höhere Asbestkonzentration in der Luft als 0,01 Fasern/cm³ als gewichteten Mittelwert für den Referenzzeitraum von 8 Stunden (TWA) herrscht (was der derzeitigen Rechtslage in Deutschland entsprechen würde). Damit wurde der zulässige Wert auf ein Zehntel des vormals zulässigen Wertes gesenkt. In diesem Zusammenhang wird mit der Elektronenmikroskopie eine modernere und empfindlichere Methode als die Faserzählung mittels PCM-Methode für die Zählung der Asbestfasern eingeführt. Sie soll durchgeführt werden, wo immer dies möglich ist.

Das Gesetzgebungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen. Zuletzt wurde der Vorschlag im Dezember 2022 vom Europäischen Rat angenommen. Sobald die Änderung in Kraft getreten ist, haben die Mitgliedstaaten nach dem derzeitigen Vorschlag zwei Jahre Zeit, die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen.

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Dr. Jens Nusser, LL.M.
Rechtsanwalt | Partner

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